Krise in Stavanger

Katzenjammer in Norwegens Erdöl-Hauptstadt

Norwegens Erdöl-Hauptstadt Stavanger: Streetart vor dem Erdölmuseum
Norwegens Erdöl-Hauptstadt Stavanger: Streetart vor dem Erdölmuseum © Michael Frantzen
Von Michael Frantzen · 04.04.2017
Ein Job hier war wie ein Sechser im Lotto - dank des schwarzen Goldes. Erdöl sorgte im norwegischen Stavanger für Wohlstand. Doch diese Zeiten sind wegen des niedrigen Ölpreises vorbei. Die Krise ist inzwischen auch in der Erdöl-Stadt zu spüren.
Norwegen ist das einzige europäische Land mit einer nennenswerten Ölproduktion. Von den 5,2 Millionen Norwegern arbeiten mehr als 300.000 Menschen in dieser Branche. 20 Prozent der norwegischen Wirtschaftsleistung und zwei Drittel aller Exporte hängen vom Öl ab. Über 800 Ölfirmen haben ihren Sitz in der Erdöl-Hauptstadt Norwegens, in Stavanger, darunter auch das größte norwegische Unternehmen Statoil.
Der Grund: Die meisten Vorkommen Norwegens liegen etwa 300 km westlich in der Nordsee. Früher war ein Job in Stavanger wie ein Sechser im Lotto: ein hohes Einkommen, durchschnittlich 100.000 Euro im Jahr, gute Sozialleistungen, überschaubare Arbeitszeiten. Das schwarze Gold sorgte für Wohlstand.

Der Hauptmotor des Wohlstands fällt aus

Doch nun erlebt das Land, was es bedeutet, wenn der Hauptmotor ausfällt. Seit vier Jahren hat der Ölpreisverfall nicht nur die Ölindustrie Norwegens in die Knie gezwungen, sondern auch Stavanger. Die Reserven gehen aus. Das Fördermaximum ist schon seit den 1990ern überschritten. Die Produktion ist in den letzten 15 Jahren um mehr als 40 Prozent zurückgegangen. Und als wäre das nicht schlimm genug, bekommen die Norweger seit Jahren immer weniger Geld für ihr Öl.
Die Krise ist längst zu spüren – nicht nur wegen der steigenden Arbeitslosigkeit. Einzelhändler klagen über schrumpfende Umsätze, Restaurants über leere Tische, Taxifahrer über schlechte Geschäfte. Weltzeit-Autor Michael Frantzen hat Stavanger besucht.

Komplettes Manuskript zur Sendung:
Englische Töne in Stavanger: In Norwegens Erdölhauptstadt nichts Ungewöhnliches. Viele Ausländer arbeiten hier. Es ist Dienstag, kurz vor halb zwölf. Draußen pfeift der Wind durch die Gassen. Drinnen, im fensterlosen Seminarraum eines Bürogebäudes, macht sich Terje Amundsen Notizen. Der Gewerkschafter ist zwar Norweger, doch das der Workshop auf Englisch ist, ist ihm ganz recht.
"Ich finde es klasse, dass das Interview-Training auf Englisch ist. Es hilft mir, wenn ich mich bei einem Unternehmen bewerben sollte, dessen Umgangssprache Englisch ist. Ich kann hier üben."

