Kriminalprävention

Sicherheit und ihre Grenzen

Ein junger Mann hebt seine geballte Faust
Gerade Jugendgewalt macht Polizisten zunehmend zu schaffen. © dpa / picture alliance / Karl-Josef Hildenbrand
Moderation: Katrin Heise · 12.05.2014
Kann man mit Sport oder Musikunterricht vermeiden, dass Menschen straffällig werden? Die bayerische Kriminologin Wiebke Steffen bewertet dieses Herangehen skeptisch. Die Expertin spricht auf dem Deutschen Präventionstag in Karlsruhe.
Katrin Heise: Wir wollen uns das Prinzip der Kriminalitätsvermeidung, der Kriminalitätsprävention mal genauer ansehen. Geht es beispielsweise um Vermeidung oder Verhinderung von Kindesmissbrauch, oder Vermeidung von rechten Gewalttaten, dann unterstützen natürlich viele präventive, vorbeugende Maßnahmen. Vor grenzenloser Prävention haben dagegen immer mehr Menschen doch Angst. Da klingt Prävention dann nach Daten sammeln, Überwachung, vielleicht auch nach Aussortieren. Wiebke Steffen ist Kriminologin, war 30 Jahre lang beim Bayerischen Landeskriminalamt und beschäftigt sich vor allem mit Verbrechensvorbeugung. Sie spricht auf dem 19. Deutschen Präventionstag in Karlsruhe auch über dieses Thema, aber jetzt vorher mit uns hier im „Radiofeuilleton". Schönen guten Morgen, Frau Steffen!
Wiebke Steffen: Guten Morgen, Frau Heise!
Heise: Was würden Sie sagen, was ist denn Prävention im Bereich Kriminalität, was gehört dazu?
Steffen: Kriminalitätsvorbeugung oder Kriminalitätsprävention bezieht sich auf alle Maßnahmen und Programme, die direkt oder indirekt darauf gerichtet sind, Kriminalität zu verhindern beziehungsweise das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung zu erhöhen.
Heise: Das eine ist nicht unbedingt das andere, Kriminalität verhindern und das Sicherheitsgefühl erhöhen?
Steffen: Das ist manchmal nicht so ganz auf eine Linie zu bringen, denn immer wenn Sie jetzt an Kriminalprävention appellieren, also daran, dass sich die Bürger vor Straftaten schützen sollen, dann müssen Sie zwangsläufig auch an die Furcht vor Kriminalität appellieren. Das eine geht ohne das andere nicht. Aber wir versuchen, da doch immer einen Weg zu finden, dass wir wirklich was Positives erreichen, ohne die negativen Nebenwirkungen.
Heise: Wer soll eigentlich, wenn ich mir die gesellschaftlichen Bereiche mal vorstelle, in Vorbeugung, Verbrechensvorbeugung einbezogen werden?
Steffen: Im Prinzip alle Politikbereiche. Wir sagen immer, ohne eine gute Lebenslagen-Politik, also im Bereich von Bildung, im Bereich von Arbeit, im Bereich von Wirtschaft, in allen Bereichen, ist auch eine erfolgreiche Kriminalprävention nicht möglich. Nur sollte man durchaus diese Bereiche, also die sogenannte soziale Prävention, etwa durch Investitionen in den Bildungsbereich, und die Kriminalprävention, wo es wirklich ganz gezielt darum geht, Straftaten vorzubeugen, wo man sich wirklich auf Kriminalität bezieht, auseinander halten.
Heise: Warum ist Ihnen das wichtig? Das haben Sie ja eben auch angesprochen: Ich weiß, aus Armut wird geklaut. Dann verhindere ich Verbrechen natürlich am ehesten, wenn ich Menschen in Arbeit und Lohn bringe, wenn ich für Perspektiven sorge.
"Der Kriminalpräventionsbegriff, der neigt zur Entgrenzung"
Steffen: Ja. Nur sind diese Maßnahmen, die arbeitspolitischen Maßnahmen, arbeitsmarktpolitische Maßnahmen, ja nicht primär darauf gerichtet, Kriminalität zu verhindern, sondern, wie Sie es gerade gesagt haben, Menschen in Arbeit und Brot zu bringen. Dass sich das langfristig auch darauf auswirken kann, dass diese Menschen dann seltener straffällig werden, ist unbestritten. Nur sollte man meiner Meinung nach diese Sozialpräventionsmaßnahmen nicht als kriminalpräventiv bezeichnen, wenn sie nicht direkt darauf gerichtet sind.
