Kriminologe zu Videos von Polizeieinsätzen

Wo der Staat Gewalt erlaubt, muss sie auch kontrolliert werden

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Die Zeichnung zeigt die Figur des Michel Zecler, der in seinem eigenen Musikstudio von Polizeibeamten gewaltsam geschlagen wurde.
Die Zeichnung weist auf Michel Zecler hin, der in seinem Musikstudio von Polizeibeamten gewaltsam geschlagen wurde, was auf Video dokumentiert ist. © NurPhoto / Alain Pitton
Tobias Singelnstein im Gespräch mit Vladimir Balzer · 30.11.2020
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Videos und Filmaufnahmen tragen immer wieder zur Aufdeckung von Polizeigewalt bei. Der Kriminologe Tobias Singelnstein sieht in ihnen "wichtige zusätzliche Beweismittel" - und hofft, dass sich die Haltung der Polizei gegenüber solchen Aufnahmen ändert.
Nach dem brutalen Polizei-Einsatz gegen einen schwarzen Musikproduzenten in Paris wird nun gegen die Beamten ermittelt. Justiz-Angaben zufolge wurde ein offizielles Ermittlungsverfahren wegen "vorsätzlicher Gewalt" eingeleitet.

Debatte um das Sicherheitsgesetz

Der Vorfall hat direkte Auswirkungen auf die Debatte in Frankreich über das neue Sicherheitsgesetz, mit dem das Filmen bei Polizeieinsätzen unter bestimmten Bedingungen unter Strafe gestellt werden soll. Denn der Übergriff auf den Musikproduzenten Michel Zecler war von einer Überwachungskamera aufgezeichnet worden - die Bilder zeigen, wie er geschlagen und getreten wird.
Gegen die entsprechende Passage im Gesetz hatte es zudem massive Proteste gegeben, Journalisten sprechen von einem "Filmverbot". Nun soll der Artikel 24 überarbeitet werden, wie es nach einer Krisensitzung mit Präsident Emmanuel Macron hieß.
Von hinten zu sehende Demonstranten halten bei einem Protest gegen das neue Sicherheitsgesetz in Frankreich Handys in die Höhe, weil das Gesetz das Filmen von Polizeieinsätzen in Zukunft verbieten soll.
Handys in die Höhe: Protest gegen das neue Sicherheitsgesetz in Frankreich.© imago images / Estelle Ruiz / Hans Lucas
Die Diskussionen um das Filmen von Polizeieinsätzen gibt es nicht nur in Frankreich - auch in den USA und in Deutschland kocht das Thema immer wieder hoch. Videos können bei der Klärung, was tatsächlich bei einem Vorfall passiert sei, eine wichtige Rolle spielen, sagt der Kriminologe Tobias Singelnstein. Er plädiert jedoch zugleich für Zurückhaltung bei der Bewertung der Bilder. Man müsse immer fragen, ob diese möglicherweise nur einen Ausschnitt des Gesamtgeschehens zeigten.

Die Polizei nutzt Bodycams

Dennoch seien solche Videos "wichtige zusätzliche Beweismittel", so der Kriminologe. Besonders, wenn Aussage gegen Aussage stehe: "Das sieht ja offensichtlich auch die Polizei so, die in immer mehr Bundesländern die sogenannten Bodycams anschafft, um selbst ihrerseits Aufzeichnungen von Situationen anzufertigen."
Die Rechtslage in Deutschland sei beim Filmen von Polizeieinsätzen "relativ klar", berichtet Singelnstein. Aufnahmen seien "grundsätzlich" erlaubt, solange man nicht vertrauliche Gespräche aufzeichne. Nur dürften diese Aufnahmen nicht veröffentlicht werden, beispielsweise in sozialen Netzwerken.
Diese Lösung stehe dem demokratischen Rechtsstaat gut, betont Singelnstein. Denn wenn die Polizei in bestimmten Situationen befugt sei, Gewalt einsetzen, dann gehöre auf der anderen Seite auch dazu, dass die Ausübung dieser Gewalt kontrolliert werde: "Dazu können solche Videos beitragen."

Gut für den Rechtsstaat

Die Beamtinnen und Beamten wiederum seien sich der Kontrolle durch das Filmen ihrer Einsätze sehr bewusst, meint der Kriminologe - sie täten sich aber schwer damit. Wünschenswert sei hier eine professionellere Haltung bei der Polizei. Denn diese nehme insgesamt keinen Schaden durch die Veröffentlichung von Einsatz-Videos.
Die Polizei genieße nach wie vor in der Gesellschaft hohes Vertrauen, sagt Singelnstein. Zugleich würden aber einzelne Handlungen von Polizisten heute kritischer begutachtet und stärker hinterfragt, als das früher der Fall gewesen sei. Für den demokratischen Rechtsstaat sei das eine positive Entwicklung.
(kpa/ahe)
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