Schwierige Jobsuche für die Öl-Manager

Dass Terje mit seinen Anfang 50 noch einmal die Schulbank drückt: Vorherzusehen war das nicht. Der stille Mann verzieht unmerklich das Gesicht. Alles wegen der Ölkrise. Die sinkenden Preise haben mehr als 50.000 Angestellten in Norwegens wichtigstem Wirtschaftszweig den Job gekostet – darunter auch Terje. Manager war er, bei einem Dienstleister, der Tests für Ölfirmen durchführt. Sein Jahresgehalt betrug umgerechnet 100.000 Euro:
"Das Problem ist: Wenn ich mich woanders bewerbe - in anderen Industriezweigen - denken alle: Oh, du hattest einen dieser gut bezahlten Jobs in der Ölindustrie: Jetzt erwartest du bestimmt, dass du auch bei uns so viel verdienst. Sie denken: Der wird doch nur so lange bleiben, bis er einen neuen Arbeitsplatz in der Ölindustrie gefunden hat. So jemanden stellen wir lieber gar nicht erst ein. Ich würde gerne antworten: Nein, das stimmt nicht. Nur: Mich fragt ja keiner. Kein einziger Personalchef hat angerufen, um nachzuhaken. Meist schaffe ich es nicht einmal bis zum Vorstellungsgespräch. Wenn mich jemand fragen würde, könnte ich antworten: Ich bin durchaus bereit, für weniger Geld zu arbeiten. Lasst es uns probieren."
Es ist Mittag geworden. Eine kurze Pause, dann geht das Interviewtraining weiter. Terje hat sich auf einen der grünen 60er-Jahre-Sessel gesetzt, die im Flur stehen. Der Ex-Manager schaut auf sein Handy. Seine Frau hat vor einer halben Stunde angerufen. Sie ist Krankenschwester, ihr Job sicher. Im Januar ist Terjes Arbeitslosengeld ausgelaufen:
"Natürlich müssen wir an allen Ecken und Enden sparen. Früher bin ich einfach in den Supermarkt und habe eingekauft, ohne mir groß Gedanken zu machen. Jetzt muss ich genau kalkulieren. Ich reise auch nicht mehr so viel. Bis vor zwei Jahren bin ich immer zum Karneval nach Notting Hill in London geflogen. Meine Kumpel sind schon ganz irritiert und fragen: Warum besuchst du uns denn nicht mehr? Ist was? Na ja, was soll schon sein. Ich habe einfach kein Geld mehr für solche Extras. Am wichtigsten ist mir, dass Alexander, unser Sohn, nicht unter meiner Arbeitslosigkeit leidet. Er ist 16. Und wie das so ist bei einem 16-Jährigen: Er sieht irgendein neues, technisches Spielzeug: Eine Play-Station oder so was – und will es haben. Und ich nur: Tut mir leid, das ist zu teuer. Aber er beklagt sich nicht. Er ist ein netter, vernünftiger Junge."
Arbeitslose Öl-Angestellte, die sehen müssen, wie sie über die Runden kommen: Interview-Trainerin Lena Ryttla kennt Etliche von ihnen:
"This is a marathon. And you have to be prepared to win the Olympics."
Die Jobsuche: Ein Marathon wie bei den Olympischen Spielen: Da staunen die Teilnehmer ihrer Workshops immer. Besonders die "oil kids" – die Ölkinder, die in den 1990ern und 2000ern auf den Ölplattformen vor Norwegens Küste schnelles Geld verdienten.
"Es war ein Kinderspiel. Du musstest nur deinen Lebenslauf verschicken, zum Interview erscheinen und prompt hattest du den Job. Das ist heute anders. Heute bewerben sich 300 Leute auf eine Stelle. Die Arbeitgeber haben viel mehr Auswahl. Für dich als Bewerber heißt das: Dein Lebenslauf muss perfekt verfasst und präzise sein. Wenn du es bis in die Interviewrunde schaffst, musst du vorbereitet sein. Du musst wissen, um welches Unternehmen es sich handelt. Was sind seine Geschäftsfelder? Seine Projekte? Seine Werte? Gleichzeitig musst du dich möglichst gut verkaufen."
Vielen Norwegern fällt das schwer. Lena verdreht die Augen. Die blonde Powerfrau hat dafür kein Verständnis. Die Krise in der Ölindustrie: Für Lena ist sie ein Weckruf, dass es so gemächlich wie bislang nicht weiter gehen kann. Seit drei Jahren coacht sie Arbeitslose aus der Ölbranche. Wechselweise auf Englisch und Norwegisch:
"Vielleicht sollte ich das gar nicht so offen sagen, aber: Unsere Unternehmen bevorzugen zunehmend Leute, die Norwegisch können. Ausländer, die nicht fließend Norwegisch sprechen, haben kaum noch eine Chance, einen Job in der Ölindustrie zu ergattern. Das war vor fünf Jahren noch anders. Jetzt ist es so: Wenn sich 300 Leute auf eine Stelle bewerben, kannst du dir als Arbeitgeber den besten Kandidaten aussuchen."
Blick auf eine Erdgas- und Erdölförderanlage in der Nordsee vor der norwegischen Küste
Blick auf eine Erdgas- und Erdölförderanlage in der Nordsee vor der norwegischen Küste© dpa/picture-alliance/Roland Weihrauch

