Kriegsfotograf Sebastian Backhaus

"Ich bin überzeugt, dass alles gezeigt werden muss"

33:25 Minuten
Junge Männer und Jugendliche rennen mit Schleudern und Steinen zum nächsten Angriff.
Mit Schleudern und Steinen greift ein Mob Protestierender die Barrikaden in Bagdad an, hinter der sich irakischen Sicherheitskräfte verschanzen. © Sebastian Backhaus
Moderation: Britta Bürger · 23.12.2019
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Die Arbeit mit der Kamera brachte ihn an diverse Frontlinien. Gerade ist der Fotoreporter Sebastian Backhaus aus dem Irak zurückgekehrt. "Menschen, die größtes Leid erleben, haben meist ein großes Interesse daran, dass ich meinen Job mache", sagt er.
Eigentlich will Sebastian Backhaus nur von seiner Arbeit in Berlin entspannen, als er mit seinem Rucksack durch die Welt reist und schließlich 2012 in Ägypten landet. Dort gerät er in die Auseinandersetzungen zwischen Verfechtern der Demokratisierung und Anhängern der Muslimbrüder. Er wird verhaftet und hört im Gefängnis die Schreie der Gefolterten.
Er verspürt den Drang, diese Erfahrungen zu teilen: "Ich dachte, das was hier passiert, muss irgendwie transportiert und berichtet werden. Das war mir ein Herzensanliegen."
Ein Polizist versucht die Demonstranten zur Ruhe aufzurufen, die hier an der sogenannten Ahrar-Frontline in der al-Rasheed Straße in Bagdad im Konflikt stehen.
Ein Polizist versucht die Demonstranten zur Ruhe aufzurufen, die hier an der sogenannten Ahrar-Frontline in der al-Rasheed Straße in Bagdad im Konflikt stehen.© Sebastian Backhaus
Backhaus beginnt darüber zu schreiben. Die Rückmeldung der Redaktion des Online-Magazins VICE an den "unprofessionellen Schreiber" lautet: "Vielen Dank für Ihre Mühen, Herr Backhaus, vielleicht liegt das Schreiben Ihnen doch nicht so sehr. Versuchen Sie’s doch mal, wenn Sie schon so nah dran sind, mit Fotos."
Diesen Rat beherzigt der Reporter, kauft sich eine Kamera und schickt Bilder und Fotoreportagen nach Deutschland. Obwohl Sebastian Backhaus das Fotografieren nie formal gelernt hat, stoßen seine Fotos auf großen Zuspruch.

Dokumentation der aktuellen Proteste im Irak

Gerade ist er von einem vierwöchigen Irak-Aufenthalt zurückgekehrt. Dort eichtete erden Blick darauf, wie die Proteste im Irak vonstatten gehen, wie sich dort Sicherheitskräfte und Protestierende gegenüberstehen. Backhaus wollte herausfinden, ob es sich um eine Art Revolution oder nur um einen temporären Protest handelt.
An der sogenannten Ahrar-Frontline versuchen Mitglieder der irakische Sicherheitskräfte das Feuer zu löschen, das wütende Demonstranten an der Barrikade gelegt haben.

 
An der sogenannten Ahrar-Frontline versuchen Mitglieder der irakische Sicherheitskräfte das Feuer zu löschen, das wütende Demonstranten an der Barrikade gelegt haben.© Sebastian Backhaus
In den Protestcamps hat er mit vielen Akteuren gesprochen und ist beeindruckt davon, was dort aufgebaut wurde: "Im Zentrum Bagdads ist eine Stadt entstanden, die im Grunde genommen alles bietet, was eine Revolution vielleicht auslösen könnte. Dort gibt es Zelte, in denen Debatten stattfinden, es gibt eine riesige Solidarität, die dort in diesem Camp organisiert wird."
Das Spektrum reiche von einem Theaterzelt über ein Zahnarztzelt, in dem Patienten gratis behandelt werden, bis zu einem Friseur, der ebenfalls ohne Geld den Leuten die Haare schneidet – die Vision eines Landes, wie man es sich wünschen würde. Berichtet hat Backhaus von beiden Seiten, also auch aus den Reihen der Polizei.

Rücksicht nehmen auf die Intimsphäre der Menschen

Wenn es um die Frage geht, welche Bilder aus Kriegen gezeigt werden sollen, ist er kompromisslos: "Ich bin überzeugt, dass alles gezeigt werden muss. Meine Aufgabe ist es, die Realität, die ich vor Ort sehe, zu transportieren. Es steht mir nicht zu, hier einen Filter aufzusetzen und zu sagen, diesen Teil der Realität transportiere ich und den anderen nicht."
Gedanken macht er sich dort, wo die Gefühle von Angehörigen der Kriegsopfer verletzt oder Re-Traumatisierungen ausgelöst werden könnten. Da müsse er das öffentliche Interesse mit dem jeweiligen privaten Interesse der Intimsphäre der Menschen abwägen. "Meine Erfahrung zeigt aber, dass gerade die Menschen, die größtes Leid erleben, ein großes Interesse daran haben, dass ich meinen Job dort mache, dass das, was sie dort an Verbrechen, an Leid erlebt haben, dass ich das durch meine Aufgabe als Fotograf mit der Welt teile."
Ein Selfie des Fotografen Sebastian Backhaus.
Jazz, Joggen, Jacuzzi – so beschreibt Sebastian Backhaus sein Regenerierungsprogramm nach seinen Einsätzen.© Sebastian Backhaus
Fast die Hälfte des Jahres verbringt Backhaus in Krisengebieten, vor allem in Syrien und im Irak. Dass diese Aufenthalte ihre Spuren zurücklassen, ist klar: "Es ist ganz wichtig, dass ich, wenn ich zurückkomme, meine Regenerierungsorte und meine Methoden habe. Jazz, Joggen, Jacuzzi, sag ich immer gerne. Ich hab mit Freunden in der Uckermark ein Kollektiv am See, dort treffen wir uns und gehen segeln, schwimmen, kochen zusammen, machen Feuer, das hilft mir am meisten."

Interesse an sozialer Arbeit in die Wiege gelegt

Bevor Backhaus Kriegsfotograf wurde, hat er vor allem im sozialen Bereich gearbeitet. Vor seiner Reise nach Ägypten gab es den Plan, eine eigene Einrichtung für Menschen mit Behinderung aufzubauen. Er selbst wuchs mit zwei leiblichen und zehn von den Eltern in Pflege genommenen Geschwistern im Emsland auf. "Es ist ein Heim gewesen, ein Kleinstheim, meine Eltern haben diese Kinder als Pädagogen aufgenommen. Für mich hat sich das aber so angefühlt, dass es meine Familie gewesen ist."
Bei einem Fotoprojekt mit 21 Kindern verschiedener Herkunft in der Nähe von Mossul konnte Backhaus kürzlich die soziale Arbeit zum ersten Mal mit der Fotografie zusammenbringen. Er gab den Kindern Einwegkameras, mit denen diese in ihrer Umgebung Fotos machten. Zu sehen sind da unter anderem verlassene Häuser, Familien, aber auch verwesende Leichen. Nun werden daraus Ausstellungen entstehen - in Berlin, Italien und natürlich im Irak: "Ich werde im Januar wieder in den Irak fliegen und mit den Kindern zusammen die Ausstellung kuratieren."
(mah)
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