Krippendorff: Obama betont Besonderheit Amerikas durch historische Bezüge

Ekkehart Krippendorff im Gespräch mit Joachim Scholl · 21.01.2009
Aus Sicht des Politologen Ekkehart Krippendorff waren es vor allem die zahlreichen Hinweise auf die amerikanische Geschichte, die die Antrittsrede des neuen Präsidenten Barack Obama ausgezeichnet haben. Mit Beispielen aus der Vergangenheit habe Obama die Einzigartigkeit der Vereinten Staaten betont - und das zu Recht, sagte Krippendorff. Mit dem Verweis auf die Geschichte habe er seine Landsleute bestärken wollen, die kommenden Herausforderungen anzunehmen und zu meistern.
Joachim Scholl: Es war ein wahrhaft globaler Moment kurz nach 12 Uhr mittags Ortszeit gestern in Washington, als der erste afroamerikanische Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, Barack Obama, seinen Amtseid ableistete und dann in seiner Ansprache eine neue Zeit, eine neue Ära auch der Weltpolitik beschwor. Überall auf dem Globus hat man dieses Ereignis, diese Bilder verfolgt, auch in Kenia, in Frankreich, in China oder in Lateinamerika.

Reportage: Während die Sonne rot glühend am Horizont erscheint, wird in Kisumu im Westen Kenias immer noch gefeiert.

"Ich bin so froh, Obama wird Afrika führen, er ist ein Präsident für die ganze Welt", sagt einer der Feiernden. "Obama wird seine afrikanischen Wurzeln nie vergessen", grölt ein anderer glücklich, "ich gratuliere dir, Barack Obama, du bist mein Mann!"

In Frankreich ist Obama vor allem der Hoffnungsträger der Einwanderer. Viele von ihnen fühlen sich noch immer diskriminiert in der ehemaligen Kolonialmacht, sie hoffen jetzt auf einen Obama-Effekt, darauf, dass auch Frankreich ernst macht mit dem Grundsatz der französischen Revolution, wonach alle Menschen gleich sind.

Noch hat Barack Obama keinen Fuß auf einen der lateinamerikanischen Staaten gesetzt, doch schon jetzt werden ihm mehr Sympathien entgegengebracht, als seine Vorgänger, insbesondere George W. Bush, je hatten. Lateinamerika verknüpft mit dem Amtsantritt von Barack Obama die Hoffnung, dass die Beziehungen, die in den vergangenen acht Jahren aus Sicht der USA vor allem durch Gleichgültigkeit gekennzeichnet waren, sich deutlich verbessern. Obama soll sich wieder mehr um die Region zwischen Rio Grande und Feuerland kümmern, lautet in diesen Tagen die Erwartung, die von den Staatschefs in Mittel- und Südamerika geäußert wird.

Erst in den Morgennachrichten haben die meisten Chinesen von Obamas Antrittsrede gehört. Der neue US-Präsident sprach nach chinesischer Ortszeit mitten in der Nacht. Bei denen, die sich damit beschäftigt haben, kam die Rede gut an. Mit Einschränkungen. Zwei junge Pekinger: "Seine Rede war überzeugend, seine Gedanken sind anständig und als Persönlichkeit finde ich ihn attraktiv."
"Er ist kein Roosevelt, sein Programm klingt nicht sehr revolutionär. Wir wissen nicht, was er in der Zukunft für Veränderungen bewirken kann. Aber er spricht gut und ist überzeugend."

Scholl: Stimmen aus aller Welt, gesammelt von unseren Korrespondenten zum Amtsantritt von Barack Obama. Im Studio ist jetzt der Politologe Ekkehart Krippendorff, Professor emeritus der Freien Universität Berlin, sein Gebiet war und ist die amerikanische Außen- und Sicherheitspolitik. Guten Morgen, Herr Krippendorff!

Ekkehart Krippendorff: Guten Morgen!

Scholl: In Washington war es Mittag, bei uns früher Abend gestern. Wo und wie, Herr Krippendorff, haben Sie denn das Ereignis verfolgt?

Krippendorff: Es gibt ja hier, was in Deutschland ja vergleichsweise nicht existiert, Americans Abroad. Und hier gibt es eine große Gruppe Democrats Abroad und Republicans Abroad, und die haben eingeladen zu einer großen Inaugural Party im Goya, dem großen ehemaligen Theater am Nollendorfplatz, und dort bin ich gewesen.

Scholl: Das waren, glaube ich, 1000 Leute, entsprechend wird der Pegel gewesen sein?

Krippendorff: Ja, ja.