Seit zehn Jahren an Norwegens Goldküste

"Als Ausländer ist es immer so, dass du erst Mal hinter den Norwegern anstehst. Blut ist dicker als Wasser."
Ergänzt Michael Reinke, einer der Teilnehmer des Interview-Seminars. Wie etliche Deutsche suchte der drahtige Mittvierziger vor gut zehn Jahren sein Glück an Norwegens Goldküste rund um Stavanger. Verdiente gutes Geld, gründete eine Familie. Seine portugiesische Frau arbeitet auch in der Ölindustrie: Bei Statoil. Zwar hat der staatliche norwegische Öl-Multi in den letzten Jahren rund 1400 Leute entlassen, doch Michaels Frau war nicht darunter. Noch nicht. Michael knetet nervös seine Hände. Reicht ja schon, dass er seit einem halben Jahr arbeitslos ist und seine Tage in irgendwelchen fensterlosen Seminarräumen verbringen muss:
"Das Problem ist: Es ist ein Interviewkurs. Aber du musst erst Mal zum Interview kommen. Ich bewerbe mich auf Stellen, da sind 600 Bewerber. Dann bist du froh, vielleicht was gelernt zu haben hier, was du mitnehmen kannst. Aber du musst erst Mal hinkommen."
Die Krise in Stavanger: Im Alltag bekommt man davon wenig mit. Schon gar nicht im Erdölmuseum unten am alten Hafen. Ähnlich wie das neue Konzerthaus zeugt es vom Reichtum der Stadt; dem Ölreichtum. Alles ist modern hier – und interaktiv; der Andrang entsprechend groß. Highlight des futuristischen Gebäudes, das einem norwegischen Bergmassiv nachempfunden ist, ist der sogenannte Katastrophenraum. In ihm können Besucher einen Notfall auf einer Ölplattform simulieren.
Im Erdölmuseum schaut auch ab und zu Stale Kyllingstad vorbei. Allerdings nicht, um irgendwelche Katastrophen zu simulieren, sondern zu Empfängen. Der kleine Mann mit der Glatze hat eine Bilderbuchkarriere hingelegt. Aus seiner Putztruppe ist ein weltweit aktives Unternehmen geworden, das Reinigungssysteme für Bohrinseln herstellt und wartet. Investieren, Konkurrenten aufkaufen, neue Geschäftsfelder erschließen: Lange Zeit war IKM auf Expansionskurs. Bis der Verfall des Ölpreises das Unternehmen mit voller Wucht erwischte. Tausend von dreitausend Mitarbeitern hat der Firmenchef in den letzten zwei Jahren entlassen - entlassen müssen:
"Es war notwendig. Schwierig, aber notwendig. Ich habe die Krise kommen sehen. Dementsprechend war ich vorbereitet, mein Unternehmen gewappnet. Nicht hundertprozentig, aber: Verglichen mit vielen unser Wettbewerbern haben wir uns ganz gut aus der Affäre gezogen."

