Kritik am Asylpaket II

"Familiennachzug ist das wirksamste Integrationsmittel"

Flüchtlinge in Europa
Der rasche Nachzug der Familie sei das wirksamste Mittel für eine schnelle Integration, sagt der Asylrechts-Experte Thomas Oberhäuser. Er kritisiert das Asylpaket II. © dpa / picture alliance / Arnaud Dumontier
Thomas Oberhäuser im Gespräch mit Ute Welty · 30.01.2016
Viele Asylrechtsexperten sind bestürzt: Was soll durch das Asylpaket II gewonnen werden? Der Fachanwalt Thomas Oberhäuser erwartet deutlich mehr Klageverfahren: Eine schnelle Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Heimat sei nicht zu erwarten. Mit den neuen Regelungen sei "nichts gewonnen".
Das von der Großen Koalition beschlossene Asylpaket II wird nach Auffassung des Juristen Thomas Oberhäuser nichts an der derzeitigen Flüchtlingskrise ändern: Statt Asylverfahren – inklusive möglicher Abschiebung – zu beschleunigen, werde es diese "entschleunigen". Er erwarte eine Zunahme von Klagen seitens der Flüchtlinge, sagte der Fachanwalt für Flüchtlingsfragen, der Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Ausländer- und Asylrecht ist. Dies werde sich über einen langen Zeitraum hinziehen, denn "jeder muss angehört" werden. Oberhäuser:
"Man kann für die Gruppe der Syrer und Iraker davon ausgehen, dass die über Jahre erstmal nicht gehen können. Selbst wenn ein völlig utopischer Friedensschluss ausgearbeitet wird, muss ja eine Sicherheit im Land bestehen."
Den Familiennachzug auszusetzen ist absurd
Es sei "absurd" zu denken, diese Menschen könnten bald zurückkehren. Oberhäuser kritisierte unter anderem scharf die vorgesehene Regelung, wonach der Anspruch auf das Nachholen der sogenannten Kernfamilie für viele (anerkannte) Flüchtlinge für zwei Jahre ausgesetzt werden soll.
"Wir haben dadurch überhaupt nichts gewonnen. Wir lassen die Menschen zwei Jahre in der Warteschleife hängen, in der Unsicherheit, in der Angst um ihre Familienangehörigen. Und nachher können die doch kommen. Was soll denn damit gewonnen sein?... Wir desintegrieren die Leute, wir verhindern ja gerade die Integration. Denn der Familiennachzug ist eines der wirksamsten Mittel, dass sich Menschen integrieren können."


Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Den Kompromiss aushandeln, das ist das eine; den Kompromiss umsetzen das andere. In der kommenden Woche will das Kabinett über das entscheiden, was als Asylpaket II bekannt geworden ist. Danach werden Tunesien, Marokko und Algerien zu sicheren Herkunftsländern erklärt und der Familiennachwuchs für die Flüchtlinge ausgesetzt, die nur eingeschränkten Schutz genießen.
Das alles muss jetzt zügig in Gesetzestexte einfließen, damit auch der Bundestag zeitnah abstimmen kann, und am Ende landen dann auch diese Gesetze wie die davor auf dem Schreibtisch von Thomas Oberhäuser, seines Zeichens Fachanwalt für Flüchtlingsfragen und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Ausländer- und Asylrecht. Guten Morgen, Herr Oberhäuser!
Thomas Oberhäuser: Guten Morgen auch!
Welty: Wie viele Gesetzestexte müssen Sie denn jetzt gerade lesen? Es hat ja schon etliche Änderungen gegeben und es wird noch etliche Änderungen geben!
Oberhäuser: Wie viele Gesetzestexte ich lesen muss, weiß ich nicht, ich verliere manchmal den Überblick über das, was bereits beschlossen ist, was noch in der Pipeline ist und was irgendwie in der Diskussion jedenfalls ist. Momentan ist es so, dass die eine Änderung die nächste jagt.
