Kreativität als Ressource

Wir workshoppen uns zu Tode!

Workshop an einer Scheibe: Eine junge, lachende Frau heftet eine Haftnotiz an.
"Warum werden Tonnen bunter Wolken-Blättchen mit offenbar emphatischer Fröhlichkeit an Bürowände gepappt", fragt sich Daniel Hornuff. © imago/Westend61
Ein Einwand von Daniel Hornuff · 21.02.2019
Unternehmen fordern und fördern Kreativität, unter dem Schlagwort "Design Thinking" wird sie in Seminaren gelehrt. Großer Unfug, meint Kulturwissenschaftler Daniel Hornuff: Die "Klebezettel-Verschwörung" droht uns alle zu infantilisieren.
Vielleicht ist der Kapitalismus irgendwann Geschichte – und die Archäologie wird nach den Gründen seines Endes fragen.
Womöglich findet diese dann heraus, dass der Kapitalismus nicht an Ideologien oder Größenwahn erstickte, sondern an Workshops. Es würde sich nämlich zeigen, dass die Menschen der kapitalistischen Epoche bedrückend große Teile ihres Arbeitslebens in Workshops steckten. Zugleich wäre ersichtlich, dass es unter den Millionen Workshops nicht einen einzigen gab, der irgendein signifikantes Problem gelöst hätte.

Der Workshop-Wahnsinn hat Methode

Gleichwohl würden die Forschenden sehen, dass der damalige Workshop-Wahnsinn Methode hatte – und einen Namen: Design Thinking. Design Thinking gilt als Ansatz, mit dem es vor allem Unternehmen gelingen soll, besonders originelle Ideen zu finden. Heraus sollen Produkte kommen, die sich nah an den Bedürfnissen der Kunden orientieren.
Dabei wird suggeriert, dass sich Design Thinking als Methode der Problemlösung an der Arbeitsweise von Gestalterinnen und Gestaltern orientiert – was insofern Blödsinn ist, als es die eine Art und Weise, wie Menschen etwas designen, nicht gibt und nie gegeben hat.

Kreativität als ökonomisch erschließbare Quelle

Die Chancen stünden also gut, dass sich die Forschung verwundert die Augen reibt: Was um Himmels Willen hat man damals veranstaltet? Waren Design Thinking-Workshops nur ein schickeres Etikett für Ü-30-Indoorspielplätze? Gab es eine heimliche Post-It-Diktatur? Eine Klebezettel-Verschwörung? Warum sonst wurden Tonnen bunter Wolken-Blättchen mit offenbar emphatischer Fröhlichkeit an Bürowände gepappt? Wie anders ist zu erklären, dass das mittlere Management entweder Papierflieger faltete oder Raketen knetete, während sich der Personalvorstand sternförmig auf den Bogen legte, um die Dinge mal von unten zu betrachten?
Ohne Zweifel: Design Thinking musste ein gigantisches Regressionsprogramm gewesen sein – angetrieben von der Vorstellung, dass die Entfesselung von Kreativität mit der Rückentwicklung zum Kind kausal verbunden sei. Demnach mussten viele Menschen der kapitalistischen Epoche extrem peinliche Dinge tun, nur weil einige glaubten, Kreativität sei eine ökonomisch erschließbare Quelle, die in den Menschen selbst schlummere.

Pseudo-religiöse Verehrung alles Kindlichen

Hinter Design Thinking steht also keine ausgereifte unternehmerische Strategie, sondern die pseudo-religiöse Verehrung alles Kindlichen. Dies wird auch dadurch befeuert, dass niemand verlässlich sagen kann, was mit Kreativität eigentlich gemeint sein soll. Nicht zuletzt deshalb wird in westlichen Kulturkreisen vor allem Kindern ein besonders sprudelnder Ideenreichtum unterstellt. Stück für Stück wird das Kind auf der Ebene der kulturellen Selbstidentifikation absolut gesetzt. Es avanciert zum Götzen des Schöpferischen, zu einer Art Quengel-Genie, dem man gerne nacheifert.
Damit sei nicht die uralte Klage wiederholt, wonach der Kapitalismus die Menschen entweder infantilisiere oder aber durch Scheinreligion entfremde. Wohl aber sei darauf aufmerksam gemacht, dass mit dem bislang ungebrochenen Siegeszug der Design Thinking-Methode ein höchst reduktionistisches Menschenbild in Umlauf kommt.
Da dies auch den Konzernen nicht verborgen blieb, wollten sie das Design Thinking-Problem durch neue Design-Thinking-Programme lösen – sodass die Menschen letztlich nichts anderes mehr taten, als in Workshops zu basteln. Das war das Ende des Kapitalismus – und zugleich der Beginn einer Zeit, in der kein Mensch mehr bereit war, kreativ sein zu müssen.

Daniel Hornuff, geboren 1981, lehrt an der Kunsthochschule in der Universität Kassel. Er absolvierte ein Studium der Theaterwissenschaft, Germanistik, Komparatistik, Kunstwissenschaft und Philosophie, promovierte 2009, habilitierte 2013, legte etliche Publikationen vor und hatte zahlreiche Lehraufträge inne.

Daniel Hornuff
© Felix Grünschloß
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