Das Ende des Erdölmärchens

So schnell ist jemand wie Kyllingstad nicht aus der Ruhe zu bringen. Nicht er – der Self-Made-Man und passionierte Jäger. An der Wand seines Riesen-Büros am Rande des Flughafens von Stavanger sind sie versammelt: Seine Trophäen. Ausgestopfte Schneehasen, Rentier-Hörner, und sein ganzer Stolz, das Geweih eines kapitalen Hirsches. Schon sein Vater ging zur Jagd. Ihn entspannt das. Besonders jetzt, wo das norwegische Erdölmärchen vorbei zu sein scheint. 20 Prozent der Wirtschaftskraft des skandinavischen Landes hängen vom schwarzen Gold ab, zwei Drittel der Exporte:
"Die Ölindustrie steckt in einer tiefen, bahnbrechenden Krise. Sie verändert alles – insbesondere die Art und Weise, wie wir arbeiten. 2008, bei der letzten Krise, war das noch anders. Die Finanzkrise damals hat allenfalls diese geldgierigen Broker in Oslo, der Hauptstadt, getroffen. Doch nicht uns. Für die Ölindustrie war es ein Jahr wie jedes andere. Für uns ging es seit 2002 nur bergauf. Das hatte zur Folge, dass die Kosten explodierten. Wir bei IKM mussten so viel für Löhne und Maschinen ausgeben, das wir zum Schluss sogar Verluste machten – trotz eines Ölpreises von hundert Dollar pro Barrel."
Wie ein Abhängiger hängt Norwegen am Öl-Tropf – allen voran Stavanger. Mehr als 800 Firmen aus der Branche haben hier ihren Sitz. Kaum eine Woche, in der nicht ein Unternehmen verkündet, wir müssen Leute entlassen. Auf fünf Prozent ist die Arbeitslosigkeit in der 130.000-Einwohnerstadt gestiegen, das ist doppelt so hoch wie vor fünf Jahren. Und kein Ende in Sicht. Stale Kyllingstad zeigt zur Glasvitrine mit den ausgestopften Vögeln. Da seien einige Arten dabei, die im Laufe der Evolution mangels natürlicher Feinde träge geworden seien, sinniert er. Dementsprechend leichte Beute sind sie. Norwegen kommt ihm manchmal auch so vor, schwerfällig und träge:
"Norwegen glich in letzter Zeit immer mehr einer Öl-Nation wie Kuwait. Wir waren uns zu schade, unsere eigenen Häuser zu reinigen und bauen. Schauen sie sich das neue Nationalmuseum in Oslo an: Es wurde komplett von polnischen Handwerkern und Bauarbeitern hochgezogen. Ich finde das beängstigend. Wir Norweger müssen doch in der Lage sein, unsere Häuser selbst zu bauen, unsere Straßen. Es kann doch nicht sein, dass wir zu einer Nation werden, die nur aus Akademikern und Öl-Angestellten besteht."
Merete Vadla Madland und Jasprit Singh Sachtiwa vom Nationalen Erdölzentrum der Universität Stavanger
Merete Vadla Madland und Jasprit Singh Sachtiwa vom Nationalen Erdölzentrum der Universität Stavanger© Michael Frantzen

