Krieg in Nordsyrien

Europa braucht eine gemeinsame Türkeipolitik

08:57 Minuten
Syrien, Tal Abiad: Syrische Kinder spielen vor einem Haus, dessen Wand durch Einschusslöcher beschädigt ist. Die türkische Armee und türkisch unterstützte syrische Milizen sollen die Kontrolle über die Grenzstadt erobert haben, die zuvor von kurdischen Kämpfern kontrolliert worden war.
Militärischer Konflikt in Nordsyrien: Was die Region vor allem brauche, sei ein erträglicher Alltag für die Menschen, sagt der Publizist Zafer Şenocak. © picture alliance/dpa/Anas Alkharboutli
Zafer Şenocak im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 21.10.2019
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Der Nordsyrienkonflikt zwischen Türkei und Kurden steckt in einer Gewaltspirale fest. Der Publizist Zafer Şenocak kritisiert, die EU nehme nicht genügend Einfluss auf die Türkei. Das sei unverantwortlich.
Die westliche Empörung über den Einmarsch des türkischen Militärs in die Kurdengebiete in Nordsyrien ist für den türkischstämmigen Autor Zafer Şenocak "ein Spiel mit falschen Karten". Denn wenn Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) das "völkerrechtswidrige" Vorgehen der Türkei kritisiere, folge daraus nichts. "Unsere Politik zur Zeit macht mich wahnsinnig – das ist Volksverdummung!", empört sich Şenocak.
Der vorherrschende westliche Blick auf den Konflikt – "Was nützt uns und was nützt uns nicht – wen können wir wie benutzen" – sei weder für die Kurden noch für die Türken oder für die Region gut. Wenn man von Nordsyrien rede, dann müsse man sich klar machen, dass es sich um ein Gebiet handle, das seit Jahrhunderten von Kurden, Arabern, christlichen Gruppen und auch Armeniern bewohnt werde. Und es gehe vor allem darum, die Lebensräume dieser Menschen zu sichern.

Keine gemeinsame Politik in der EU

Deshalb sei es wichtig, endlich "aus der Gewaltspirale" herauszukommen – und auch den türkischen Präsidenten Erdogan von dieser Notwendigkeit zu überzeugen. In diesem Zusammenhang kritisiert Şenocak die Haltung der Europäischen Union scharf, die nicht von der Möglichkeit Gebrauch mache, Einfluss auf das Nachbarland Türkei zu nehmen.
Die EU habe keine gemeinsame Türkeipolitik – "und das ist unverantwortlich. Das ist ein 80-Millionen-Einwohner-Land am Rande der EU." Die Diskussion jetzt dürfe sich nicht auf "EU-Beitritt, ja oder nein" beschränken. Genau das werde immer wieder falsch verstanden. Es gehe vielmehr darum, eine Sicherheitszone für Europa und angrenzende Regionen zu schaffen.
Der Publizist Zafer Şenocak
Der Westen spiele mit "falschen Karten" im aktuellen Türkei-Kurden-Konflikt, meint der Publizist Zafer Şenocak.© Deutschlandradio / Torben Waleczek
Mit Blick auf das bevorstehende Treffen Erdogans mit dem russischen Präsidenten Putin sagte Şenocak, Europa müsse endlich auch zu einem anderen Verhältnis zu Russland finden und das Land als wichtigen Verhandlungspartner im Konflikt mit der Türkei wahrnehmen.
(mkn)

Zafer Senocak ist Autor und Publizist. Er wurde 1961 in Ankara geboren, seit 1970 lebt er in Deutschland. Senocak studierte Germanistik, Politik und Philosophie in München. Seit 1979 veröffentlicht er Gedichte, Essays und Prosa in deutscher Sprache. Er schreibt regelmäßig für die "tageszeitung" in Berlin und andere Publikationen. Zuletzt erschien sein Roman "Deutsche Schule".

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