Kremer Pigmente

Wenn Ägyptisch Blau auf Quindo Violett trifft

10:44 Minuten
Blaues Farbpulver- und pigmente, ein Mörser und eine Pinsel.
Ägyptisch Blau ist eine begehrte Künstlerfarbe. Das Familienunternehmen Kremer stellt die Pigmente her. © Kremer Pigmente
Von Lisa Weiß · 24.08.2021
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Für Künstler ist es das Paradies, für Laien wie ein Besuch beim Alchimisten: Das Allgäuer Unternehmen Kremer Pigmente stellt nach alten Rezepturen die Basis für Farben her. Was in großen Gläsern im Showroom schlummert, verwendeten schon alte Meister.
"Das ist Quindo Violett hell und Quindo Violett dunkel, die sind aber eigentlich feiner, also ein bisschen schwieriger anzuteigen. Du kannst aber auf neue Ergebnisse kommen, vielleicht auch ganz neue Bilder – ja, vielleicht auch so ein Farbglas. Wir haben auch so ein neues Marienglas da."
Als Laie versteht man erst mal nicht viel, wenn sich zwei Künstler hier im Laden der Firma Kremer unterhalten. Zeit, sich umzuschauen: Das winzige Ladengeschäft in der Nähe der Pinakotheken in München ist voller deckenhoher Regale, darin Bindemittel, Pinsel und natürlich Farben und Pigmente in allen Schattierungen, die man sich nur vorstellen kann.
Emanuel Seitz, ein Münchner Künstler, der bekannt ist für seine oft großformatigen Bilder mit farbigen Blockstreifen, hat sich mittlerweile entschieden: Er bringt einige Säckchen mit Farbpigmenten zur Kasse, sie haben klangvolle Namen wie Nikosiagrün oder Kobaltblau.
"Hier kaufen halt einfach Freaks ein. Die Farbfreaks", sagt er. "Klar gibt’s überall Farben, aber die Verschiedenheit auch – natürliche Pigmente, Erdpigmente, pflanzliche Pigmente – das kann man im herkömmlichen Handel halt einfach nicht so in der Qualität bekommen."

Lust an Farbexperimenten

Der Laden sei eben kein Baumarkt, sagt Manuel Strauß und grinst. Er kennt sich aus, ist nicht nur Verkäufer hier, sondern selbst Künstler, gestaltet Lichtsäulen aus Textilien, die er härtet und mit einer Kreissäge bearbeitet, manchmal auch einfärbt. Hier kaufen Künstler ein, Restaurateure, Hobbymaler. Was sie alle verbindet: Die Lust am Experimentieren, daran, die eigene Farbe letztlich selbst herzustellen.
"Das funktioniert alles so ein bisschen wie ein Playmobilladen hier drin", sagt Strauß: "Dass du einfach sagst, ich hab' eine Farbe, aus was besteht das – zehn verschiedene Komponenten. Und dann kann man hierherkommen und sagen, was man haben möchte. Und im besten Fall bekommt man dann die einzelnen Zutaten, die man dann aber selber zusammenbauen muss."
Wer herausfinden will, wer hinter diesem ganzen Farbreichtum, steckt, wer immer wieder neue Farbnuancen entwickelt, muss ins Allgäu fahren. Dort in Aichstetten, gut 100 Kilometer von München entfernt, ist die Firma Pigmente Kremer zuhause. Dort steht die Farbmühle.
Es ist eine echte, alte Mühle, liebevoll renoviert von der Familie Kremer, wie David Kremer, erläutert: "Das ist unser Wasserkraftwerk, 1910, nein 1920 haben die umgestellt auf elektrischen Antrieb und seitdem läuft das eigentlich hier, 24 Stunden, solange wir Wasser haben, ganz gut."