Ein Inder forscht im Labor des Erdölzentrums

Wenn sie eines nicht sind am Nationalen Erdölzentrum der Universität von Stavanger: dann sicher träge. Jasprit Singh Sachtiwa hebt die Hände. Der indische Doktorand sieht das nicht so eng. Einige seiner norwegischen Kollegen regen sich über Kyllinstads steile Thesen auf, doch der Mann aus dem indischen Teil des Punjabs tut lieber das, was er die letzten zweieinhalb Jahre getan hat, er forscht:
"Wir bekommen die Kalkblöcke aus allen möglichen Ländern, um sie aufzubohren und zu schauen, ob sich darin Erdöl befindet. Wir bohren so lange, bis wir daraus diese langen Stäbe machen."
Das Labor ist Jasprits Welt – auch wenn er sich anfangs wunderte, warum sie an einem der weltweit führenden Erdölzentren Bohrmaschinen aus Sowjet-Produktion nutzen. Bis er feststellte, dass die klobigen giftgrünen Maschinen zwar vorsintflutartig aussehen, aber viel besser sind als die neuen. Der Anfang 30-Jährige lacht. Vieles ist anders, als er sich das vorgestellt hat:
"Ach weißt du: Als ich 2009 meinen Bachelor in Indien machte, lag der Markt schon einmal am Boden – wegen der Finanzkrise rund um Lehman Brothers. Und ich fand trotzdem einen Job. Ich kenne das Auf und Ab in der Ölindustrie. Meine Eltern auch. Ich spreche häufig mit ihnen – am Telefon oder über Skype. Sie reden mir immer gut zu: 'Junge, reg dich nicht auf. Das wird schon. Konzentrier dich auf die Arbeit.' Ich hoffe, der Markt wird sich beruhigt haben, wenn ich im Oktober nächsten Jahres meinen Abschluss machen werde."
Da ist sie endlich: Jasprits Chefin. Der Mann mit dem Turban will noch kurz etwas mit seiner Doktormutter besprechen, bevor er zurück ins Labor geht. Merete Vadla Madland macht einen geschafften Eindruck. Kein Wunder, bis vor einer Stunde war Tag der Offenen Tür, hat die elegant gekleidete Institutsleiterin versucht, angehenden Abiturienten ein Studium der Erdöltechnik schmackhaft zu machen. An Ideen mangelt es ihr nicht:
"Es ist an der Zeit, dass wir uns auch Gedanken machen über erneuerbaren Energien. Das heißt nicht, dass wir kein Öl mehr fördern. Doch wir am Institut sind gut beraten uns angesichts der Krise zu überlegen, wie wir uns in Zukunft aufstellen. Deshalb: Ja, wir werden weiter forschen im Erdölbereich. Aber wir müssen grüner werden. Wir müssen uns auch besser vernetzen, damit andere Forschungsbereiche unsere Technologie nutzen können. Wir sind da schon auf einem guten Weg. Unser Institut arbeitet ja viel mit Pumpen und Röhren. Das könnte etwas für die Medizin sein. Wir schauen gerade, wie die Kollegen von der medizinischen Fakultät unsere Expertise nutzen können."
Merete ist in ihr kleines Büro zurückgegangen. Ein Schreibtisch, ein Stuhl, ein Regal: Weniger ist mehr, lautet ihr Motto. Vor kurzem haben ihr Mann und sie eines ihrer zwei Autos verkauft. Aus Umweltgründen. Ihre Brüder – erzählt sie - hätten nur die Stirn gerunzelt, aber die Zwillinge haben ja auch andere Sorgen:
"Die Zwillinge haben ihr Studium in Erdölkunde nie abgeschlossen, weil sie gut bezahlte Jobs in der Ölindustrie fanden. Das rächt sich. Seit einem halben Jahr sind sie arbeitslos. Früher haben sie mich immer ausgelacht, wenn ich meinte: Wollt ihr nicht doch noch euren Abschluss nachholen? Na ja, ich hoffe, sie kommen zurecht. Vielleicht sollten sie sich andere Jobs suchen – außerhalb der Erdölindustrie."

