Kriegsfotograf Sebastian Backhaus in Bergkarabach

"Ich kann nicht bei jedem Elend komplett mitfühlen"

05:17 Minuten
Blick auf einen Weg in den Bergen mit Gräbern
Links werden noch Gräber ausgehoben, daneben finden bereits die Bestattungszeremonien statt. – "Das war absurd", erzählt Fotograf Sebastian Backhaus. © Sebastian Backhaus
Sebastian Backhaus im Gespräch mit Ute Welty · 16.10.2020
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Die Gräuel geschehen, egal, ob er fotografiert oder nicht: Dieses Wissen helfe ihm bei seiner Arbeit, erzählt der Kriegsfotograf Sebastian Backhaus. Auch eine Art "Empathiestopp" sei bisweilen notwendig. Noch vor Kurzem war er in Bergkarabach.
Ute Welty: Die Welt hatte diesen Konflikt schon fast vergessen, und er ist wieder schrecklich präsent. Menschen sterben in der Auseinandersetzung zwischen Armenien und Aserbaidschan um Bergkarabach, und die dauert schon an seit mehr als 100 Jahren.
Die aktuelle Situation hat Sebastian Backhaus abgebildet. Er ist im Kaukasus unterwegs gewesen als Fotograf für "Welt" und "Welt am Sonntag". Haben Sie denn eigentlich einen Unterschied feststellen können während Ihres Aufenthalts zwischen Krieg und Waffenruhe? Die gilt ja offiziell seit einer knappen Woche.
Sebastian Backhaus: Ja, aber davon ist nichts zu spüren. Die war dann ja am 10. Oktober ab 12 Uhr gültig, am Abend desselben Tages haben wir dann wieder Einschläge gehört um Stepanakert herum, davon war vor Ort nur wenige Stunden etwas zu spüren.
Blick auf einen LKW in dem mehrere Soldaten sitzen
Armenische Soldaten auf dem Weg in die umkämpfte Region Bergkarabach, fotografiert von Sebastian Backhaus.© Sebastian Backhaus
Welty: Jetzt haben Sie sich ja entscheiden müssen, auch während der Angriffe: Ich gehe raus aus der Deckung und fotografiere oder ich bleibe in Sicherheit und hab am Ende keine Bilder. Nach welchen Kriterien agieren Sie, wann und wie?
Backhaus: Das hängt davon ab, wie oft die Raketen runterkommen. Wenn es wirklich dann, ich sag mal, ein Hagel von Raketen ist und die Einschläge in einem krassen Rhythmus einschlagen, dann halte ich mich besser in Deckung, sprich in einem Keller einer Schule war das in meinem Fall. Wenn es nur vereinzelte Einschläge sind, dann bin ich schon rausgegangen, um auch schnell zu gucken, wo ist die Rakete eingeschlagen, wie sehen die Rettungsmaßnahmen vor Ort aus, und das Risiko dann einzugehen; zu versuchen, das Risiko ein bisschen einschätzen zu können, und es davon abhängig zu machen.

"Es spielt keine Rolle, ob ich vor Ort bin"

Welty: Wie wichtig ist das viel beschworene Bauchgefühl bei einer solchen Einschätzung oder für eine solche Einschätzung?
Backhaus: Ich glaube ganz wichtig. Die Frage ist ja, wo kommt das Bauchgefühl her. Das hat sicherlich was mit Erfahrung zu tun, auf die ich ein bisschen zurückblicken kann. Ich bin auch gut beraten, gerade mit den Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich unterwegs bin, die schon mehr Kriege als ich auf dem Buckel haben, möchte ich sagen: Hackensberger , der Korrespondent zum Beispiel. Und da bin ich auch gut beraten, mich an diese Ratschläge zu halten.
Blick auf die nebligen Berge im Gebiet Bergkarabach
In Nebel gehüllt: Im Grenzgebiet zu dem umkämpften Gebiet Bergkarabach liegt die Stadt Goris.© Sebastian Backhaus
Welty: Einen Teil Ihrer Bilder hab ich gesehen, und die haben mich fatal erinnert an Aufnahmen aus dem Jugoslawien-Krieg – ähnliche Leere, ähnliche Verzweiflung, ähnliche Hoffnungslosigkeit. Was schützt Sie als erfahrenen Kriegsreporter davor, abzustumpfen?
Backhaus: Ich denke, einmal ist es wichtig, das zu abstrahieren. Es spielt keine Rolle, ob ich vor Ort bin, es fotografiere, oder jetzt hier wieder wie im Moment in meiner Berliner Wohnung sitze, das passiert trotzdem. Das muss ich mir bewusst machen, dass das keinen Unterschied macht.

