Krimi in 24 Sätzen
Friedrich Dürrenmatt war nicht nur ein begnadeter Dramatiker, sondern schrieb auch Kriminalromane. Sein letzter Krimi "Der Auftrag" liegt nun erstmals in einer ungekürzten Hörbuchfassung vor, gelesen von Dürrenmatts Ehefrau Charlotte Kerr und dem Schauspieler Gerd Heidenreich.
"Als Otto von Lambert von der Polizei benachrichtigt worden war, am Fuße der Al-Hakim-Ruine sei seine Frau Tina vergewaltigt und tot aufgefunden worden, ... ließ der Psychiater, ... die Leiche mit einem Helikopter über das Mittelmeer transportieren, wobei der Sarg, worin sie lag, ..."
"Der Auftrag" ist ein bizarrer Kriminalfall - und als Text eine Überraschung: das Buch ist durchkomponiert wie ein Musikstück, unterteilt in 24 Kapitel, die jeweils nur aus einem einzigen, langen Satz bestehen, der sich schon mal über sechs, sieben, acht Seiten hinzieht:
"mit einem Tragseil unter der Flugmaschine befestigt, dieser nachschwebend, bald über sonnenbeschienene unermessliche Flächen, bald durch Wolkenfetzen flog, ... bis er sich sanft ins offene von der Trauerversammlung umstellte Grab hinunterspulen ließ, das alsobald zugeschaufelt wurde, worauf von Lambert, der bemerkt hatte, dass auch die F. den Vorgang filmte, ... sie kurz musterte und sie aufforderte, ihn noch diesen Abend mit ihrem Team zu besuchen, er habe einen Auftrag für sie"."
Im Buch treiben die "Sätze" die Handlung gnadenlos voran, und erzeugen allein durch ihren Rhythmus eine enorme Spannung, der sich der Leser nicht entziehen kann.
Das Hörbuch, gelesen im "Satz"-Wechsel von Gert Heidenreich und der immerhin über 80-jährigen Charlotte Kerr, lässt diese Spannung eher vermissen: Charlotte Kerr:
""Die F., bekannt durch ihre Filmporträts, die sich vorgenommen hatte, neue Wege zu beschreiten, ... weshalb sie auch das seltsame Begräbnis gefilmt hatte, verblüfft dem massigen Mann nachschauend, von Lambert, der regennass und unrasiert im offenen schwarzen Mantel sie angeredet hatte und grußlos von ihr gegangen war, entschloss sich nur zögernd, die Aufforderung anzunehmen; weil ein ungutes Gefühl ihr sagte, etwas stimme nicht."
Das ist professionell und "schön" gelesen, schließlich ist Charlotte Kerr Schauspielerin. Aber öfter mal setzen beide Interpreten einen Punkt, wo keiner ist, und unterbrechen so den Rhythmus. Das ist schade, weil dabei viel von der "Satz"-Komposition des Autors verloren geht.
Dürrenmatt widmete diese Erzählung übrigens explizit seiner Frau, der Filmemacherin Charlotte Kerr. Sie ist "die F." im Buch.
Gemeinsam entwickelten sie den Plot, und eines Abends, bei einer Flasche Wein und Bachs "Wohltemperiertem Klavier", stand Dürrenmatt auf und sagte "So, jetzt schreibe ich die Geschichte in 24 Sätzen."
Und der rote Pelzmantel, der darin eine entscheidende und irreführende Rolle spielt, war ein Geschenk ihres Mannes. Charlotte Kerr:
""wie sie diese Nacht das Tagebuch Tina von Lamberts gelesen, immer wieder, und wie sie sich vorgestellt habe, wie diese junge Frau in einem roten Pelzmantel in die Wüste hineingeschritten sei, in dieses Meer aus Sand und Stein, sei es ihr, der F., klar geworden, dass sie mit ihrem Team dieser Frau nachspüren und wie diese in die Wüste hinein zur Al-Hakim-Ruine gehen müsse"."