Von der Ölplattform zur Elekromobilität

Ein neuer Tag, eine andere Ecke von Stavanger. Robort Kristensen hat einen roten Kopf. 20 Minuten zu spät zum Termin zu kommen: Das ist normalerweise nicht seine Art. Doch der ehemalige Ölarbeiter musste kurzfristig ans andere Ende der Stadt, zu einem Kunden, dessen Elektroauto liegen geblieben war.
Robort zieht seine dreckigen Schuhe aus. Erst einmal einen Kaffee machen. Doch das ist leichter gesagt als getan. Schließlich sind da noch Bianca und Latte, seine zwei Jack-Russell-Hündinnen. Die haben nicht nur ein lautes Organ, sondern auch wenig Verständnis dafür, dass Herrchen sie zwei Stunden alleine gelassen hat.
Das wäre geschafft. Bianca und Latte haben sich verzogen. Robort hat sich mit einer Tasse Kaffee an den Küchentisch gesetzt. Von seiner Homebase erledigt er das meiste. Koordiniert seinen Fuhrpark von 25 Elektroautos, die er verleiht. Angefangen hat alles als Hobby. Neben seinem Job als Technik-Experte auf Öl-Plattformen. Algerien, der Nahe Osten und immer wieder Stratfjord, das größte norwegische Erdölfeld: Die letzten 30 Jahre war der Anfang 50-Jährige ständig auf Achse. Bis sein Arbeitgeber ihn 2015 rauswarf:
"An meinem letzten Arbeitstag bin ich zum Arbeitsamt, habe mich registriert und mir erst einmal ein brandneues Motorrad gekauft."
Einige Ex-Kollegen haben wegen ihres Jobverlusts angefangen zu trinken. Robort aber nahm das Ganze sportlich. Hatte er halt mehr Zeit für sein Hobby, die Elektroautos. Es sollte seine Rettung sein. Denn bald schon stellte sich heraus: Mit dem Verleih und der Reparatur von Elektroautos lässt sich Geld verdienen, gutes Geld. Dazu muss man wissen, der norwegische Staat fördert massiv Elektro-Mobilität. Die Hälfte aller verkauften PKW sind inzwischen Elektro- und Hybridwagen. Gut für Roborts Geldbeutel und Selbstwertgefühl. Was haben sie sich früher über ihn lustig gemacht, die harten Jungs auf den Ölplattformen:
"Ja. Stimmt. Die dachten: Was ist das denn für ein komischer Vogel? Arbeitet auf einer Ölplattform und fährt ein Elektroauto! Das denken sie höchstwahrscheinlich heute noch. Sollen sie nur. Ich hatte einfach einen besseren Riecher. Viele von denen sind jetzt arbeitslos. Mein Interesse für Elektro-Autos hat sich so entwickelt. Mich hat Motortechnik immer fasziniert. Ich hatte bestimmt schon an die hundert Motorräder – und genauso viele Autos. Da ist alles dabei: Zweiräder, Dreiräder, Vierräder, Diesel, Benziner, Elektroautos."
Robort Kristensen, Ex-Ölarbeiter und Betreiber eines Elektroauto-Verleihs in Stavanger
Der Ex-Ölarbeiter Robort Kristensen betreibt in Stavanger eine Elektroauto-Verleih.© Michael Frantzen

Elektro-Autos sind beliebt

Roborts Handy: Es steht kaum still. Der Anruf jetzt ist wichtig, ergo muss er ran. Am anderen Ende ist ein Interessent, der eines seiner Elektro-Autos mieten will. Umgerechnet zwölf Euro kostet das günstigste Modell pro Tag, PS-stärkere um die 50:
"Wenn du dein eigener Boss bist, ist das Problem: Jeder Anruf, den du nicht annimmst, ist verlorenes Geld. Früher, auf der Bohrinsel, wusste ich: Ich muss von dann bis dann arbeiten. Und danach habe ich Feierabend. Jetzt muss ich ständig zu erreichen sein. Manchmal vergesse ich aus Versehen mein Handy und nach zwei Stunden fällt mir auf: Meine Güte, war das entspannend. Nicht ständig diese Anrufe. So. Ich muss kurz auf mein Handy schauen. Sehen Sie: Schon wieder ein paar verpasste Anrufe."
Das ist sie also: Die Kommandozentrale, wie Robort ironisch seine unterirdische Werkstatt nennt. Gerade macht sich Magnus, sein 20-jähriger Sohn, an einem defekten Elektro-Citroen zu schaffen. Irgendetwas mit der Zündung. Der Wagen gehört zum Privat-Fuhrpark der Familie, genau wie das Modell hinten.
Der graue Zweisitzer ist ein "THINK", ein norwegisches Elektroauto. Robort schnappt sich einen Hammer. Anders als die norwegische Erdölindustrie ist das Plastik-Geschoß unverwüstlich:
"That will not destroy the car. (lacht) It's undestructible."
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