Krise: Die Menschen spannen einen "seelischen Rettungsschirm" auf

Der Geschäftsführer des "rheingold Institut für qualitative Markt- und Medienanalysen", Stephan Grünewald, sieht starke psychologische Auswirkungen der europäischen Finanz- und Schuldenkrise auf die Menschen. Man habe das Gefühl, die Krise habe kein Ende.
Der Verdruss und die Besorgnis über diese Krise führten dazu, dass die einzelnen Menschen "seelische Rettungsschirme" aufspannten, um mit dieser Lage überhaupt klarzukommen, sagte Grünewald. Die Menschen in Deutschland erlebten seit Jahren eine "kafkaeske Krisenpermanenz": "Früher hatte man das Gefühl, die Krise ist endlich. Und man kann die Krise wie eine Sau durchs Dorf treiben ( ... ) Heute ist man in einem globalen Dorf ohne Ortsausgang."

Die Menschen hätten mittlerweile das Gefühl, dass das System dem Abgrund entgegen gehe, äußerte Grünewald. Und die Vorstellung, dass man überhaupt keine Idee habe, was danach komme, sei ungeheuerlich: "Und die führt dazu, dass die Leute massiv versuchen, die Krise aus ihrem Alltag auszublenden. Das heißt, die Menschen wissen um diese Krisengefahr, aber sie schalten in ihrem Privatleben den Autopiloten an. Sie konsumieren, sie freuen sich über Fußball, sie stürzen sich in Arbeit, um ja nicht an diese ungelösten Probleme zu rühren."

Psychologisch könne man nur von einer Krise reden, wenn das Leben in irgendeiner Weise eingeschränkt sei, betonte Grünewald. Diese Einschränkung erlebe man in Deutschland noch nicht: "Wir sind in einem ganz komischen Zwischenzustand. Einerseits fühlen wir Normalität, andrerseits ahnen wir den Abgrund. Und das führt zu diesem 'seelischen Rettungsschirm', dass wir die Augen verschließen, dass wir hoffen, das wir noch ein paar ruhige Jahre genießen können."

Das vollständige Gespräch mit Stephan Grünewald können Sie bis mindestens 27. November 2012 als MP3-Audio in unserem Audio-On-Demand-Player nachhören.

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