Sie macht sich also auf, um den Tod der jungen Frau zu rekonstruieren. Auf abenteuerlichen Wegen gelangen sie und ihr Kamerateam schließlich in ein C. genanntes arabisches Land, wo Verdächtige verdächtig schnell zu Tode kommen. Gert Heidenreich:
""der fette Polizeichef wälzte sich herein, ... wälzte sich mühsam zum Zwerghaften, Grinsenden, steckte ihm eine Zigarette in den Mund, ... die Polizisten warteten, legten die Maschinenpistolen an, ... der Zwerghafte rauchte, schien endlos zu rauchen, die Polizisten zielten aufs Neue, ein dumpfes Geräusch, der Zwerghafte griff mit den gefesselten Händen nach der Zigarette, ließ sie fallen, trat sie aus, stürzte dann in sich zusammen ... während Blut aus ihm floss, überall"."
Der Zwerghafte war der Täter natürlich nicht, und so landet die Frau im roten Pelzmantel auf der Suche nach dem wahren Mörder mitten in der Wüste – und findet nichts. Das ist wunderbar und spannend geschrieben. Charlotte Kerr und Gert Heidenreich sind Profis genug, um die reichlich verzwickte Story auch verständlich zu machen. Ein wenig mehr Temperament jedoch hätte nicht geschadet.
Die CD 3 dieser Hörbuchausgabe aber enthält ein echtes Schmankerl: Im April 1986 lasen Charlotte Kerr und Friedrich Dürrenmatt elf "Sätze" aus "Der Auftrag" - und ganz wie vom Autor vorgesehen: jeweils einen Satz in einem Stück! Friedrich Dürrenmatt:
""worauf jedes Mal, kaum hätten die ihn mit ihren Ferngläsern Beobachtenden festgestellt, dass er sie mit seinem Spiegelteleskop beobachte, sich diese schleunigst zurückzögen, wobei sich nur die logische Feststellung bestätige, zu jedem Beobachteten gehöre ein Beobachtendes, das, werde es von jenem Beobachteten beobachtet, selber ein Beobachtetes werde"."
Besprochen von Sigrid Menzinger
Friedrich Dürrenmatt: Der Auftrag
Gelesen von Charlotte Kerr und Gerd Heidenreich
Diogenes Verlag, Zürich 2009
3 CDs, 204 Minuten, 24,90 Euro
"Der Auftrag" ist ein bizarrer Kriminalfall - und als Text eine Überraschung: das Buch ist durchkomponiert wie ein Musikstück, unterteilt in 24 Kapitel, die jeweils nur aus einem einzigen, langen Satz bestehen, der sich schon mal über sechs, sieben, acht Seiten hinzieht:
"mit einem Tragseil unter der Flugmaschine befestigt, dieser nachschwebend, bald über sonnenbeschienene unermessliche Flächen, bald durch Wolkenfetzen flog, ... bis er sich sanft ins offene von der Trauerversammlung umstellte Grab hinunterspulen ließ, das alsobald zugeschaufelt wurde, worauf von Lambert, der bemerkt hatte, dass auch die F. den Vorgang filmte, ... sie kurz musterte und sie aufforderte, ihn noch diesen Abend mit ihrem Team zu besuchen, er habe einen Auftrag für sie"."
Im Buch treiben die "Sätze" die Handlung gnadenlos voran, und erzeugen allein durch ihren Rhythmus eine enorme Spannung, der sich der Leser nicht entziehen kann.
Das Hörbuch, gelesen im "Satz"-Wechsel von Gert Heidenreich und der immerhin über 80-jährigen Charlotte Kerr, lässt diese Spannung eher vermissen: Charlotte Kerr:
""Die F., bekannt durch ihre Filmporträts, die sich vorgenommen hatte, neue Wege zu beschreiten, ... weshalb sie auch das seltsame Begräbnis gefilmt hatte, verblüfft dem massigen Mann nachschauend, von Lambert, der regennass und unrasiert im offenen schwarzen Mantel sie angeredet hatte und grußlos von ihr gegangen war, entschloss sich nur zögernd, die Aufforderung anzunehmen; weil ein ungutes Gefühl ihr sagte, etwas stimme nicht."
