Krise in der Ukraine

    Krieg oder Frieden?

    Russlands Präsident Wladimir Putin in seiner Residenz Novo-Ogaryovo
    Russlands Präsident Wladimir Putin in seiner Residenz Novo-Ogaryovo © AFP / Alexei Nikolsky
    Von Gesine Dornblüth |
    Viele Menschen in Russland leben in der Überzeugung: Wir kommen schon zurecht, Hauptsache es gibt keinen Krieg! Ob der tatsächlich abgewendet werden kann, entscheidet aber die politische Elite Russlands, sagt unsere Korrespondentin Gesine Dornblüth. Und wie diese Entscheidung zustande kommt, ist völlig intransparent.
    In Osteuropa, und nicht nur dort, geht die Angst um. Kommt es zum Krieg in der Ukraine? Zwischen Russland und seinem Nachbarn, eventuell gar zwischen Russland und dem Westen? Die Menschen fragen sich das aus ganz unterschiedlichen Perspektiven. Die einen sehen Putin als Kriegstreiber. Sie haben gute Gründe. Russland hat den Konsens zivilisierter Staaten gebrochen und Grenzen des Nachbarlandes mit Gewalt verändert. Präsident Putin hat gezeigt, dass er in imperialen Denkmustern des 19. Jahrhunderts denkt.
    Viele Russen ihrerseits fürchten sich vor Neofaschisten aus der Ukraine, vor den USA, die Russland mit Spionen unterwandern, Russland mit ihrem Raketenabwehrsystem bedrohen, Russland in einen Krieg zwingen. Alle Beteiligten – im Osten wie im Westen – gehen davon aus, dass die jeweils andere Seite von Propaganda fehlgeleitet ist.
    Doch es gibt einen Unterschied. Während die Menschen im Westen, besonders in Deutschland, sich angesichts ihres abhanden gekommenen Sicherheitsgefühls darüber zerstreiten, wer Schuld ist, bietet sich in Russland ein ganz anderes Bild. Hier schweißen die Angst und der Siegestaumel die Menschen zusammen. Präsident Putin erhält soviel Zustimmung wie lange nicht. Aus westlicher Sicht ist das absurd. Es waren ja die Völker der Sowjetunion, die am meisten unter dem Zweiten Weltkrieg gelitten haben.
    Reist man durch Russland und fragt die Menschen, wie sie ihren oft schweren Alltag meistern, sagen sie oft unendlich geduldig: "Lisch by ne vojna" – wir kommen schon zurecht, Hauptsache, es gibt keinen Krieg. Gerade unter Putins Wählern, einfachen Leuten, Alten, ist diese Formel verbreitet. Ob die Menschen in Russland bereit sind, auch diesen Konsens des "Lisch by ne vojna" aufzugeben, wird entscheidend sein.
    Russland initiiert Eskalation
    Denn ob es Krieg gibt, hängt von Russland ab. Daran ändern auch dreiste russische Umdeutungsversuche nichts. Es ist Russland, das die Situation eskaliert.
    Diese Woche war in dieser Hinsicht besonders beunruhigend. Da ist nicht nur das erneute Militärmanöver Russlands direkt an der Grenze zur Ukraine. Auch die Rhetorik in Moskau muss aufschrecken lassen. Zunächst sprach Kremlsprecher Dmitrij Peskow von einem, so wörtlich, "Militärputsch" in der Ukraine. Das ist Unsinn. Die Übergangsregierung besteht nicht aus Generälen, sondern in erster Linie aus Politikern, die Janukowitsch loswerden wollten.
    Mitte der Woche legte Putin nach, sprach von einer "Militärjunta", von "schweren Verbrechen" gegen die "friedliche Bevölkerung". Das beschreibt genau die Grundlage, auf der üblicherweise Militäreinsätze der UNO und der NATO im Ausland beschlossen werden. Und zwar: Friedenseinsätze. So hätte Russland sogar noch die Moral auf seiner Seite. Außenminister Lawrow hatte zuvor bereits auf Georgien verwiesen. Dort hatte Russland 2008 Partei für die Südosseten ergriffen. Südossetien war aber von der Armee Georgiens mit Granaten beschossen worden. Das ist mit der Ostukraine also überhaupt nicht zu vergleichen.
    Sanktionen führen nur zu Trotzreaktionen
    Nun behauptet der Übergangspräsident der Ukraine, Arsenij Jazenjuk, Russland wolle einen Dritten Weltkrieg anzetteln. Auch das ist Unsinn. Aber ein russischer Militäreinsatz rückt weiter in den Bereich des Möglichen. Man fragt sich, was Putin von einem Marschbefehl abhalten kann. Sanktionen des Westens sicher nicht. Putin hat sie diese Woche erneut klein geredet – sie seien ärgerlich, aber würden ihr Ziel verfehlen. Da hat er leider recht. Zumindest, wenn das Ziel heißt, Russlands Außenpolitik zu verändern.
    So wichtig Sanktionen sind, sie wirken nur langfristig. Kurzfristig lösen sie Trotzreaktionen aus und schweißen die russische Bevölkerung zusammen wie es auch bereits die Angst bewirkt. Schon fordern Politiker die Selbstisolation Russlands, eigene Kreditkarten, Urlaube in Russland statt im Ausland, ein eigenes Internet. Absurd, aber eine Tatsache.
    Und doch gibt es ein Argument, das logischerweise gegen einen Militäreinsatz mit dem Ziel der Abtrennung der Ostukraine spricht. Das sind die separatistischen Bestrebungen im eigenen Land, in Dagestan, in Tschetschenien, selbst aus Sibirien werden Rufe nach Unabhängigkeit gemeldet. Vielleicht hat Putin deshalb vor einigen Wochen gesagt, eine Abspaltung der Ostukraine sei nicht im Interesse Russlands. Aber darüber kann man, wie so oft in diesen Tagen, nur spekulieren. Denn die Entscheidungen treffen in Russland einige wenige, und die Entscheidungsfindung läuft komplett intransparent ab.