Kreuzfahrt nach Spitzbergen

Luxustouristen sammeln Müll am Strand

Blick auf die Landschaft der Insel Spitzbergen in Norwegen
Blick auf die Landschaft der Insel Spitzbergen in Norwegen © picture alliance / dpa / Hinrich Bäsemann
Von Jens Rosbach · 01.08.2016
In den Meeren sammelt sich immer mehr Plastikabfall - in der Arktis wurde ein gigantischer Müllstrudel entdeckt. Auf Spitzbergen ist der angeschwemmte Dreck besonders verhängnisvoll für die Tierwelt. Ein Reiseunternehmen lässt ihre Kreuzfahrt-Touristen vor Ort Unrat sammeln.
Ein arktischer Gletscher, mit tiefhängenden Wolken. Davor: eine Landzunge – zugemüllt mit Treibholz, Plastikabfällen und einzelnen toten Vögeln. Klaus Winterling, ein 66-jähriger Münchner, läuft gebückt über den steinigen Strand.
Winterling: "Wir waren schon in 160 Ländern der Welt: Korea, Argentinien, Costa Rica, Transnistrien, Berg-Karabach, Äthiopien, Eritrea – aber hier noch nicht, das hat uns noch gefehlt."
Winterling - blaue Trekkingjacke, Gummistiefel und orangfarbene Gummi-Handschuhe – ist mit seiner Frau nach Spitzbergen gereist. Der ehemalige Unternehmensberater sammelt angeschwemmte Fischernetze, Plastikbojen, Paketbänder und zerbröselte Kunststoff-Teilchen auf, um sie in große weiße Säcke zu stopfen.
Winterling: "Ja, äh… weil‘s doch wichtig ist für die Umwelt. Und wir alle ruinieren die Umwelt mehr oder weniger. Und so können wir einen kleinen Beitrag leisten, vielleicht ein bisschen was rückgängig zu machen."

Eisbär-Beobachtung, Inselwanderungen - und Strandsäuberung

Der Tourist stolpert über glitschige Steine und über Bretter mit rostigen Nägeln. Stundenlang. Der Arbeitseinsatz ist Teil einer besonderen Polar-Kreuzfahrt, die mehrere tausend Euro kostet: Die neuntägige Reise bietet Eisbär-Beobachtung und Inselwanderungen – allerdings muss jeder Passagier dafür drei bis vier Strandsäuberungs-Einsätze mitmachen: damit Rentiere und Robben sich nicht in alten Fischernetzen verfangen; damit Vögel und Fische keine Plastikreste verschlucken. Klaus Winterling ist für die Schiffstour 3300 Kilometer in den Norden geflogen. Ist der Kerosin- und CO2-Verbrauch dabei kein Problem?
Winterling: "Ja, nein, habe ich überhaupt kein schlechtes Gewissen: Einmal vergesse ich das, andererseits fliegen die Flugzeuge sowieso. Ich mag auch nicht 24 Stunden am Tag mein Leben lang immer politisch korrekt sein. Ein bisschen bin ich da auch hedonistisch. Ich denke immer nicht Tag und Nacht dran, alles jetzt im Leben richtig zu machen – oder was andere mir sagen, was richtig ist."
Knoke: "Ja, das ist ein gewisser Widerspruch, wenn man Fernreisen macht – dann muss man tatsächlich so konsequent sein zu sagen: Ich fahre kein Auto, ich mache keine Flugreisen."

Polarschiff wurde einst in der Sowjetunion gebaut

Auch Vera Knoke sammelt in ihrem Urlaub Unrat. Die 50-Jährige stemmt sich gegen den aufkommenden Wind, das Juli-Thermometer zeigt zwölf Grad Celsius. Knoke arbeitet im schleswig-holsteinischen Umweltministerium. Sie weiß: Bei ihrer Traumreise in die Arktis wird auch Schiffsdiesel verbrannt und die sensible Tierwelt gestört. Darum hat sie sich eine möglichst "grüne" Tour heraus gesucht.
Vera Knoke: "Ich bin einfach sehr sehr neugierig auf die Welt. Und das ist mein Kompromiss."
Die rund einhundert Touristen sind mit dem Polarschiff Ortelius angereist, das bis zu ein Meter dickes Eis zerdrücken kann. Es wurde einst in der Sowjetunion gebaut und zur Versorgung von Erdöl-Plattformen eingesetzt. Mittlerweile hat das Schiff Hotel-Niveau: So können die Müllsammler in ihren Kabinen duschen, im Vortragssaal Referate über den Klimawandel lauschen, sich im Speisesaal am Buffet bedienen und an der Bar Cocktails trinken. Wer will, kann sich danach noch an Deck bräunen, denn die arktische Sommersonne scheint die ganze Nacht hindurch. Winterling genießt das alles.
Winterling: "Ich habe viel gearbeitet und… ich hab‘s mir verdient, auf so einem Schiff zu sein. Nö, ist für mich überhaupt kein Problem!"

Abfallberg füllt drei Baucontainer

So angenehm es auf dem Schiff auch ist, an Land lauert die Gefahr: Die Abfallsucher werden am Strand von bewaffneten Guides beschützt, wie Barbara Post. Die 31-jährige Österreicherin schleppt Feldstecher, Funkgerät, Signalpistole und ein Gewehr mit sich herum – denn jederzeit könnte ein hungriger Eisbär auftauchen. Die studierte Biologin setzt ihren Karabiner kurz ab und räumt ein:
"Ich mag Gewehre gar nicht! Und ich will auch keinen Eisbären erschießen. Aber natürlich im Notfall, werde ich das machen."
Die Arktis-Touristen sammeln innerhalb von zwei Tagen einen Abfallberg, der drei Baucontainer füllen würde. Die mitgebrachten Müll-Säcke sind viel schneller voll als erwartet. Zudem ist auch auf dem Achterdeck des Kreuzfahrtschiffes, wo die Säcke gelagert werden, bald schon kein Platz mehr. So müssen einige geplante Reinigungs-Einsätze ausfallen. Für Klaus Winterling hat sich die Polarreise dennoch gelohnt: Er habe Spitzbergen bereist, dabei etwas Gutes getan – sagt er - und dann auch noch ein Schnäppchen gemacht, weil der Veranstalter einen "Umwelt"-Rabatt auf die Reise gegeben hat.
Winterling: "Dass dann noch dreihundert oder vierhundert Euro billiger war, das war on top noch, das war der Nachtisch!"
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