Welty: Wenn Sie schon den Überblick verlieren, können Sie dann Ihren Mandanten die Rechtslage noch vermitteln? Können Sie erklären, was rechtens ist und was nicht?
Oberhäuser: Nein, das kann man schon lange nicht mehr. Man kann die Tendenz aufweisen, man kann sagen, hier und da gibt es Problemfälle. Aber man kann unmöglich das Problem – einem Ausländer noch dazu – darstellen. Nicht mal einem deutschen Juristen kann man es richtig verständlich machen.
Welty: Was bewirkt denn diese Unübersichtlichkeit und diese Unsicherheit auch bei denen, die womöglich bleiben können?
Oberhäuser: Erst mal führt es ja dazu, dass sich alle Verfahren verzögern und verschleppen, weil ja auch die Behörden nicht so recht wissen, was sie damit anfangen sollen. Auch die sind unsicher, auch die entscheiden nicht schnell. Bei den Mandanten führt es dazu, dass so eine Unsicherheit immer einhergeht mit einer Unwilligkeit, sich gleich zu integrieren, mit einer eher Abschreckung, sich zu integrieren. Und das ist natürlich das Gegenteil von dem, was man eigentlich möchte.
Welty: Dieses Asylpaket II soll ja dazu beitragen, dass die Zahl der Flüchtlinge sinkt. Sehen Sie einen Ansatz, um dieses Ziel zu erreichen?
Oberhäuser: Nein, das Ziel kann mit dem Asylpaket sicherlich nicht erreicht werden. Die Menschen fliehen ja nicht deswegen, weil sie denken, hier haben sie irgendwie ein tolles Leben, ein bisschen besser als daheim, sondern die fliehen, weil die Fluchtursachen da sind, weil eben im Heimatland nicht gelebt werden kann, weil die Aufnahmelager an den Grenzen völlig überlastet sind und zum Teil gar keine Nahrungsmittel zur Verfügung stehen. Also, die Fluchtursachen kann man mit dem Asylpaket nicht bekämpfen.
Welty: Aber wenn man jetzt den Familiennachzug für zwei Jahre einschränkt, dann wird ja eine bestimmte Gruppe erst mal ausgeschlossen.
Oberhäuser: Das ist in der Tat was sehr Bedenkliches. Die Gruppe, auf die man abzielt, sind ja mitnichten nur ganz kleine Teile, die subsidiär geschützt sind, sondern das zielt letztlich auch auf die Syrer. Denn bei denen ist es so, dass sie momentan als Flüchtlinge anerkannt werden und das Recht auf Familiennachzug haben, während es künftig wohl so sein wird, dass Syrer bloß noch subsidiären Schutz bekommen und damit aus dem Flüchtlingsschutz, aus dem Familiennachzug ausgeschlossen sind.
Welty: Was heißt das für diese Menschen?
Oberhäuser: Das heißt konkret erst mal, dass sie, wenn sie so einen Bescheid bekommen, natürlich fragen, ist das richtig, zum Anwalt gehen und der Anwalt sagt, vermutlich ist es nicht richtig. Das Bundesamt hat ja den subsidiären Schutz auch früher mal zugesprochen (...), weil die Situation so ist, dass man letztlich dort davon ausgehen muss, dass es zur Flüchtlingsanerkennung führen muss. Und wenn die dann zum Anwalt gehen, geht der Anwalt vor Gericht, das Gericht hebt den Bescheid auf, aber das dauert halt ein halbes Jahr, ein Dreivierteljahr, ein Jahr. Und solange haben die eben noch kein Recht auf Familiennachzug. Also, faktisch ist es schon so, dass mit dieser Einschränkung des Familiennachzugs auch die Syrer betroffen werden.