Heise: Warum sollte man das nicht tun, weil man dann den Begriff irgendwie unlauter verwendet?
Steffen: Ja es heißt immer so schön, der Kriminalitätsbegriff oder der Kriminalpräventionsbegriff, der neigt zur Entgrenzung. Alles und jedes kann ich natürlich im Prinzip unter dem Aspekt der Kriminalprävention betrachten im Leben, aber das würde doch eine sehr starke Verarmung des Lebens auch bedeuten, wenn alles nur aus dem Aspekt der Kriminalprävention betrachtet wird. Deshalb sollte man da möglichst, soweit es möglich ist, trennen. Es kommt natürlich immer wieder zu Überschneidungen und zu Vermischungen, aber zumindest begrifflich sollte da Klarheit herrschen.
Heise: Auch schon allein, um nicht unter dem Label Kriminalprävention Gelder für Projekte zu bekommen, die man sonst vielleicht nicht bekommen würde?
Steffen: Das ist zum Beispiel ein Aspekt, dass viele Sachen zum Beispiel ganz normale Jugendarbeit, Sport oder Musik oder Ähnliches, nur deshalb finanziert wird oder nur dann noch finanziert wird, wenn sie unter dem Aspekt der Kriminalprävention durchgeführt wird, und das ist eine Entwicklung, die ich für bedenklich halte.
Heise: Was sagen Sie zu Streitschlichter-Ausbildung beispielsweise oder Seminaren zur Konfliktbewältigung?
Steffen: Die sind durchaus sehr sinnvoll, haben sich auch als wirkungsvoll erwiesen. Aber auch da sollte man natürlich immer prüfen, ist das wirklich erforderlich. Sie werden ja meistens in Schulen eingesetzt und nicht in jeder Schule ist ein Klima, das unbedingt diese Streitschlichter-Programme erforderlich macht. Auch da sollte ich vor Ort immer prüfen, ist dieses Programm erforderlich, welches der möglichen Programme sollte dann gewählt werden, und dann auch wirklich seine Implementation, wie es eingesetzt wird, wie es umgesetzt wird, und auf seine Wirkung hin überprüfen.
Heise: Mit der Kriminologin Wiebke Steffen spreche ich über Kriminalitätsprävention. - Ich höre raus, Frau Steffen, dass Sie arge Bedenken haben, alles unter kriminellen Gesichtspunkten quasi zu subsummieren. Wie entdeckt man bei der Polizei in der Vorbeugung seine Kunden, seine Fälle? Man muss da zum Beispiel in schwierige Verhältnisse gucken, denke ich. Haben Sie da Angst vor Stigmatisierung?
Steffen: Das ist ein Problem. Auch Kriminalprävention, auch etwas, was wirklich Übel verhindern soll, ist nicht deshalb nur gut, sondern hat wie alles, was wirkt, auch Nebenwirkungen, auch durchaus unerwünschte Nebenwirkungen. Auch kriminalpräventive Maßnahmen sind Maßnahmen, die durchaus eingreifen können, und Sie können damit auch stigmatisieren. Wenn Sie beispielsweise in Schulklassen Programme zur Gewaltprävention anbieten, dann heißt das ja auch, dass Sie diese Schüler und Schülerinnen für potenzielle Täter oder Opfer von Gewalt halten, und das sollte man immer zumindest im Hinterkopf behalten, wenn man solche Programme einsetzt.
"Dann sind wir alle potenzielle Opfer"
Heise: Das heißt, Sie haben Sorge, dass eigentlich dadurch, dass man was Gutes will, nämlich Gewalt verhindern, überhaupt erst das Thema Gewalt so eine große Rolle spielt?
Steffen: Das ist einmal ein Punkt, das ist sehr wichtig, dass Sie das ansprechen. Bei uns hat man ja eigentlich ein ganz starkes Gewalttabu. Wir haben auch seit Jahren eine sehr günstige Entwicklung in dem Bereich eigentlich fast in allen Deliktsbereichen, auch im Gewaltbereich. Die Zahlen steigen also nicht an, weder bei der Polizei noch bei Opferbefragungen. Und wenn wir dieses Thema immer wieder so hochpuschen, dann verfestigt sich aber durchaus in der Allgemeinheit der Eindruck, Gewalt ist ein alltägliches Problem, das einem ständig und überall begegnen kann. Dem ist aber nicht so.
Heise: Ich höre Ihnen gerne zu oder bin sehr interessiert daran, zu erfahren aus Ihrem berufenen Munde, aus dem Alltag kommend, was die Kriminalitätsbekämpfung angeht - seit Jahrzehnten sind Sie damit befasst -, wirklich zu sagen, seid mal vorsichtig mit dem Einsatz der Mittel. Ist das eine starke Diskussion, die bei Ihnen geführt wird?
