Krieger, Arbeiter und verunsicherte Jungen

Von Kirsten Dietrich |
Dass Fußball nicht mehr nur Männersache ist, das zeigt die bevorstehende Frauen-Fußball-WM. Was aber ist Männersache und wie kümmert sich die evangelische Kirche um den männlichen Teil ihrer Mitglieder? Auch das war ein wichtiges Thema auf dem 33. Evangelischen Kirchentag.
Zwar ist das Spitzen- und Fachpersonal, sprich die Bischöfe und Theologieprofessoren, immer noch in weiten Teilen männlich, an der Basis sind aber Frauen leichter für Gottesdienstbesuch und ehrenamtliche Gemeindearbeit zu gewinnen. Auch auf dem Kirchentag sind die Frauen in der Mehrheit, nur zwei Fünftel der Besucher sind Männer. Für die gibt es aber eigene Veranstaltungen, auf denen Männer erforschen, was Mannsein und männliche Spiritualität bedeuten. Kirsten Dietrich hat dem nachgespürt.

Sachsen - das Land Karl Mays und seiner Träume vom Indianerleben, vom edlen Wilden Winnetou und tatkräftigen Helden Old Shatterhand. Als Treffpunkt für Väter und Söhne hat die Männerarbeit der sächsischen Landeskirche dementsprechend ein Indianerlager aufgebaut, komplett mit Tipis und Indianershow.

"Wir wissen, dass Indianer eine für Kinder interessante Geschichte ist, mit der man viel machen kann, und ich denke, dass manches, was Indianer so als Ideal oder als Mythos vor sich hertragen oder was ihnen nachgesagt wird, den Männern sehr entgegen kommt. Zum Beispiel das Leben in der Natur."

Thomas Lieberwirth ist Geschäftsführer der sächsischen Männerarbeit. Das ist Arbeit für eine Minderheit in der Kirche, sagt er, auch wenn das erst einmal schwer vorstellbar scheint. Hat doch vor allem die feministische Theologie in mühsamer Arbeit über Jahrzehnte die durch und durch männlich-patriarchale Prägung auch scheinbar neutraler Gottesbilder oder Bibeltexte bewusst gemacht. Über die realen Männer und ihre Bedürfnisse sagt das aber noch nichts, meint Thomas Lieberwirth. Die Kirchen seien nur auf der Leitungsebene Männerkirchen.

"Weil Kirche für sie zu langweilig, zu hierarchisch, zu autoritär ist, zu vorschriftsmäßig und zu unmännlich – man sitzt rum, muss stillhalten, muss zuhören, kann nicht reden – das würden wir anders machen. Und wir glauben schon, dass jeder Mann eine Lebensphilosophie braucht. Und da bieten wir den christlichen Glauben an."

Im landeskirchlichen Männerindianerlager wird der Mann als Vater angesprochen, der zupacken will, draußen ist, mit seinen Söhnen oder auch Töchtern Zeit verbringen will. Seine Frau hat er hier allerdings meist mitgebracht.

"Es ist im Umbruch, vieles ist möglich, aber grad das macht es ja schwer, sich zu orientieren: Was ist denn eigentlich noch ein Mann?"

Patrick Börner von der Fachstelle Jungen- und Männerarbeit beim Männernetzwerk Dresden kennt alle beunruhigenden Statistiken und Prognosen für die Zukunftsperspektiven von Jungen.

"Grad für Jungs, die wissen ab dem dritten oder vierten Lebensjahr, dass sie keine Mama oder Frau mehr werden können, brauchen die ja eine Orientierung. Wenn es die Orientierung aber nicht gibt, muss ich die mir woanders herholen, aus Medien zum Beispiel. Die kann ich aber nicht fragen. Wenn ich reale Männer hätte, könnte ich fragen: Was ist denn das, ein Mann zu sein, was macht das aus."

Börner fragt mit seiner Arbeit deshalb nach den Alternativen zum herkömmlichen Männerbild – "Weder Macho noch Weichei", so heißt der Workshop, den er anbietet. "Nur für junge Männer zwischen 16 und 19 Jahren" ergänzt das handgeschriebene Schild am Zelt im Jugendzentrum, Männer noch mal extra unterstrichen. Die Sicht ins Innere versperren Pappen und blaue Plastikfolie. Das weckt Interesse bei den Jugendgruppen, die auf dem Weg zum Sportangebot vorbeikommen. Hinein trauen sich nur wenige. So wie Julian.

