Krimi

Männer mit Melone

15.11.2013
Schon zu Lebzeiten des Autors C. S. Foresters verschwand der Roman "Tödliche Ohnmacht" und tauchte erst Jahrzehnte nach dessen Tod wieder auf. Der Krimi durchleuchtet die Psyche der Figuren, offenbart ihre Motive und Schwächen. Und erweckt das England der 1930er-Jahre zum Leben.
Schon zu Lebzeiten des Autors C. S. Foresters verschwand der Roman "Tödliche Ohnmacht" und tauchte erst Jahrzehnte nach dessen Tod wieder auf. Der Krimi durchleuchtet die Psyche der Figuren, offenbart ihre Motive und Schwächen. Und erweckt das England der 1930er-Jahre zum Leben. 2002 kam im Auktionshaus Christie’s in London ein besonderes Exponat unter den Hammer: ein Krimi-Manuskript von Cecil Scott Forester, das mehr als 70 Jahre lang verschollen war. Der Autor hatte sich in den 50er- und 60er-Jahren mit seinen Romanen um den Seehelden Horatio Hornblower einen Namen gemacht. „Tödliche Ohnmacht“ hatte Forester 1935 verfasst, wenig später tauchte er als Korrespondent in die Wirren des Spanischen Bürgerkriegs ein, und das Manuskript verschwand. In seiner Autobiographie sinnierte der Autor über dessen Verbleib: „Es ist möglich, dass noch eine Abschrift existiert, vergessen und verstaubt in einem selten genutzten Lager in Boston oder Bloomsbury.“
Erst 2011 - 45 Jahre nach Foresters Tod - wurde der Text in Großbritannien veröffentlicht und sorgte für gehöriges Aufsehen. Denn Forester zeigt sich nicht nur als feiner Beobachter, sondern stellt sich auch mit der Beschreibung intimer Details gegen die verschämte Prüderie seiner Zeit. Seine Protagonistin ist die Londoner Hausfrau Marjorie, die ein normales Hausfrauenleben führt: zwei Kinder, ein prügelfreudiger Ehemann, ein Alltag zwischen Wäsche, Hausputz und der Frage, was sie am Abend kochen soll. Diese kleine und nicht unbedingt heile Welt bricht zusammen, als Marjorie eines Abends heimkehrt und ihre Schwester Dot tot auffindet, den Kopf im Gasherd. Ein Selbstmord? Marjorie und ihre Mutter haben bald ihre eigene Theorie: Marjories Mann Ted ist der Mörder, Ted, der eine Affäre mit Dot hatte, sie schwängerte und deshalb loswerden musste. Ihn vor Gericht zu bringen ist freilich aussichtslos, und so schmiedet Marjories Mutter einen Plan, um ihn dennoch zur Rechenschaft zu ziehen.
Jahrzehnte der Vergessenheit unbeschadet überstanden
Mit dieser auf den ersten Blick simplen Handlung entfacht Forester ein psychologisches Feuerwerk. Er dringt in die Köpfe seiner Figuren ein, spürt ihren Motiven nach und deckt ihre Schwächen auf, und all das wird umso wirkungsvoller angesichts der fast herausfordernd schlichten Prosa. Forester hetzt und drängt nicht und lässt nur immer wieder die Ahnung hervorblitzen, dass bald etwas fürchterlich schief gehen wird. Gleichzeitig erweckt der Roman eine versunkene Zeit zum Leben, in der Männer mit Melone aus dem Haus gingen, eine Zeitung zwei Pence kostete und Gefühle Privatsache waren und nicht über Facebook in alle Welt posaunt wurden. Es ist eine Nostalgie weitgehend ohne Patina, und nur hin und wieder wird man an das Alter des Romans erinnert, wenn etwa manche Gesten allzu groß scheinen, als befänden sich die Akteure auf einer Bühne.
Dabei hält sich der Autor - abgesehen von gelegentlichen, moralisierenden Bemerkungen - mit Wertungen zurück und auch die Antwort auf die Frage, ob Ted Dot ermordet hat, steht nicht im Vordergrund. Forester geht es um etwas anderes: um ein Sittenbild seiner Zeit, um das Durchleuchten psychologischer Befindlichkeiten und nicht zuletzt darum, eine gute Geschichte zu erzählen, eine zynische, scharfsinnige und fesselnde Geschichte, die die Jahrzehnte der Vergessenheit unbeschadet überstanden hat.
Besprochen von Irene Binal

C. S. Forester: Tödliche Ohnmacht
Übersetzt von Britta Mümmler
Deutschen Taschenbuchverlag München 2013
280 Seiten, 14,90 Euro

Mehr zum Thema