Steffen: Durchaus! - Durchaus!
Heise: Man erfährt es sonst häufig anders herum. Es wird immer auf Sicherheit, Sicherheit, Sicherheit gepocht, und Sie sagen, Mensch, genießt doch mal das Leben, ohne dass ihr immer die Kriminalität mit reinnehmt.
Steffen: Ja, das Problem ist, dass wir durchaus eine Entwicklung haben zu dem, was man den sogenannten Präventionsstaat nennen kann, das heißt ein Staat, der seine Bürger Kontrollmaßnahmen unterzieht, wo sie sozusagen geschützt werden sollen vor Kriminalität. Dann sind wir alle potenzielle Opfer. Das weiß jeder von uns, wenn er schon mal beim Flughafen eingecheckt hat. Man muss da einfach durch die Sicherheitskontrolle gehen. Und genauso muss man auch nachweisen, dass man kein potenzieller Täter ist, und das halte ich für eine ganz bedenkliche Entwicklung.
Heise: Da gehen wir in einen Bereich von Big Data. In dem Zusammenhang wird doch sehr darüber diskutiert, diese um sich greifende Datensammelei, deren automatische Auswertung jemanden dann ja doch nahe an ein Verbrechen bringen kann, wo man überhaupt nicht selber weiß, dass man quasi auf dem Weg ist, ein Verbrecher zu werden. Es werden Kenntnisse verbreitet über Personen, die, wenn Sie beispielsweise dransitzen würden und sich anschauen würden, wie sieht es in dem Gebiet aus oder welcher Lebenslauf liegt da vor, würden Sie vielleicht gar nicht zu dem Schluss kommen, dass da ein Verbrechen in Planung ist. Das heißt, gespenstische Aussichten, was Big Data angeht?
Steffen: Wir werden ja am Abschluss unseres Präventionstages genau zu diesem Thema einen Vortrag hören von Professor Mayer-Schönberger, der sich damit sehr befasst hat, und ich bin mal gespannt auf diesen Vortrag und was er uns dort darstellen wird. Aber es ist ohne Frage eine Entwicklung, die man nicht nur im Auge behalten soll, sondern die auch wirklich sehr bedenklich ist.
Heise: Andererseits natürlich auch große Chancen bietet.
Viele Akteure und Instanzen gefordert
Steffen: Durchaus! Aber man muss sich überlegen, welchen Preis man dafür zahlt. Und wenn Sie wirklich überall nachforschen, überall überwacht werden, wenn es nicht nur um Gefahrenabwehr, sondern schon um Gefahrenvorsorge geht, wenn, wie es so schön heißt, der Bürger nicht nur auf der Straße sicher sein muss, sondern auch glauben muss, dass er sicher ist, wenn schon die vermeintliche Furcht vor Kriminalität Anlass zum Handeln ist, dann sind das Entwicklungen, die ich für ausgesprochen bedenklich finde und die auch die Freiheitsrechte der Bürger nachhaltig einschränken.
Heise: Das heißt, was finden Sie sinnvoll?
Steffen: Ich halte es immer für sinnvoll, eine genaue Analyse zu machen, wie die Situation eigentlich aussieht, dann darauf die Maßnahmen zu beziehen, also vor Ort die Analyse, genau zu wissen, haben wir Probleme, welche Probleme haben wir, wie können wir sie angehen, was ist sinnvoll, was ist auch wirklich mit Freiheitsrechten und Ähnlichem zu vereinbaren.
Heise: Dann sind Sie quasi eine Vertreterin des Polizisten auf der Straße, oder der Polizistin direkt vor Ort?
Steffen: Nicht nur der Polizei. Es sind ja viel mehr Akteure und Instanzen gefordert. Kriminalprävention ist keineswegs nunmehr eine Aufgabe der Polizei, auch wenn sie nach wie vor eine sehr wichtige Instanz ist, sondern wir haben ja zahlreiche Akteure, denken Sie nur an Schule, denken Sie an Kinder- und Jugendhilfe, die dort sehr aktiv sind, viele staatliche und nichtstaatliche Einrichtungen.
Heise: Wiebke Steffen, die sich als Kriminologin seit Jahren mit Verbrechensvermeidung beschäftigt. Heute spricht sie auch auf dem Deutschen Präventionstag in Karlsruhe. Frau Steffen, ich danke Ihnen ganz herzlich!
Steffen: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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