Krippe und Krippen

Von Heribert Prantl · 10.03.2007
Um zu verstehen, warum sich christliche Konservative mit Kinderkrippen und Kinderkrippen-Programmen so schwer tun, muss man sich die klassische Krippe, die Weihnachtskrippe, näher ansehen. Die Krippenprogramme der Ministerin von der Leyen ermöglichen es beiden Eltern, zu arbeiten. Sie verändern die klassische, heilige Familie.
"Wer Schweine erzieht. ist ein produktives, wer Menschen erzieht ein unproduktives Mitglied der Gesellschaft!" Friedrich List schleuderte diesen Satz im Jahr 1841 der liberalen Nationalökonomie entgegen. Friedrich List war der Mitbegründer des Deutschen Handels- und Gewerbevereins, Professor für Staatswirtschaft und Staatspraxis in Tübingen. So alt und böse sein Wort auch ist, es trifft – trotz Kinder- und Erziehungsgeld, trotz der Steuerfreibeträge für Kinder – noch immer und auf neue Weise.

Wer Schweine erzieht, gilt als ein produktives, wer Menschen erzieht als ein unproduktives Mitglied der Gesellschaft. Die Leistungen der Familie gehen nicht in die Berechnung des Volkseinkommens ein. Die Familien tragen die Lasten des sozialen Systems und ernten dafür – Nachteile. Kindererziehung wird vom Staat zu wenig geachtet und nicht ausreichend honoriert.
Die Arbeitswelt hat keine kinderfreundlichen Züge, ihr Gesicht ist immer kinderfeindlicher geworden. Kinder sind aus dem Arbeitsleben ausradiert, als gäbe es sie nicht – und sie sind dort ein Handicap für die, die sie haben. Erst als ausgebildete Arbeitskräfte richtet sich das Interesse des Arbeitsmarktes auf sie – allerdings nur, wenn sie den Wünschen und Anforderungen des Arbeitsmarktes entsprechen.

Das ist die Situation – und in die Klage über die Benachteiligung von Familien stimmen auch die konservativen und konservativsten Kreise der CDU/CSU gerne ein. Wenn es aber darum geht, mit einem großen Programm für mehr Krippenplätze Abhilfe zu schaffen, wenn es darum geht, beruftstätigen Eltern zu helfen – dann auf einmal gilt es als Bedrohung der Familie, wenn beide Eltern arbeiten wollen oder müssen und ihnen das ermöglicht wird. Und es wird dagegen das Modell der angeblich heilen Familie gestellt: Vater arbeitet, Mutter bleibt zu Hause. Die Krippenprogramme gelten als Störprogramme für diese heile Familie. Daher wird die Krippe für Kleinkinder als sozialistisches Teufelszeug verdammt.

Um zu verstehen, warum sich christliche Konservative mit Kinderkrippen und Kinderkrippen-Programmen so schwer tun, muss man sich die klassische Krippe, die Weihnachtskrippe, näher ansehen. Jeder Atheist kann die einschlägigen Requisiten herunterbeten: Da ist der Futtertrog Jeder Atheist kann die einschlägigen Requisiten herunterbeten: Da ist der Futtertrog mit dem Kind, daneben sind Ochs und Esel, Hirten, Schafe, Engel. Maria und Josef gehören zum Grundbestand, waren aber nicht immer dabei.

In den frühen Jahrhunderten interessierte sich das Christentum weder für einen Vater noch für eine Mutter, sondern allein für das Kind. Statt Eltern hatte das Christkind Ochs und Esel. Der Ochse, ans Joch des Gesetzes gespannt, stand für die Juden, der Esel für die Heiden – als Bild der Kirche aus Juden und Heiden. Maria saß abseits, an den Rand des Geschehens gerückt; erst nach ein paar hundert Jahren sieht man sie als Wöchnerin im Vordergrund. Und als Maria dann ihren festen Platz im Krippenbild gewonnen hatte, fand auch Josef, in Andachtsstellung, den seinen.

Die Gegenreformation, und hier wird es interessant und spannend für unseren Kontext, hat diese drei Hauptpersonen der Krippe zur Heiligen Familie formiert und den Christen als gottgefälliges Vorbild gegeben: Maria als Hausfrau, Josef als Zimmermann, und zu Füßen spielt das Kind. Und so war Weihnachten moralapostolisch trefflich genutzt, waren die häuslichen Tugenden und das christliche Familienideal dauerhaft etabliert und mit der Marienverehrung verbunden. Die heile kleine Welt entstand, die arm, sehr arm sein kann, in die das Unheil aber nicht hineinkommt. Das Unheil beginnt nach konservativer Auffassung, wenn diese heile Welt, wenn diese Familienordnung gestört wird.

Die Krippenprogramme der Ministerin von der Leyen ermöglichen es beiden Eltern, zu arbeiten. Sie verändern die klassische, heilige Familie. Deshalb tun sich christliche Konservative so schwer; sie hängen an dem von ihnen romantisierten alten Bild. Vielleicht würde es sich lohnen, mit manchen Konservativen über ihre persönlichen Familienerfahrungen zu plaudern.

Wie war denn, so fragte jüngst die "Süddeutsche Zeitung", die Kindheit vor 50, 60 Jahren, mit strengem, oft abwesendem Vater und allgemein akzeptierter Prügelstrafe? Wie erlebte eine junge Frau die sechziger Jahre, als ihre Chancen auf Bildung so viel niedriger waren als die der jungen Männer? Diese Fragen sind nicht inquisitorisch gemeint, sie sollen nur vor Idealisierungen warnen.

Die Familienministerin von der Leyen hat den für die CDU/CSU noch immer schmerzhaften Prozess der Entromantisierung eingeleitet. Es geht, nicht nur für die CDU/CSU, darum, wie der Wert, den die klassische Krippe, die Weihnachtskrippe,verkörpert, in die neuen, komplizierteren Zeiten gerettet wird. In einer Zeit von Patchworkfamilien, in einer Zeit von immer mehr Familien mit Migrationshintergrund, ist die klassische Krippe ein Symbol dafür, was Menschen brauchen und worum sich Politik kümmern muss: Heimat.

Das familienpolitische Programm von Ursula von der Leyen ist auch ein solches Heimatprogramm – weil es hunderttausenden von Familien das Leben leichter machen kann und weil es die Entscheidung für Kinder erleichtert. Ein Land mit Kindern bleibt Heimat.

Dr. Heribert Prantl ist Leiter der Redaktion Innenpolitik der "Süddeutschen Zeitung".