Nicht alleine mit den Bildern im Kopf

Aber auch ein gewisser – und das klingt vielleicht hart, ist aber so, damit muss ich mich selber schützen – Empathiestopp. Ich kann nicht bei jedem Elend, was ich sehe und fotografiere, dann komplett mitfühlen, weil: Dann würde ich meinen Job nicht mehr machen können, dann würde ich selber daran eingehen. Das ist auch wichtig, diese beiden Dinge helfen mir sehr viel, und natürlich darüber hinaus zu wissen, dass es veröffentlicht wird, dass ich nicht alleine mit diesem Bild, was ich gerade gemacht habe, dass das nicht allein bei mir im Kopf bleibt, sondern es in die Welt tragen kann und teilen.
Welty: Was hat Sie während Ihres aktuellen Auftrags jetzt besonders beeindruckt?
Backhaus: Ich denke, es war viel für zwei Wochen, aber eine Sache, die mir echt hängengeblieben ist, war die letzte Situation, die ich fotografiert habe, das war vorgestern am Militärfriedhof in Jerewan, der Hauptstadt Armeniens, wo unendlich viele Gräber ausgehoben worden sind mit so Schaufelbaggern: drei Schaufelbaggern, die unentwegt am Buddeln waren, während gleichzeitig die Beerdigungen stattgefunden haben und die Trauerzeremonien.
Die Angehörigen, die ihre sehr, sehr jungen Söhne oder Ehemänner, die zwischen 18 und 20 Jahren waren meistens, dort unter die Erde gebracht haben, in dem Lärm dieser Bagger, die weitergeschaufelt haben – das war absurd.

"Ich möchte mich nicht da als Moralapostel hinstellen"

Welty: Auf welche Kontakte konnten Sie sich stützen und von welcher Seite sind die gekommen?
Backhaus: Wir sind in Jerewan gelandet und haben dann von der armenischen Seite aus erst berichtet und dann weiter nach Bergkarabach auf die andere Seite. Auf der Seite Aserbaidschans waren wir gar nicht. Es ist sehr, sehr schwierig für uns als Team, eine Akkreditierung zu bekommen. Die Asiris wählen da sehr, sehr sorgfältig aus, wen sie da reinlassen und wen nicht, und wir gehören halt nicht dazu.
Welty: Kurz vor ihrer Ermordung in Afghanistan 2014 haben wir hier in Deutschlandfunk Kultur mit Anja Niedringhaus gesprochen, Fotojournalistin wie Sie – und unter anderem mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. Finden Sie, dass Gesellschaft, Öffentlichkeit, Verlage Ihre Arbeit ausreichend wertschätzen?
Backhaus: Ich tue, was ich kann, und halte mich da zurück, das zu bewerten, ob das ausreichend wertgeschätzt wird. Ich mache das, was ich glaube, was meine Pflicht ist, und möchte mich nicht da als Moralapostel hinstellen und sagen: Leute, bitte mehr Aufmerksamkeit für das, was ich hier tue. Das steht mir nicht zu, da fühle ich mich nicht wohl.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Hören Sie hier ein Gespräch zur Situation in Bergkarabach mit dem armenischen Theologen Harutyun Harutyunyan.
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