Demokratie und Krisentauglichkeit

Warum eine Ökodiktatur keine Lösung ist

29:39 Minuten
Aufnahme von oben in den Reichstag, mit Besucherinformation und leeren Sitzen im Parlament.
Ist die Demokratie krisentauglich? Harald Welzer hat daran keinen Zweifel. © Unsplash / Massimo Virgilio
Moderation: Annette Riedel · 18.06.2022
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Angesichts von Krisen wie der Pandemie oder dem Klimawandel wünschen sich manche einen Staat, der schneller und kompromissärmer durchgreift. Ist eine Ökodiktatur der richtige Weg? Der Soziologe Harald Welzer ist strikt dagegen.
Der Soziologe und Sozialpsychologe Harald Welzer warnt davor, Diktaturen zu romantisieren, indem man ihnen eine größere Krisentauglichkeit als Demokratien zuschreibt. Es sei ihm "vollkommen rätselhaft, wie man auf die Idee kommen kann, Diktaturen für geeignet zu halten, mit sich verändernden Problemlagen umzugehen", sagt er. Zwar reagierten Demokratien vergleichsweise langsam. Aber er kenne kein historisches Beispiel dafür, "dass eine Diktatur oder ein autokratisches System in der Lage gewesen wäre, auf veränderte Umweltbedingungen adäquat einzugehen", betont Welzer mit Blick auf die Klimakrise.
Diskussionen über mögliche Vorzüge einer Ökodiktatur seien "Quatsch" und sogar "gefährlich". Zudem seien entsprechende Überlegungen "rein fiktional". Die Menschen gingen nicht auf die Straße, um eine Diktatur zu fordern: "Wer würde denn jetzt allen Ernstes die Demokratie abschaffen wollen?" Die Diskussion sei deshalb eine "Geisterdebatte". Kritiker der Klimapolitik hierzulande stellten zumeist auch nicht das demokratische System als solches in Frage. Sie forderten vielmehr, dass die Politik angesichts der Klimakrise konsequenter handele.

Ohne Verbote und Gebote ist kein Staat zu machen

Kein modernes Staatswesen komme gerade in Krisenzeiten ohne Ordnungspolitik und Ordnungsrecht aus. Doch die "neoliberale Epoche" habe ein vollkommen falsches Bild davon hinterlassen, "welchen Wert Gebote und Verbote haben". In der Gesellschaft habe sich ein Freiheitsverständnis durchgesetzt, das "dem Allgemeinwohl und damit auch den Freiheitsrechten von Benachteiligten völlig vorgeordnet wird". So könne keine Demokratie funktionieren: "Das muss aus den Köpfen raus."
Im Umgang mit Krisen allein auf "freiwillige Selbstverantwortung" zu setzen, reiche nicht aus. Aufklärung als Voraussetzung dafür, dass Menschen ihr Verhalten änderten, könne man vergessen. Das habe er wiederholt auch Klimawissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern gesagt: "Ihr könnt mit Mahnen und Warnen aufhören, das ändert nichts an dem Verhalten der Menschen."

Angebote für den klimagerechten Umbau

Die "Ökokommunikation" der vergangenen Jahrzehnte sei zu sehr davon geprägt gewesen, dass Menschen Verzicht lernen müssten. Es sei versäumt worden, Angebote zu machen, "wie ein besseres Leben unter weniger zerstörerischen Bedingungen möglich ist und sogar die Lebensqualität erhöht". Autofreie Innenstädte etwa wären selbst dann gut, wenn es gar keinen Klimawandel gäbe.
Vor allem positive Begründungen motivierten die Menschen zu Verhaltensänderungen. Allerdings sind für den Publizisten auch Verbote kein Tabu. Er könne sich sehr wohl vorstellen, beispielsweise den Fleischkonsum oder das Gewicht und die PS-Zahl bei Autos per Gesetz zu begrenzen: "Das ist überhaupt nichts Exotisches."
(AnRi)

Der Soziologe, Sozialpsychologe und Publizist Harald Welzer lehrt seit 2012 als Honorarprofessor Transformationsdesign an der Europa-Universität Flensburg. Daneben hat er mehrere Gastprofessuren an anderen Hochschulen, darunter eine ständige an der Universität Sankt Gallen. Welzer ist Autor zahlreicher wissenschaftlicher Publikationen, mit dem Klimawandel hat er sich intensiv beschäftigt. 2012 war er Mitbegründer der gemeinnützigen "Futurzwei Stiftung Zukunftsfähigkeit", deren Direktor er ist. Die Stiftung setzt sich für alternative Lebensstile und Wirtschaftsformen ein. 2015/2016 war Welzer kooptiertes Mitglied im Rat für nachhaltige Entwicklung der Bundesregierung. Er ist Mitglied im Zukunftsrat des Landes Schleswig-Holstein.

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