Welty: Sie sprechen ja auch persönlich mit Ihren Mandanten. Da verbergen sich ja ganz aufwühlende Geschichten und Erlebnisse und Biografien hinter diesen Akten. Was erzählen Ihnen diese Menschen, was das bedeutet, wenn die Familie nicht nachkommt?
Oberhäuser: Das wirklich Schlimmste ist, wenn die Leute den Bescheid bekommen haben – wo dann drinsteht: als Flüchtling anerkannt – die Belehrung bekommen, dass jetzt der Familiennachzug möglich ist, sie gehen zur Botschaft, Ausländerbehörde, wie auch immer, versuchen, einen Antrag zu stellen, und können den Antrag nicht stellen. Weil die Behörde sagt, wir sind nicht zuständig im Inland, das muss im Ausland gemacht werden bei der Auslandsvertretung; die Auslandsvertretung sagt, ja, Termine, versuch mal, einen zu bekommen! Das geht nicht!
Und dann kommen die zu mir und sagen, was sollen wir denn machen, wir sind anerkannt, wir haben das Recht auf Nachzug, aber es geht nicht! Und dann versuche ich, irgendwas zu bewegen, was erst mal auch nicht immer von Erfolg gekrönt ist, und die Leute sind unsicher, die Leute sind verzweifelt und die haben ja Angst. Die haben jeden Tag Angst um ihre Familienangehörigen.
Welty: Weiteres Ziel der Bundesregierung ist es ja, die Dauer der Verfahren zu verkürzen. Aber jetzt schon wollen mehr als 2.000 Flüchtlinge klagen, weil ihnen das alles zu lange dauert. Wie wird sich das weiterentwickeln?
Oberhäuser: Genau das Gegenteil wird passieren. Wenn die Syrer nicht mehr als Flüchtlinge, sondern als subsidiär geschützt anerkannt werden, dann werden die reihenweise zu Gericht gehen, selbstverständlich. Das rate ich auch allen meinen Mandanten. Und das Bundesamt macht ja auch die Einklagen jetzt wieder. Auch da ist es ein Flaschenhals, weil, jeder einzelne Asylantragsteller muss angehört werden, mit Dolmetscher. Das ist langwierig, das schaffen die nicht so schnell. Also, da muss man ja auch die ganzen Dolmetscher finden, die das machen können. Das ganze Verfahren ist nicht die Beschleunigung, sondern die Entschleunigung.
Welty: Wenn die Verfahren dann entschieden sind, sehen Sie denn dann auch eine Chance, dass diejenigen gehen, die eben negativ beschieden wurde, Stichwort Abschiebung?
Oberhäuser: Na ja, man kann jedenfalls von der Gruppe der Syrer und Iraker davon ausgehen, dass die über Jahre nicht gehen können. Selbst wenn ein völlig utopischer Friedensplan in Syrien mal ausgearbeitet wird, muss der umgesetzt werden, muss Sicherheit im Land bestehen. Also, dass die Syrer in den nächsten Jahren zurückgehen, ist absurd.
Und deswegen ist der Familiennachzug ja auch bloß über begrenzte Zeit ausgesetzt. Und das ist gerade das Verrückte: Wir haben doch überhaupt nichts gewonnen! Wir lassen die Leute zwei Jahre in der Warteschleife hängen, in der Unsicherheit und Angst um ihre Familienangehörigen, und nachher können die doch kommen! Was soll denn da gewonnen sein dadurch? Überhaupt nichts. Und es ist das Gegenteil passiert, wir desintegrieren die Leute, wir verhindern ja gerade die Integration. Denn der Familiennachzug ist eines der wirksamsten Mittel, dass sich Menschen integrieren können.
Welty: Im Praxistest wird das Asylpaket II gewogen und für zu leicht befunden, sagt Fachanwalt Thomas Oberhäuser. Ich danke für Ihre Einschätzung!
Oberhäuser: Ich danke auch schön!
Welty: Und die etwas schwierige Telefonqualität an dieser Stelle bitten wir zu entschuldigen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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