Vom Chemiker zum Pigmente-Hersteller

Kremer, Ende 30, ist der Juniorchef hier. Man merkt seinen Erzählungen an, wie sehr die Mühle sein Zuhause ist. Hier ist er aufgewachsen, seine Eltern sind nach Aichstetten gezogen, als er ein Jahr alt war. Sein Vater hat die Firma gegründet. Eigentlich war er Chemiker, erzählt Kremer.
David und Georg Kremer von Pigmente Kremer.
Zwei Generationen Leidenschaft für Farben: Juniorchef David mit seinem Vater Georg Kremer, der das Unternehmen vor fast 45 Jahren gründete.© Kremer Pigmente
Bis irgendwann in den 70-ern ein Restaurator auf ihn zukam: Er brauchte Kobaltblau für eine Baustelle – aber das Kobaltblau, das damals auf dem Markt war, wurde nicht mehr so hergestellt wie hunderte Jahre zuvor. Tagsüber war der Unterschied kaum zu erkennen. Abends, wenn es dunkel wurde, war die Wirkung völlig anders.
"Mein Vater hat sich das überlegt und Bücher gewälzt: Wie wurde Kobaltblau traditionell hergestellt, was haben die Ende 16. Jahrhundert gemacht. Und da hat er ein Rezept gefunden und in seinem Keller angefangen rumzubacken. Man bäckt das traditionelle Kobaltblau, die Smalte, so nennt man das. Und nach einer gewissen Zeit hat er dann auch den Farbton getroffen, das richtige Rezept und dem Restaurator das gegeben. Der hat das eingesetzt und das hat tatsächlich funktioniert."
Über Mund-zu-Mund-Propaganda hat es sich dann verbreitet, dass es da jemand gibt, der im Keller experimentiert, alte Farbrezepte wiederentdeckt, erzählt Kremer. Weitere Aufträge folgten, aus dem Hobby wurde ein Beruf, aus dem Keller über Umwege die Mühle. Mittlerweile gibt es neben dem Laden in München auch einen in New York.

Die Faszination der Farben

David Kremers Schwestern, die heute in Berlin und Dresden leben, wollten nie den Familienbetrieb weiterführen. Er selbst ist dagegen dann doch mit Frau und dem ersten Sohn aus Berlin zurück ins Allgäu gezogen. Die Farben, die Suche nach neuen Pigmenten – das alles hat ihn einfach nicht losgelassen, erzählt er. Aber warum? Was macht die Faszination an diesen farbigen Pigmenten aus?
David Kremer führt vorbei an einer kleinen Bibliothek: Hier gibt es nur Bücher zu Farben. Geordnet sind sie nach Farben: Blau, grün, rot – und auch noch eine kleine Abteilung für gelb.
Verschiedene Schalen und Schüsseln mit Grünen Erden und Farbpigmenten.
Aus Veroneser Grüner Erde entstehen Farbpigmente.© Kremer Pigmente
Ein paar Schritte weiter, in einem kleinen niedrigen Raum der Mühle, stehen große Mörser und Kübel voll grünlichem Gestein. David Kremer nimmt ein Stück in die Hand, während des Gesprächs kratzt er daran herum. Dass seine Fingernägel dreckig werden, stört ihn nicht.
Das sei Veroneser Grüne Erde, erklärt er. Grüne Gesteinsbrocken, verunreinigt mit braunen Eisenteilchen oder weiß glitzerndem Kalzit. Gerade die Verunreinigungen machen den Farbton aus, jedes Stück ist anders. Gemahlen werden sie aber alle:
"Zuallererst kommen die meisten groben Gesteine in den Metallmörser, und da werden die Gesteine erst mal grob zerkleinert. Danach geht es dann in einen Brecher. Man sieht den hier, der hat zwei so Backen, da schlägt der zusammen und zerkleinert das noch weiter. Und weiter geht’s in eine Scheibenmühle, wo das noch kleiner gemacht wird."