Das ist professionell und "schön" gelesen, schließlich ist Charlotte Kerr Schauspielerin. Aber öfter mal setzen beide Interpreten einen Punkt, wo keiner ist, und unterbrechen so den Rhythmus. Das ist schade, weil dabei viel von der "Satz"-Komposition des Autors verloren geht.
Dürrenmatt widmete diese Erzählung übrigens explizit seiner Frau, der Filmemacherin Charlotte Kerr. Sie ist "die F." im Buch.
Gemeinsam entwickelten sie den Plot, und eines Abends, bei einer Flasche Wein und Bachs "Wohltemperiertem Klavier", stand Dürrenmatt auf und sagte "So, jetzt schreibe ich die Geschichte in 24 Sätzen."
Und der rote Pelzmantel, der darin eine entscheidende und irreführende Rolle spielt, war ein Geschenk ihres Mannes. Charlotte Kerr:
""wie sie diese Nacht das Tagebuch Tina von Lamberts gelesen, immer wieder, und wie sie sich vorgestellt habe, wie diese junge Frau in einem roten Pelzmantel in die Wüste hineingeschritten sei, in dieses Meer aus Sand und Stein, sei es ihr, der F., klar geworden, dass sie mit ihrem Team dieser Frau nachspüren und wie diese in die Wüste hinein zur Al-Hakim-Ruine gehen müsse"."
Sie macht sich also auf, um den Tod der jungen Frau zu rekonstruieren. Auf abenteuerlichen Wegen gelangen sie und ihr Kamerateam schließlich in ein C. genanntes arabisches Land, wo Verdächtige verdächtig schnell zu Tode kommen. Gert Heidenreich:
""der fette Polizeichef wälzte sich herein, ... wälzte sich mühsam zum Zwerghaften, Grinsenden, steckte ihm eine Zigarette in den Mund, ... die Polizisten warteten, legten die Maschinenpistolen an, ... der Zwerghafte rauchte, schien endlos zu rauchen, die Polizisten zielten aufs Neue, ein dumpfes Geräusch, der Zwerghafte griff mit den gefesselten Händen nach der Zigarette, ließ sie fallen, trat sie aus, stürzte dann in sich zusammen ... während Blut aus ihm floss, überall"."
Der Zwerghafte war der Täter natürlich nicht, und so landet die Frau im roten Pelzmantel auf der Suche nach dem wahren Mörder mitten in der Wüste – und findet nichts. Das ist wunderbar und spannend geschrieben. Charlotte Kerr und Gert Heidenreich sind Profis genug, um die reichlich verzwickte Story auch verständlich zu machen. Ein wenig mehr Temperament jedoch hätte nicht geschadet.
Die CD 3 dieser Hörbuchausgabe aber enthält ein echtes Schmankerl: Im April 1986 lasen Charlotte Kerr und Friedrich Dürrenmatt elf "Sätze" aus "Der Auftrag" - und ganz wie vom Autor vorgesehen: jeweils einen Satz in einem Stück! Friedrich Dürrenmatt:
""worauf jedes Mal, kaum hätten die ihn mit ihren Ferngläsern Beobachtenden festgestellt, dass er sie mit seinem Spiegelteleskop beobachte, sich diese schleunigst zurückzögen, wobei sich nur die logische Feststellung bestätige, zu jedem Beobachteten gehöre ein Beobachtendes, das, werde es von jenem Beobachteten beobachtet, selber ein Beobachtetes werde"."
Besprochen von Sigrid Menzinger
Friedrich Dürrenmatt: Der Auftrag
Gelesen von Charlotte Kerr und Gerd Heidenreich
Diogenes Verlag, Zürich 2009
3 CDs, 204 Minuten, 24,90 Euro