Kreuzzug für die Freiheit

26.12.2008
Der französische Autor Marc Lévy ist bislang vor allem mit seinen intelligent konstruierten Liebesromanen erfolgreich gewesen. In seinem neuen Roman "Kinder der Hoffnung" stützt er sich auf die Geschichte seines Vaters, der für die französische Résistance gegen die deutsche Besatzung kämpfte.
Seit zehn Jahren nunmehr zählt er zu den meistgelesenen Autoren Frankreichs: Marc Lévy. Seine intelligent konstruierten, dabei aber so unglaublich gefühlvollen, man kann auch sagen rührseligen Liebesromane sind sehr dazu angetan, nach langen Jahren wieder an Frankreich, das "Land der Liebe", zu glauben.

Sie werden daher auch in Deutschland gut verkauft. Titel wie "Solange Du da bist" oder "Bis ich dich wiedersehe" haben auch bei uns die Charts erklommen. Doch Lévy, so wenig er mit dem Literaturbetrieb der Pariser Intellektuellen zu tun haben will, so sehr er sich in der Rolle des von der Kritik geschmähten, dafür umso mehr vom Publikum geliebten Außenseiters gefällt – doch Lévy dürstet es natürlich, wie alle Autoren, die Erfolg haben, nach den Weihen der seriösen, respektgebietenden Hochkultur.

Wie verschafft man sich dorten Einlass? Nun, am ehesten immer noch, indem man sich eines politischen oder zeitgeschichtlichen Themas annimmt. Möglichst aus der Perspektive politischer Korrektheit. Diesen Weg ist nun Lévy mit seinem neuesten Buch gegangen. "Kinder der Hoffnung" heißt es und schlachtet die Erinnerungen seines Vaters aus. Wie der Name Lévy schon vermuten lässt, ist die Familie jüdisch. Der Vater überlebte den Holocaust. Doch er kämpfte auch. Und von diesem Kampf für die französische Résistance unter der deutschen Besatzung erzählt denn auch Lévy in "Kinder der Hoffnung". Die Geschichte spielt in Toulouse, bis 1942 in der sogenannte "zone libre" gelegen, das heißt abhängig von Hitlers Satrapenstaat Vichy-Frankreich, das dem Marschall Pétain unterstand.

Doch der versierte Erzähler, als der sich Lévy auch in diesem Roman wieder erweist, erzählt nicht von heute aus. Er schlüpft in die Rolle des jungen Raymond, der 1940 zusammen mit anderen "Kindern der Hoffnung" einen "Kinderkreuzzug für die Freiheit" organisiert, wie es nicht ohne Anflug von Pathos einmal heißt. Der Autor gibt sich viel Mühe, Raymond und seine Freunde als typische pubertierende Jugendliche zu zeichnen: ungebärdig, sehr mit den eigenen widerstreitenden Gefühlen beschäftigt und von jenem elementaren Gerechtigkeitsgefühl beseelt, das so vielen Erwachsenen im Zuge des Karrieremachens abhanden kommt. Raymond und seine Freunde: das sind unbestechliche Beobachter des um sich greifenden Kriechertums, des um sich greifenden vorauseilenden Gehorsams, die natürlich bei der "Neuordnung" Frankreichs durch die Deutschen 1940 wahre Triumphe der Speichelleckerei und Kollaborationsbereitschaft gebären. Dagegen empören sich die jungen Résistants anfangs fast noch mehr als gegen die Verfügungen und Drangsalierungen durch die deutschen Okkupanten. Doch im Laufe der 350 Seiten politisieren sich, auch wider Willen, die Jugendlichen immer mehr. Was Abenteuer war, wird blutiger Ernst. Neue Freunde aus Spanien und Italien stoßen dazu, die unter Mussolini oder Franco schon länger unter dem europäischen Faschismus zu leiden haben. So gerät die Bewegung der jugendlichen Empörer immer mehr zu einer Bewegung für die Freiheit Europas. Doch das Imperium schlägt auch zurück und fordert seine Opfer, darunter auch Raymonds besten Freund. In einer hollywoodähnlichen Szene beschwört dieser den Überlebenden, weiterzukämpfen und eines Tages, wenn "der Frühling" wieder anbricht, den jungen Menschen nach dem Kriege zu sagen, dass die Résistants für sie gekämpft hätten und auch für sie gestorben seien.

Marc Lévy spart auch in seinem neuesten Buch nicht mit Emotionen. Vor allem in Deutschland, wo die Darstellung von Faschismus, Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg weitgehend noch immer vom nüchternen Diskurs der Geschichtswissenschaft bestimmt ist, muss Lévys vollmundiges Erzählen befremden. Doch in Frankreich ist man unbefangener. Das hat nicht zuletzt Jonathan Littell mit seinen "Wohlgesinnten" gezeigt, die zu Beginn dieses Jahres auch in Deutschland die Debatten stark belebten. Im Gegensatz zu dem ästhetisch und intellektuell hochambitionierten Littell setzt Lévy allerdings ganz und gar auf konventionelles, spannendes Erzählen. Über weite Strecken liest sich seine Geschichte wie ein Jugendbuch, so sehr ist der Fokus auf die pubertierenden "Kinder der Hoffnung" eingestellt. Demgegenüber bleiben die tatsächlichen Lebensbedingungen unter der Besatzung eigentümlich blass, vielleicht weil über das Leben in Toulouse in jener Zeit auch nicht allzu viel überliefert ist. Nach der Befreiung wurde ja auch in Frankreich die Vergangenheit schnell begraben. Erst in den siebziger Jahren setzte die "Aufarbeitung" ein, sehr punktuell, und bezog sich natürlich vor allem auf die Hauptstadt Paris. Man liest wohl das Buch am besten als Parabel auf die Sehnsucht der Menschen nach der Freiheit, die sich noch in allen Zeiten und unter allen Regimen immer wieder Bahn bricht. Das Vermächtnis von Raymonds Freund – "Wir haben für die Nachgeborenen gekämpft" – ist allerdings ein zweischneidiges Schwert, denn wem der Kampf, will sagen die Arbeit abgenommen wird, der verliert auch schnell die Lust, sich selber für eine Sache einzusetzen. Und noch ist nicht ausgemacht, ob nicht die Zeit noch kommen wird, wo eben dies sich rächen könnte.

Rezensiert von Tilman Krause

Marc Lévy: Kinder der Hoffnung
Übersetzt von Bettina Runge und Eliane Hagedorn
Droemer & Knaur, München 2008
368 Seiten, 19,95 Euro