Der Weg von der bunten Erde zum Pigment

Und das ist nur der Anfang: Die gemahlenen Pigmente werden gesiebt, die Teilchen nach Größe geordnet. In einem anderen Raum stellt ein Mitarbeiter aus Pigmenten sogenannte Farbteige her, mischt also das konzentrierte Pigment mit Wasser. Eine weitere Mitarbeiterin versucht im Workshop-Raum gerade, das beste Mischungsverhältnis zwischen einem bestimmten Pigment und Bindemittel herauszufinden. Ein ganzer Tisch ist voll von Zettelchen mit Strichen in ganz leicht unterschiedlichen Pink-Tönen.
Hier in der Farbmühle ist die Farbherstellung immer noch ein Experimentieren, ein bisschen Chemie, ein bisschen Handwerk, ein Spiel mit Rohstoffen und Farben. Das wird deutlich bei dieser kurzen Tour durch die Räumlichkeiten.
Am Ende öffnet David Kremer die Tür zum so genannten Showroom. Man fühlt sich fast ein bisschen erschlagen von all den Pigmenten und Rohstoffen in allen denkbaren Farben, die in Gläsern in deckenhohen Regalen stehen. Gleich neben der Tür ist das Regal mit den nummerierten Pigmenten aus eigener Herstellung.
Verschiedene Gläschen mit Farbpigmenten in leuchtend grün, orange und gelb.
Auch sogenannte Tagesleuchtpigmente werden bei Kremer produziert.© Kremer Pigmente
David Kremer zeigt auf die Nummer eins ganz oben: Die Smalte, also das Kobaltblau, das sein Vater damals vor vielen Jahren im Keller wiederentdeckt hat. Daneben weitere Gläser, Kremer zählt auf: Ägyptisch Grün, Ägyptisch Blau, dann Bleizinngelb, darauf ein großer Totenkopf: Bleizinngelb, ein Pigment, mit dem früher die alten Meister malten, ist giftig.

Nach Island – der Farben wegen

"Wird trotzdem benutzt, aber hauptsächlich heute noch von Restauratoren, die Wert darauf legen oder wenn das Amt eben sagt: Das muss mit Originalpigmenten aus dieser Zeit restauriert werden. Und der Farbton von Bleizinkgelb ist einzigartig. So ein Gelb gibt es einfach nicht, man kann das auch nicht einfach mischen, das würde man sehen und hätte dann danach eine andere Wirkung."
Aber was genau macht jetzt die Faszination der Farben für ihn aus? David Kremer überlegt kurz. Erzählt dann von Reisen nach Italien, nach Frankreich, von farbigen Gesteinen am Straßenrand. Von einem Flug nach Island – wegen einer Zeitschrift, in der ein sehr farbgewaltiges Gebirge zu sehen war.
Am Ende hat er es nicht einmal dorthin geschafft, schon am Ankunftsort überall farbige Steine und Erden gesehen: Neue rote, gelbe und grüne Pigmente landeten im Kremer-Sortiment. Für Kremer geht es viel darum, die Augen offen zu halten, mit wachem Geist unterwegs zu sein.
"Und wenn man sich das jetzt anschaut und durch die Lande zieht und man sieht so einen Dreck und man stellt sich vor vor: Was kann ein Maler damit machen? Oder was haben die Menschen früher auch damit gemacht? Dann ist das faszinierend für uns, das wiederzuentdecken und verfügbar zu machen."

Altes Wissen erhalten

Ihm ist wichtig, dass das Wissen erhalten bleibt über die Farben, über die Möglichkeiten der Herstellung. Selbst Maler zu werden, darüber hat David Kremer nie nachgedacht. Wenn er Kunst bewundert, dann schaut er oft weniger auf die Bildkomposition, mehr auf die Struktur der Farben, also der Pigmente, der Erden, sagt er.
"Mich interessiert eher die Materie, woher kommt das, was ist das, was kann ich daraus machen. Nicht ein fertiges Bild, sondern eher in Form von Farbe: Was für eine Technik steckt da dahinter?"
Als Künstler sieht er sich selbst nicht wirklich – aber was ist er dann? Kremer zögert. "Im Englischen gibt es den Begriff des Colourman – dem Farbenmacher oder dem Farbenmann eigentlich. Wo man mich da einordnet, das überlasse ich den Anderen."
Vielleicht könnte man es so beschreiben: Eine Mischung aus Künstler, Handwerker. Unternehmer, natürlich. Und irgendwie auch eine Art moderner Alchimist. Ein Farbenmann eben, einer, der Vergangenheit und Gegenwart verbindet.
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