Krimi "Außergewöhnliche Belastung"

    Auf Spurensuche im Finanzamt

    Hörspielautorin Dunja Arnaszus vor dem Finanzamt Elmshorn.
    Detektivischer Blick: Hörspielautorin Dunja Arnaszus fand im Finanzamt eine Geschichte, die selten erzählt wird. © Dunja Arnaszus
    Von Dunja Arnaszus · 01.02.2019
    Hörspielautorin und Regisseurin Dunja Arnaszus über ihre Stoffrecherche im Finanzamt Elmshorn, den alljährlichen Kampf mit den Formularen und die unsichtbaren Helden der Steuerfahndung.
    "Es ist nicht so, dass ich die Steuer nicht zahlen will, ich will ja", sagt Henny Holm und seufzt. Sie ist eine der Hauptfiguren in meinem Hörspiel "Außergewöhnliche Belastung" und hebt an zu einem langen Lamento, das meine Kinder und Freunde jederzeit mitbeten können. Sie kennen Henny Holm in jedem Stadium der Verzweiflung.
    "Manchmal wasche ich sogar die Vorhänge und wische die Schuhregale aus und das mache ich sonst nie, das können Sie mir glauben", fährt mein Alter Ego fort. Vermutlich denken meine Kinder, dass die Steuererklärung ungefähr die Hälfte des Berufslebens ausmacht, so oft palavere ich darüber. Meine kreischwürdigsten Momente beruflichen Triumphs waren auch nicht irgendwelche Stipendien oder Preise, sondern ein Aufschub um zwei, drei Monate und einmal sogar um zwei Jahre, als ich nach Frankreich ausgewandert war. Da hat mir das Amt die Mahnungen an die Atlantikküste hinterhergeschickt, wo sie wahrscheinlich heute noch bei Meeresluft vergilben. Ein Missverständnis, das ich später mit meinem Gerichtsvollzieher bei einem guten Kaffee an meinem Hamburger Küchentisch aufklären konnte.
    Mit der Steuererklärung künstlerisch auseinandersetzen
    Es ist wie gesagt nicht die Unwilligkeit zu zahlen. Ich verstehe nur einfach nicht, welche Zahlen wo hin müssen. Glasig glotze ich auf den Bildschirm, als könnte ein hilfloser Blick irgendeinen Steuererklärungsgott besänftigen. Wenn einen ein Thema auf ungewöhnliche Weise immer wieder beschäftigt, besonders erfreut, zur Verzweiflung treibt, kurz: inspiriert, dann weiß man jedenfalls irgendwann, dass man sich künstlerisch mit ihm auseinandersetzen sollte.
    Wunderbarerweise wurde mir schon wenig später vom Finanzamt Elmshorn ein mehrtägiges Praktikum ermöglicht. Ich durfte mit meinem Aufnahmezeug anrücken, unterzeichnete einen Vertrag, demnach ich keinerlei persönliche Informationen weitergeben durfte, die ich während der Praktikumszeit über die Kunden und Kundinnen erhielt und geisterte durch die Abteilungen. Und selbst wenn ich Fragen hatte, die sich aus dem von mir entwickelten Plot ergaben, waren die verschiedenen Abteilungsleiter und -leiterinnen immer bereit, mir meine Fragen zu beantworten. Könnte sein, dass ich hier und da auch ein paar Fragen gestellt habe, die mit meiner eigenen Steuer zu tun hatten...
    Überrascht und erfreut hat mich im Finanzamt Elmshorn vor allem die besondere Sprache, die es dort gibt, und diese eigene, geschlossene Welt. Wo sonst werden Dinge noch so richtig "auseinander klamüsert"? Wo sonst werden regelmäßig Kaffeetreffen mit den Rentnern veranstaltet? Und gemeinsam verbrachte Freizeit ist auch keine Erfindung moderner Arbeitgeber, im Finanzamt Elmshorn wird gepaddelt und Fußball gespielt, dass sich die Pokalvitrinen nur so biegen.
    Moderne Heldenerzählung, ganz persönliche Katharsis
    Ich lernte also die Leute kennen, die für mich immer weit weg am anderen Ende des Telefons gewesen waren, hörte von ihrem Alltag und ihren Bedenken. Und dabei entstand eine Geschichte, die nicht oft erzählt wird: die Geschichte jener Leute, die dafür sorgen, dass der Staat nicht selber mittellos endet, die mit Aktenordnern als Schwert die Unterhöhlung des Staates verhindern wollen, deren Gerechtigkeitsempfinden gestört wird durch die vergleichsweise geringe Besteuerung von Menschen mit hohen Einkommen. Moderne Helden und Heldinnen, die es bedauern, den Henny Holms dieser Welt nicht mehr erklären zu dürfen, und die einander unterstützen, auch wenn die Auseinandersetzung zum Beispiel mit Reichsbürgern und Reichsbürgerinnen manchmal ganz schön bedrohlich werden kann.
    Übrigens: Eine Kantine gibt es im Finanzamt Elmshorn schon lange nicht mehr, die wurde wegrationalisiert. Aufgenommen habe ich stattdessen den Süßigkeitenautomaten. Und den echten klapprigen 70er-Jahre Fahrstuhl.
    "Meine Frau und ich haben uns über den Buchstaben B kennengelernt, den haben wir beide bearbeitet, da kommt man eben ins Gespräch", erzählte mir mein Sachbearbeiter. Und machte mir schließlich das kostbarste Geschenk überhaupt, eine sehr lange Antwort auf eine sehr wichtige Frage:
    "Nehmen wir mal an, da gäbe es eine Person, die überhaupt keine Ahnung hat, wie man seine Steuer erklärt. Was würden Sie der sagen?"
    Zum Kriminalhörspiel von Dunja Arnaszus:
    Kriminalhörspiel: Ein Reichsbürger im Finanzamt - Außergewöhnliche Belastung
    (Deutschlandfunk Kultur, Kriminalhörspiel, 04.02.2019, 21.30 Uhr)