Kreuz- und Querzüge

Von Jochen Stöckmann · 26.05.2009
Kunst aus dem ehemals geteilten Deutschland zeigt das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg. In der Schau "Kunst und Kalter Krieg - Deutsche Positionen 1945 - 1989" lassen sich viele Werke jenseits der im Kalten Krieg verbreiteten Klischees von dekadenten Formalisten hüben und totalitären Staatskünstlern drüben entdecken.
Zum "Totentanz" von Karl Hofer hat sich 1946 eine fade Karnevalsgesellschaft eingefunden: billige Pappmasken als Totenkopf, zerschlissene Kleider, hohlwangige Gesichter. Daneben "Trauernde Frauen" von Hannah Höch aus demselben Nachkriegsjahr: nicht die zupackenden Trümmerfrauen der Fernsehdokumentationen, sondern ein Chor archaischer Klageweiber tritt dem Besucher der Nürnberger Ausstellung "Kunst und Kalter Krieg" entgegen. Schließlich ein drittes Ölgemälde, das "Elternbild": abgearbeitete Proletarier, erblindet, aber mit schlichter Würde. Weder Elendsgestalten noch heroische Kämpferfiguren, erinnern sie an Porträts, wie Otto Dix sie zum Ausgang der Weimarer Republik malte.

Eckhart Gillen: "Curt Querner ist ja ein Schüler von Dix, insofern haben Sie ganz richtig gesehen, Ihr Auge hat sie nicht getäuscht. Und Curt Querner steht ganz symbolisch für das, was die DDR hätte sein können. Also, in Berlin werde ich den dann direkt neben den Baumeister am Eingang hängen. Um zu sagen: das sind zwei Wege, die möglich waren nach 45. Aber in der DDR wurde eben der dritte Weg gegangen, nämlich der sowjetische Akademismus."

Auf diese Einbahnstraße hat sich Kurator Eckhart Gillen natürlich nicht begeben. Und neben vielen Kreuz- und Querzügen der deutsch-deutschen Kunst, darunter veritable Entdeckungen, blättert er nicht erst im Oktober in Berlin, im Deutschen Historischen Museum, sondern auch jetzt schon in Nürnberg ein kulturgeschichtliches Panorama auf: Neben Gemälden und Skulpturen stehen Monitore mit Wochenschauen, dazu Videoinstallationen und Fotos aller Genres und Formate. Wenige Orientierungspunkte ragen heraus aus diesem scheinbaren Durcheinander: einigen dürften Baumeister, Beuys und Baselitz die grobe Richtung weisen, andere werden sich an Heisig, Tübke und Mattheuer halten. Und alle gemeinsam werden hoffentlich – zwanzig Jahre nach der Wende – gezielt vom Wege abkommen.

Eckhart Gillen: "Die Ausstellung wagt mehr, als ich in "Deutschland-Bilder" gewagt habe: da war alles noch sehr viel ordentlicher, Paraden von Bildern. Hier wird es sehr viel ruppiger – nachdem es immer noch nichts genützt hat nach 10 Jahren, daß man sagt: jetzt guckt doch mal hin, es gab doch auf der anderen Seite genauso Künstler, die wie im Westen gekämpft haben um ihre Anerkennung, was riskiert haben."

Gillen schert sich nicht um "gesicherte" Positionen, maßt sich nicht an, das entscheidende Bild für jeweils ein Jahr, ein wichtiges Ereignis zu präsentieren. Stattdessen bietet er Korrespondenzen und Konstellationen, reizt zum Nachdenken über Ähnlichkeiten und Unterschiede: etwa zwischen Architekturfotografien in strengem Schwarzweiß, die Ulrich Wüst in der DDR mit Blick fürs sprechende Detail inszenierte, während Bernd und Hilla Becher in Westdeutschland die Typologie serieller Aufnahmen bevorzugten. Auch bei den Malern entspinnen sich überraschende, irritierende Beziehungen: 1965 entwirft Georg Baselitz mit wenigen Pinselstrichen den "Neuen Typ", einen Mann mit ungeschlachten Händen und massigem Oberkörper, am Strand mit flatterndem roten Schal um den dicken Hals unter einem etwas zu klein geratenem Kopf. Ähnlich porträtiert Ralf Kerbach 1986 den Dichter Sascha Anderson, der mit mächtig aufgepumptem Körper vorübereilt – ein Phantom auf der Flucht vor sich selbst. Auch Joseph Beuys, der auf dem Selbstporträt "La rivoluzione siamo noi" in Filzstiefeln, mit Hut und Weste stramm voranschreitet, ließe sich mühelos einreihen in diese Assoziationskette – an deren Ende die Erkenntnis steht: es kam nach 1945 auf Haltungen an, nicht mehr auf Stile.

Eckhart Gillen: "Das war ja mit dem Dadaismus eigentlich schon erledigt, diese pathetischen Stilwechsel. Und auch mit den Fauves. Wir haben solche Fauves dann immer wieder gehabt: Wir hatten sie bei der Gruppe "SPUR" 59 und dann mit den Neuen Wilden. Aber das ist nicht das Kriterium, wie ich hier die Ausstellung aufgebaut habe."

Die Fauves, die wilden Außenseiter, gab es auf beiden Seiten, was die "Tödliche Doris" im Westen, das war "Clara Mosch" im Osten. Mit feinen Unterschieden, denn während die Künstlervereinigung in Chemnitz auf der Suche war nach "einem Ort, der noch nicht mit Ideologien und Rechtfertigungen gänzlich vollgestellt war", betrieb die Westberliner Band sarkastische Medienkritik: ein Mikrofon geht in Flammen auf, der Pianist schlägt sich die Finger an den mit Reißzwecken gespickten Tasten blutig.

Ganz ohne vordergründige Provokationen eröffnet sich neben dieser Videoinstallation ein weiterer Denkraum, man könnte ihm den Titel "Historienbilder" geben: Wolf Vostells "Auschwitz-Scheinwerfer" von 1956, eine düstere Materialcollage, trifft auf Gemälde von Bernhard Heisig, der noch 1973 das Bild "Unterm Hakenkreuz" ganz konventionell, ja altmeisterlich ausführte, Antifaschismus in Öl. Aufgefangen und gebrochen werden diese Gegensätze durch Gerhard Richter, der mit "Onkel Rudi" vertreten ist, den er in Wehrmachtsuniform gemalt hat, grau in grau nach einem Foto aus dem Familienalbum.

Nur wenige Schritte weiter dann der nächste Spannungsbogen: Katharina Sieverding und Astrid Klein kondensieren jüngste Zeitgeschichte mit großformatigen Fotoarbeiten auf Schlagworte und Slogans wie "Scheitern" oder "Schlachtfeld Deutschland" – während gegenüber im Halbrund vier Motive, oder besser: Einstellungen, filmähnliche Sequenzen aus Werner Tübkes Bauernkriegspanorama den Raum dominieren. Allesamt Stimmungsbarometer für entscheidende Jahre der Republik – West wie Ost. Man muss sie nur zu lesen verstehen, wieder erspüren, woher damals der Wind wehte.