"Ich fand es halt interessant, auch mal zu hören, was denn andere Leute so darüber sagen, wie man zum Mann wird, und dass man auch mal Gefühle zeigen kann als Mann und nicht immer der harte sein muss."

Freundschaft mit gleichgesinnten Männern, Gespräche, die unter die Oberfläche gehen – im Alltag scheint das schwer zu finden zu sein, egal ob man jung ist oder an der Schwelle zum Ruhestand steht.

"Warum ein Gottesdienst nur für Männer? In diesem Gottesdienst wollen wir uns speziell über die Probleme unterhalten, die Männer mit dem Übergang in den Ruhestand haben. Und wenn man da offen und ehrlich miteinander redet, dann muss man auch offen und ehrlich darüber reden, wie die Beziehung zur Frau ist, auch in einer glücklichen Ehe. Das ist schwer, wenn da gleichzeitig Frauen zuhören."

Ulrich Thierhoff ist einer der Veranstalter des Gottesdienstes in der Dresdner Zionskirche. Gut 30 Männer sitzen im Kreis, hören Lebenszeugnisse von Ruheständlern und reden in Kleingruppen über eigene Ängste. Darum, herkömmliche Rollen- und Machtverteilungen umzustürzen, auch in der Kirche, geht es nicht. Mehr um die Suche nach neuem Sinn – und überhaupt einer Möglichkeit zum Gespräch.

"Was ich auffallend fand: dass sich Männer jetzt hier öffnen und sich auch persönlichen Fragen stellen. Das erlebe ich im normalen Gemeindegottesdienst nicht so."

"Ich bin der Meinung, wenn es ein Gottesdienst ist, dass es dann offen sein sollte für beiderlei Geschlechter. Aber Thema ist ein Thema, das vielleicht eher Männer betrifft, und da ist es vielleicht auch manchmal gut, wenn da Männer unter sich sind."

Als der Star der Männerspiritualität im geistlichen Zentrum auftritt, sind die Frauen nicht ausgeladen. Rund ein Viertel des Publikums ist denn auch weiblich, als Franziskanerpater Richard Rohr im überfüllten Saal über Männerspiritualität spricht.

"Our work is to find the good side of male."

Die gute, die positive Seite des Mannseins finden – das ist Rohrs Mission. Der Mann sei ein Kämpfer, als solcher müsse er angesprochen werden, von erfahrenen Älteren angeleitet und schließlich neue Gemeinschaft jenseits von Wettkampf und Konkurrenz finden. Durch Nachdenken allein gehe das nicht. Womit man wieder bei den Indianern ist und ihren Initiationsritualen.

"The boy had to strip naked and roll in the dirt. And the Elders said: son, you came from dirt, you go back to dirt, don't forget it. Men love rituals, when they're that earnest. When church rituals get too prim, then men leave church. / This is the way the male discovers his soul. It's much more through action, it's much more through failure, it's much more through earth."

"Ein Junge musste sich nackt in der Erde wälzen. Die Ältesten sagten ihm: Sohn, du bist aus Schmutz gekommen, du gehst zurück in den Schmutz, vergiss das nicht. Männer lieben Rituale, die es so ernst meinen. Wenn kirchliche Rituale zu affektiert werden, gehen die Männer. Der Mann entdeckt so seine Seele: mehr durch Handeln, durch Fehler, durch die Erde."

Der handfeste Macher, naturverbunden, eins mit sich an seinem sinnerfüllten Platz in der Gesellschaft und der Gemeinschaft der Freunde – das scheint das Sehnsuchtsbild der Suche nach einer spezifisch männlichen Spiritualität zu sein. Die Frage nach weitverbreiteten negativen Aspekten von Männlichkeit wie zum Beispiel nach Gewalt und Macht wird beim Kirchentag derweil ausgelagert – auf Podien im Zentrum Frauen zum Beispiel.


Links auf dradio.de:

"Aktuell" vom 05.06.2011: "da wird auch dein Herz sein" - 33. Deutscher Evangelischer Kirchentag in Dresden

"Aktuell" vom 05.06.2011: Kirchentag in Dresden beendet - 120.000 Menschen nehmen an Abschlussgottesdienst teil