Kommentar
Ob eine Waffe als defensiv oder offensiv eingesetzt wird, hängt stark vom Kontext ab – also von der Strategie, den Zielen und der konkreten Lage. © picture alliance / dpa / Federico Gambarini
Neue Waffensysteme: Wenn Verteidigung zum Angriff wird
05:00 Minuten

Die Unterscheidung zwischen offensiven und defensiven Waffensystemen wird immer schwieriger. Diese Entwicklung führt in ein riskantes Spiel mit hohem Einsatz – bei dem alle Seiten nicht mehr, sondern weniger Sicherheit haben.
Die Unterscheidung zwischen defensiven und offensiven Waffen ist ein wiederkehrendes Thema in sicherheitspolitischen Debatten – nicht erst seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Defensive Waffen sollen vor allem schützen, also Angriffe abwehren. Offensivwaffen hingegen dienen dazu, den Gegner aktiv zu schwächen, Gelände zu erobern oder gezielt Zerstörung herbeizuführen.
Allerdings: In der Praxis ist diese Unterscheidung oft schwierig. Denn ob eine Waffe als defensiv oder offensiv eingesetzt wird, hängt stark vom Kontext ab – also von der Strategie, den Zielen und der konkreten Lage. Neue Technologien machen diese Trennung zusätzlich kompliziert. Ein gutes Beispiel dafür ist das US-Konzept der sogenannten Multi-Domain Operations – also die Kriegsführung auf allen Ebenen. Es ist auch für Deutschland sicherheitspolitisch relevant.
Die Grundidee: In allen Bereichen – ob zu Land, in der Luft, auf See, im Cyberraum oder im Weltraum – soll man blitzschnell und mit maximaler Wirkung handeln können. Dazu werden Aufklärung, Zielauswahl, Verteidigung und Angriff digital miteinander vernetzt. Sensoren liefern Daten in Echtzeit, künstliche Intelligenz wertet sie aus, autonome Systeme führen den Einsatz durch. Ziel ist es, durch Informationsüberlegenheit schneller und besser entscheiden zu können als jeder mögliche Gegner.
Eine neue Eskalationsdynamik
Dazu passt eine symbolische, aber aufschlussreiche Veränderung: Das US-Verteidigungsministerium wurde kürzlich in „Kriegsministerium“ umbenannt. Donald Trump erklärte dazu, es gehe darum, „unsere Fähigkeit und Bereitschaft zu zeigen, Kriege zu führen und zu gewinnen – nicht nur zur Verteidigung“.
Was das konkret heißt, zeigte beispielsweise die Operation „Midnight Hammer“ im Sommer 2025. US-Streitkräfte führten dabei präzise Erstschläge auf iranische Nuklearanlagen durch – aus über 10.000 Kilometern Entfernung, ohne eigene Verluste. Zum Einsatz kamen Tarnkappenbomber, die über 18 Stunden im Einsatz waren, und Tomahawk-Marschflugkörper von einem Atom-U-Boot, die selbst tief geschützte Ziele zerstören konnten.
„Angriff ist die beste Verteidigung“, so heißt es oft. Wer sicherheitspolitisch handlungsfähig bleiben will, müsse auch in der Lage sein, einem potenziellen Gegner frühzeitig massiven Schaden zuzufügen. Ein völliger Verzicht auf offensive Mittel – das sei in einer gefährlicher werdenden Welt schlicht unrealistisch, so das Argument. Aber: Was dabei zunehmend aus dem Blick gerät, ist die neue Eskalationsdynamik. Die militärische Logik scheint sich zunehmend zu verselbstständigen.
Sicherheitspolitisch muss neu gedacht werden
Wenn nun zunehmend Fähigkeiten geschaffen werden, mit denen man den Gegner überraschend und gezielt schwächen kann – etwa durch Erstschläge auf gegnerische Raketensysteme, noch bevor diese starten –, dann entsteht auf der anderen Seite ein enormer Druck, selbst früh zu handeln. So kann und wird ein Wettlauf entstehen, bei dem jede Seite versucht, der anderen zuvorzukommen – aus Angst, selbst überrascht zu werden.
Selbst wer Verteidigungsfähigkeit und Abschreckung grundsätzlich für notwendig hält, muss diese Entwicklung kritisch sehen. Denn sie führt uns in ein riskantes Spiel mit hohem Einsatz – bei dem am Ende alle Seiten nicht mehr, sondern weniger Sicherheit haben.
Der Ausweg? Da ist kein Patentrezept in Sicht, aber „Angriff ist die beste Verteidigung“ wird nicht der Weisheit letzter Schluss sein können. Konzepte wie „strukturelle Nichtangriffsfähigkeit“ und „gemeinsame Sicherheit“ gab es bereits in Hochzeiten des Kalten Krieges. Und eben jene haben maßgeblich dazu beigetragen, dass der Kalte Krieg nicht heiß wurde.
Dieses Wissen ist weitgehend verschüttet. Höchste Zeit, sicherheitspolitisch neu zu denken.