Scholl: Lassen Sie uns die Rede ein wenig einordnen, Herr Krippendorff. Sie haben schon eine Menge Inaugural Speeches, Amtseinführungsreden amerikanischer Präsidenten verfolgt. Herr Krippendorff, was ist Ihnen besonders aufgefallen gestern, auch gerade, wenn man den historischen Vergleich vielleicht anlegt?

Krippendorff: Der historische Vergleich ist die Historie, das heißt, die enorme Rolle, die die amerikanische Geschichte in dieser Rede selber gespielt hat - es war ja eine sozusagen historische Rede in dem Sinne, dass es eine Wiederbekräftigung der historischen Mission der USA ist, der Bezug auf die Gründungsväter, auf George Washington. Und dieser Appell, wir können etwas tun, wir sind nicht der übliche Nationalstaat, die übliche Nation, sondern Amerika ist etwas anders, und das stimmt auch.

Man muss immer sich daran erinnern, dass Amerika gegründet wurde als ein politisches Experiment, ein Experiment, etwas ganz Neues zu schaffen. Und es zeigt sich auch darin, dass wir zum Beispiel nie reden, völlig falsch eigentlich, von der amerikanischen Regierung, wir sagen immer the administration. Was heißt das? Administration heißt eigentlich, dass das Volk wichtiger ist als die Verwaltung, die Politik ist verwaltet, während das Volk selber seine Sache in die eigene Hand nehmen muss.

Scholl: Lassen Sie uns noch mal bei der Geschichte bleiben, also mit den Gründervätern hat Barack Obama die historische Spanne aufgemacht. Ich fand es sehr interessant, dass er zwischendurch auch die drei Kriegsschauplätze erwähnt hat. Von Gettysburg hat er gesprochen, von der Normandy, also die Normandie, die Befreiung Europas, und Khe San, das ist Vietnam gewesen. Da hat man auch einen Moment gedacht, aha, das gehört auch zur amerikanischen Geschichte und das wird nicht ausgeblendet.

Krippendorff: Und er hat vorher auch noch Concord erwähnt, das heißt der Beginn der amerikanischen Revolution, der militärischen Seite der amerikanischen Revolution. Und das war eigentlich, Amerika ist geworden durch Engagement der Bürger und durch Opfer. Hat mit einem Krieg angefangen, wir haben ständig Krieg geführt, und das ist zu erinnern mit Noblesse, hat er gesagt, ohne deswegen nun also die militaristische Tradition der USA, die es auch gibt und die man ja an der Parade hat ablesen können noch mal, aber ohne die zu betonen, Amerika ist geworden, das, was es ist, durch das Engagement seiner Bürger.

Scholl: Kommen wir zur Rhetorik dieser Rede, ihr Stil. Es war ja eine Rede, die in den ersten Minuten ziemlich düster war. Also da hat einer nicht drum herum geredet, dass es wirklich eine große Menge an Problemen gibt. Und ich habe anfangs gedacht, oh, oh, hier wird Amerika nichts erspart. Wie ging es Ihnen?

Krippendorff: Eigentlich hat es mich erstaunt, dass er vergleichsweise wenig düster gemalt hat, sondern dass er so positiv immer nur appelliert hat noch mal das Thema seines Wahlkampfes, wir können es, Amerika, wir haben große Probleme, aber wir haben die Energie, sie zu lösen. Und da war eigentlich, das Krisenmoment war zwar da und er hat es ausgesprochen, aber eigentlich nicht zum Thema der Rede gemacht. Thema der Rede war, Krise ist da, aber, und da sind auch die historischen Beispiele, angefangen von George Washington, der im ...

Scholl: ... eiskalten Winter ...

Krippendorff: ... da fast draufgegangen wäre mit seinen Truppen. Das ist nicht wichtig. Was wichtig ist, wir schaffen es auch im tiefsten Winter, wir kommen wieder raus.

Scholl: Das war in mehreren Teilen der Rede, fand ich, auch eine nahezu unverhohlene Abrechnung mit der Regierungspolitik seines Vorgängers. Also ständig fielen die Worte new era, eine neue Epoche, von worn out dogmas, von überkommenen Dogmen hat Obama gesprochen. Das sind natürlich die Dogmen der Bush-Regierung gewesen.

