Kriminalistisches Gespür für den Erfolg

20.06.2013
Gleich beide Krimis, die Jean-Luc Bannalec bisher veröffentlicht hat, stehen im Moment auf der "Spiegel"-Bestsellerliste für Paperbacks. Und der Debütroman von Andrea Sawatzki hält sich seit Wochen in den Charts für Hardcover. Alle drei Bücher eint das Geschmäckle von kalkulierten Erfolgen – was sie nicht unbedingt weniger lesenswert macht.
Bei Andrea Sawatzki ist der Fall klar: Ihr Gesicht kennt man aus dem Fernsehen, aus dem "Tatort". Prominenz zieht immer. Wohl deshalb hat der Piper Verlag ihren Debütroman gleich ins Hardcover-Programm genommen, viel Werbung gemacht, eine große Lesereise organisiert. Nur leider ist Sawatzkis Roman nicht wirklich gut. Sie schreibt über eine Frau, die verstört in einem Wald gefunden und mit dem Mord an einem alten Mann in Verbindung gebracht wird. Das Psychogramm der Hauptfigur ist einigermaßen klischeehaft, die Sprache hölzern und gespreizt. Kein schlimmer literarischer Unfall zwar, eher ein bisschen belanglos. Nur: Normalerweise würde ein Verlag so ein Buch in einer kleinen Taschenbuchreihe verstecken. Oder gar nicht erst drucken. Und noch schlimmer: Hätte ein beherzter Lektor gründlich Stilblüten gerupft, hätte das Buch möglicherweise durchaus seinen Reiz.

Erinnerung an Georges Simenons Kommissar Maigret
Ganz und gar kein literarischer Unfall ist Jean-Luc Bannalecs zweiter Kriminalroman mit Kommissar Dupin, "Bretonische Brandung". Aber auch Bannalec macht mit Blick auf die Verkäuflichkeit alles richtig: Er hat seine Kommissar Dupin-Romane von Anfang an als Reihe angelegt. Das Kriterium "Ferien-Sehnsuchts-Krimi" ist übererfüllt: Die Bücher spielen in der Bretagne und sind voll von poetischen Hymnen auf die Landschaft. Die Figur des Kommissar Dupin erinnert wohl nicht zufällig an ein berühmtes Vorbild von Georges Simenon: ein Eigenbrötler aus Paris, der Kollegen und Vorgesetzte nicht über seine Ermittlungen informiert, was permanent Konflikte auslöst. Bannalecs Kommissar hat auch noch Probleme mit Frauen – und mit seiner Mutter.

In "Bretonische Brandung" darf Dupin auf den idyllischen Glénan-Inseln zehn Seemeilen vor der Küste ermitteln, von wo drei Segler zu einer Reise ohne Wiederkehr aufgebrochen sind. Die Inselbewohner sind ein spezielles Völkchen mit eigenen Gesetzen. Aber die Implikationen des Falles reichen – natürlich – bis in die höchsten Kreise. Besonders pikant: Jean-Luc Bannalec ist ein Pseudonym, das der Verlag Kiepenheuer & Witsch nicht lüftet, hinter dem aber der Chef des S. Fischer Verlags, Jörg Bong, vermutet wird. Schreibt hier also ein Verleger anspruchsvoller Literatur selbst Krimi-Bestseller?

Bei der Lektüre von "Bretonische Brandung" spürt man jedenfalls, dass der Autor die Zutaten für einen erfolgreichen Krimi genau kennt – weil er sie wirklich alle einrührt: Sogar Tiere kommen vor. Dieses Kalkulierte ruft einen gewissen Widerwillen hervor. Wenn man den ignoriert, ist "Bretonische Brandung" durchaus ein komplexer, spannender, amüsanter und flott geschriebener Kriminalroman.

Besprochen von Dina Netz

Jean-Luc Bannalec: Bretonische Brandung. Kommissar Dupins zweiter Fall
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2013
352 Seiten, 14,99 Euro

Andrea Sawatzki: Ein allzu braves Mädchen
Piper Verlag, München 2013
176 Seiten, 16,99 Euro