Krim-Abspaltung

"Der Bevölkerung hat niemand etwas getan"

Eine pro-russische Kundgebung auf der Krim
Eine pro-russische Kundgebung auf der Krim © dpa/picture alliance/Andrey Stenin
Michael Bothe im Gespräch mit André Hatting · 15.03.2014
Der emeritierte Völkerrechts-Professor Michael Bothe hält die Argumentation Russlands für widersprüchlich, die Situation auf der Krim legitimiere eine Abspaltung. Er sieht keine Gefährdung der Bevölkerung.
André Hatting: Morgen stimmen die Bewohner der Krim über ihre Zukunft ab und alles sieht im Moment danach aus, dass die Mehrheit für eine Abspaltung von der Ukraine entscheiden wird – für die Übergangsregierung in Kiew eine Katastrophe, und für den Westen ein Bruch des Völkerrechts. Die Bundeskanzlerin hatte in ihrer Regierungserklärung die Reaktion schon angekündigt: weitere Sanktionen.
Aber warum ist diese Sezession eigentlich völkerrechtswidrig, die von Osttimor, dem Südsudan oder Eritreas dagegen nicht? Das wollen wir uns jetzt von Michael Bothe erklären lassen. Er ist Professor Emeritus für öffentliches Recht und Völkerrecht an der Goethe-Universität Frankfurt. Guten Morgen, Herr Bothe!
Michael Bothe: Guten Morgen!
Hatting: Die Selbstbestimmung der Völker wird ja in Artikel 1 der UN-Charta als oberstes Prinzip der Vereinten Nationen garantiert. Wieso erklärt der Westen das Referendum auf der Krim für unrechtmäßig?
Bothe: Das hat einmal etwas zu tun möglicherweise mit der Frage: Wer ist ein Volk? Ist die Bevölkerung der Krim ein Volk im Sinne des Selbstbestimmungsrechts? Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist aber die Frage, wie denn eigentlich eine Entscheidung über eine Sezession zustande kommt. Wenn sie sozusagen von unten oder von innen kommt, dann ist dagegen völkerrechtlich nie etwas einzuwenden.
Allerdings ist das natürlich nicht so einfach, denn die Frage ist: Wird diese Sezession dadurch irgendwie rechtlich beeinträchtigt, wird sie rechtswidrig, weil sie von außen irgendwie unter Verletzung des Völkerrechts oktruiert ist? Und hier kommt eben dann die russische Aggression ins Spiel. Das ist eben nicht nur Selbstbestimmung, sondern Fremdbestimmung, Folge von Aggression.
"Genauer in die Geschichte hineinschauen"
Hatting: In diesem Fall durch Russland. Sie sind aber sehr vorsichtig in Ihrer Wortwahl, Herr Bothe. Sie sagen: "kann sein" – ist es denn so auf der Krim?
Bothe: Da würde ich dann schon etwas genauer in die Geschichte hineinschauen, wie es mit den Rechtfertigungsstrategien ist, und da haben wir ein großes Problem, nämlich zu unterscheiden zwischen dem, was die NATO seinerzeit 1999 in Bezug auf den Kosovo gemacht hat und dem, was Russland jetzt tut.
Seinerzeit ging es auch darum – das war jedenfalls die Behauptung der intervenierenden Staaten –, dass die Bevölkerung dort zu schützen sei. Eben dies behauptet Russland jetzt auch. Und Russland hat seinerseits – und daran sollte man erinnern – lautstark verkündet, eine solche Intervention zum behaupteten Schutz einer Bevölkerung sei rechtswidrig. Daran sollte man Russland jetzt erinnern.
Hatting: Mit anderen Worten: Der Kosovo ist in diesem Fall eben nicht mit dem zu vergleichen, was auf der Krim stattfindet?
Bothe: Das ist eben die Frage. Der Internationale Gerichtshof hat gesagt, damals war die Sezession nicht verboten, und hat sich mit der NATO-Intervention nicht weiter beschäftigt. Die Frage ist: Muss man das nicht doch tun? Und dafür spricht schon einiges.
"Wo die Sachen nicht entschieden sind"
Hatting: Hängen eigentlich erfolgreiche Sezessionen weniger von der Anwendung des Völkerrechtsprinzips ab als am Ende von der Zustimmung der globalen oder der regionalen Großmächte?
Bothe: Eine Sezession hängt in ihrem Erfolg in aller Regel von der Zustimmung anderer Akteure ab, und darum haben wir auch immer wieder so merkwürdige Zwischensituationen, wo ein Gebilde für die einen ein Staat ist, für die anderen eben noch nicht.
Sehen Sie die Situation des Kosovo: Kosovo wird bis heute von vielen Staaten einschließlich Russlands nicht als Staat anerkannt, von anderen sehr wohl. Wir haben hier also eine Zwischensituation, wo die Sachen nicht entschieden sind, und da muss die Geschichte letzten Endes drüber entscheiden.
Hatting: Es gibt ja auch die Regel, dass die Abspaltung eines Landes teils dann legitim ist, wenn sie einen Notstand beseitigt. Ist das auf der Krim nicht der Fall?
Bothe: Also den Notstand sehe ich da eigentlich nicht. Der russischen Bevölkerung, den Krimtataren, den Ukrainern hat eigentlich niemand etwas getan, bis dann die russische Militärpräsenz oder die etwas zweifelhafte Militärpräsenz auftauchte und die Unruhen begannen.
Reisebeschränkungen und Wirtschaftssanktionen
Hatting: Herr Bothe, Sie haben jetzt schon klargemacht, dass das, dieser Status der Krim, auch, was die Sezession betrifft, nicht so ganz eindeutig zu beantworten sei, aber dass tatsächlich der Vergleich mit dem Kosovo sich dann wohl eher verbietet, heißt also für die Krim in Zukunft, das wird schwierig mit der Sezession und auch der Unabhängigkeit.
Wie soll sich denn, wenn Russland jetzt Fakten schafft, also es das Referendum gibt und sich die Krim de facto von der Ukraine dann löst, wie soll denn der Westen dann damit umgehen?
Bothe: Gegenmaßnahmen im Völkerrecht, auf Völkerrechtsbrüche gibt es nun eine Menge, und da haben wir inzwischen einen Katalog von Maßnahmen, beliebt sind Reisebeschränkungen für verantwortliche Amtsträger, beliebt sind Wirtschaftssanktionen, Unterbrechung von Wirtschaftsbeziehungen, aber auch die Beschlagnahme von Vermögen relevanter Unternehmen und Personen. Da gibt es sehr unterschiedliche Möglichkeiten.
Hatting: Das ist genau das, was die Europäische Union zumindest schon mal angekündigt hat.
Bothe: Ja, in der Tat, da fällt den Politikern selten etwas Neues ein, aber es hat sich in den letzten Jahrzehnten da sozusagen ein Katalog möglicher Maßnahmen entwickelt, der immer wieder eingesetzt wird, mit wechselndem Erfolg.
Hatting: Michael Bothe, Professor Emeritus für öffentliches Recht und Völkerrecht an der Goethe-Universität Frankfurt. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Bothe!
Bothe: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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