Krippendorff: Ja. Ich würde gerne einen Vergleich machen mit einer anderen Regierung und mit einem anderen Präsidenten, auf den er sich auch bezogen hat, indirekt und in seiner Wahlkampagne, und das ist Abraham Lincoln. Und Abraham Lincoln hat einen Bürgerkrieg führen müssen. Und als Abraham Lincoln sein Amt antrat, was genauso dramatisch war damals, stand bevor die Möglichkeit des Bürgerkriegs, und sie ist ja auch dann eingetreten. Und Obama sieht, so scheint mir, seine Präsidentschaft in dieser kritischen Situation. Amerika steht nicht gerade vor einem Bürgerkrieg in einem engeren Sinne, aber im weiteren Sinne, wenn das, was er ...

Das ist ja einer der wenigen Politiker, die erkannt haben die Dramatik der Krise, in der wir uns befinden. Nicht nur die USA, sondern offensichtlich wir auch. Deswegen auch dieser sehr deutliche Appell, wir müssen Amerika umbauen. Und dieses Umbauen bedeutet enorme Konflikte, ähnlich wie eben das Umbauen Amerikas durch die Aufhebung der Sklaverei vor 100 Jahren.

Und das Vorbauen gegenüber diesen Konflikten, die es jetzt geben wird, wenn die Autoindustrie aufhört, wenn wir wirklich ökologisch umbauen, dann bedeutet das für viele Leute große Opfer. Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt, und das hat er auch noch mal deutlich gesagt. Und indem wir über diese Verhältnisse gelebt haben, bedeutet das, wir werden jetzt Konflikte haben. Man kann diese Lösung, die wir anstreben müssen, nicht gratis haben.

Scholl: Nun hat man an diesem Millionenpublikum gestern gesehen in Washington an den vielen TV-Bildern, auch aus ganz Amerika, wie da Leute wie du und ich auf den Straßen standen und sich in den Armen hielten, auf die Übertragung schauten. Man hat ja das Gefühl, dass mit diesem Mann die Politik auch dort angekommen ist, wo die Gesellschaft sich wirklich befindet, dass man spürt, dass dieser Politiker weiß, wie es eben auch unten aussieht, weil er eben auch aus kleinen Verhältnissen kommt. Wie wichtig schätzen Sie das ein, dass für Amerika das ist, dass hier kein Mann des Establishment antritt, also kein Mann des amerikanischen Geldadels da oben steht, sondern eben ein Mensch, der wirklich durch die Schicht nach oben diffundiert ist.

Krippendorff: Ja, weil es ist in der Tat von großer Wichtigkeit. Wenn wir vergleichen mal Obama mit anderen Staatsmännern heute, es gibt keinen, den ich kenne, auf dieser Höhe, wenn wir Ministerpräsidenten oder Minister dazurechnen, der so viel Lebenserfahrung hat in anderen Kulturen wie Obama. Wenn Sie vorher noch mal Kenia eingespielt haben und Kenia sagt, es ist unser Mann. Das sagen sie in Indonesien auch, das sagen sie in Hawaii.

Der war Straßenarbeiter in Chicago, ein Mann, der wirklich die Menschen von unten her kennt und sagt, ich will in die Politik gehen, weil ich die Menschen kenne und nicht, weil ich Macht haben will und weil ich ehrgeizig und ambitioniert bin. Natürlich ist er ehrgeizig und ambitioniert, aber auf einer ganz anderen Weise. Und wie gesagt, mit einer Lebenserfahrung, die ihn vor allen anderen politisch, Konkurrenten oder Kollegen, eigentlich auszeichnet.

Scholl: Die stärkste Metapher dieser Rede fand ich die offene, ausgestreckte Hand gegenüber der geballten Faust des Gegners: to unclench your fist, sozusagen "öffnet eure Fäuste, wenn wir euch mit offener Hand entgegentreten". Wird das die amerikanische Außen- und Sicherheitspolitik prägen? Man hofft es.

Krippendorff: Davon gingen wir ja aus oder geht die Hoffnung der Welt aus, dass hier ein neuer Anfang gemacht wird. Die offene Hand wird ja auch ausgestreckt gegenüber der muslimischen Welt, und zwar ganz explizit. Er sagt, wenn ihr auf uns zukommen wollt, wir sind bereit, die Hand euch zu geben, und nicht auf Konfrontation. Und das ist ja die einzige Chance, die wir haben, auch im Mittleren Osten, dass die Konfrontationspolitik aufhört, insbesondere gegenüber Iran, dass die aufhört zugunsten eines Dialoges.

Scholl: Barack Obama ist der neue amerikanische Präsident. Danke Ihnen, Ekkehart Krippendorff, Politologe und Amerikaexperte, für dieses Gespräch und Ihren Besuch!

Krippendorff: Gerne.