Kriegstreiber am Kaiserhof

Der österreichische Feldmarschall Franz Conrad von Hötzendorf gilt als einer der Hauptverantwortlichen für den Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Auch im Privaten war er forsch, doch mangelte es ihm an Einfühlungsvermögen. Kühl und detailliert beschreibt der Wissenschaftler Wolfram Dornik die Biografie dieses zerrissenen Charakters.
Franz Conrad von Hötzendorf: Dieser Name war in Österreich jahrzehntelang jedem Schulkind ein Begriff. Außerhalb Österreichs hingegen war er kaum bekannt. Wer also war dieser Mann, der die österreichische Regierung wiederholt zu einem Angriff gegen Serbien drängte? Der Herr mit dem schicken Schnurrbart, der im Krieg ebenso offensiv vorging wie in der Liebe. Wolfram Dornik, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Ludwig-Boltzmann-Institut für Kriegsfolgen-Forschung, hat sich eingehend mit Hötzendorfs Leben und Wirken befasst und herausgekommen ist eine Biographie, die die Literatur zum Ersten Weltkrieg um einen wichtigen Baustein bereichert.

Dabei geht es Dornik um eine möglichst unvoreingenommene Darstellung jenes Mannes, der in der Armee seine Heimat und seine Berufung gefunden hatte und der sich zeit seines Lebens nicht mit diplomatischen Spielregeln anfreunden konnte. Immer wieder geriet er in Konflikte mit Kaiser Franz Joseph und Thronfolger Franz Ferdinand. Er überwarf sich mit Ministern und Angehörigen des Hochadels und machte sich mit seinen wiederholten Forderungen nach einem Präventivkrieg gegen Serbien unbeliebt. Bereits 1908 hatte er angesichts der Schwäche des Osmanischen Reiches für einen Feldzug gegen Serbien plädiert und in den darauffolgenden Jahren sollte er diese Forderung gebetsmühlenartig wiederholen. "Es drängt sich heute der Eindruck auf", konstatiert Dornik, "dass Conrad seine Strafexpedition gegen Serbien durchführen wollte, koste es was es wolle."

Auch im Privatleben zeigte sich der "Falke in des Kaisers Horst" als Angriffskrieger. Seine spätere zweite Ehefrau Gina bestürmte er jahrelang, ihn zu heiraten, obwohl sie zu dieser Zeit noch verheiratet war. Er schrieb ihr schwärmerische Zeilen und legte ein "Tagebuch meiner Leiden" an, das aus nicht abgeschickten Briefen an Gina bestand. Briefe, die einen anderen Conrad von Hötzendorf zeigen. Einen psychisch labilen und latent depressiven Mann, der über keinerlei Empathiefähigkeit verfügte und der, so vermutet Dornik, im Grunde gar nicht die passende Persönlichkeitsstruktur für sein verantwortungsvolles Amt als Generalstabschef mitbrachte.

All dies fasst der Autor in eine kühle Prosa, sachlich, sauber und solide, und gerade dadurch kommt er seinem widersprüchlichen Protagonisten recht nahe. Dornik ist Wissenschaftler und kein Erzähler und stellenweise geht er fast quälend tief ins Detail, wenn er etwa den Umbau der Armee thematisiert, bei dem sich Conrad von Hötzendorf als progressiver Stratege zeigte. Es ist ein zerrissener Charakter, den Dornik porträtiert, modern und anachronistisch zugleich. Ein Mann, der den Kämpfen mit sich selbst auswich und sie auf Europas Schlachtfelder verlegte. Der Fehlentscheidungen traf, die er später leugnete, und der noch im Alter lernte, was es heißt, arm zu sein.

Inwieweit war Hötzendorf nun mitverantwortlich für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges? Dornik liefert keine Entlastung für ihn, vielmehr eine Erklärung, warum er vor dem Krieg nicht zurückschreckte: "In seinem Weltbild war Krieg die natürlichste Sache der Welt. Es war lediglich eine Frage, wann, gegen wen und mit wem er zu führen sei."

Besprochen von Irene Binal

Wolfram Dornik: Des Kaisers Falke. Wirken und Nach-Wirken von Franz Conrad von Hötzendorf
StudienVerlag, Innsbruck 2013
280 Seiten, 24,90 Euro