Kreativität als Beruf

Von Jürgen König · 11.11.2011
Jenseits Kultureinrichtungen gibt es in Deutschland eine überaus aktive Kultur- und Kreativszene. Damit sind Menschen gemeint, die aus ihrer Kreativität einen Beruf gemacht haben. Sie trafen sich jetzt in Berlin zum Jahreskongress der "Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft".
Die Kreativen: Das sind Architekten, Designer, Autoren und Journalisten, Filmemacher, bildende Künstler, Medienkünstler, Musiker, Schauspieler, Tänzer, Radiomacher, Softwareentwickler, Spieleentwickler, Webdesigner, Werbegrafiker.

Gut eine Millionen Menschen bilden die Szene der deutschen Kultur- und Kreativwirtschaft, zumeist Freiberufler - in Klein- und Kleinstbetrieben. Bezogen auf den Umsatz und die Beschäftigungszahlen, so rechnet das Bundeswirtschaftsministerium vor, habe sich diese Szene von den 80er-Jahren an zu einem der dynamischsten Wirtschaftszweige in Deutschland entwickelt. Die Einkommensverhältnisse seien extrem unterschiedlich, beeindruckend aber sei, dass die Kultur- und Kreativwirtschaft etwa 2008 rund 65 Milliarden Euro zur volkswirtschaftlichen Gesamtleistung beigetragen habe, damit sei sie mit den großen Industriesektoren wie Fahrzeug- oder Maschinenbau vergleichbar.

"Die Szene" - das sagt sich so. Ideen hat jeder. Aus den Ideen etwas machen - das können nur wenige. Zum Beispiel der Medienkünstler Sebastian Fleiter, der eines schönen Tages ein Openair-Festival besuchte und feststellte, dass die meisten der rund 75.000 Besucher schon am zweiten Tag des Festivals vor allem eine Frage im Sinn hatten: Woher bekomme ich jetzt Strom für Telefon und Laptop? Eine Steckdose gab es - aber eben auch nur auf dem gesamten Gelände: Sie fand sich in einer Duschkabine.

"Damals entstand die Idee: Mensch, das kann doch irgendwie nicht sein, dann ist man mal pseudowissenschaftlich da rangegangen und hat mal so gekuckt: Mensch, 75.000 Leute, da heben viele Durst und viele haben Hunger, und alle brauchen Strom - da ist ja ein Geschäftsmodell drin, damals habe ich das noch nicht Geschäftsmodell genannt, das hab ich später erst gelernt, dass das ein Geschäftsmodell ist."

Aus der Idee wurde "The Electric Hotel": ein silberglitzernder Wohnwagen, mit großen Batterien bestückt, mit Windkraft- und Solaranlagen ausgestattet, wer die drei Euro fürs Handyaufladen sparen will, kann sich den nötigen Strom per Fahrrad selbst erzeugen. Und die stromlosen Smartphoner kamen zuhauf, aus der Ladestation wurde ein Treffpunkt, unter dem Motto: "Wir machen Strom, zeigen Kunst und sind Rock 'n' Roll" - unter diesem Motto zieht das florierende Unternehmen inzwischen von Festival zu Festival. Die Praxis innerhalb der kreativen Szene beschreibt Sebastian Fleiter so:

"Grundlegende technische Schwierigkeit ist einfach, dass ich aus der Medienkunst komme und von Strom zwar weiß, wie man was anschließt, aber nicht, wie man es generiert. Das heißt, es ist eigentlich so ein klassisches Beispiel dafür, wie glaube ich die ganze Kunst-, Kultur- und Kreativwirtschaft funktioniert: dass man sich für Projekte Leute sucht, die das können. Also man sucht sich jemand, der zum Beispiel BWL kann, wenn man es nicht selber bedienen kann, man sucht sich jemanden, der Software entwickelt, man stellt Teams zusammen, um eben all das, was man selber nicht leisten kann, von irgendjemand machen zu lassen, der sich mit so etwas auskennt."

Wo man sich kennt, ist es relativ leicht, Kontakte zu knüpfen. An Handwerksbetriebe oder gar Industrieunternehmen heranzutreten, ist wesentlich schwerer. Hier will die Initiative der Bundesregierung helfen, Wege zu ebnen und ein Umdenken einzuleiten. Der Politik- und Strategieberater Michael Bleks sieht es so:

"Wir haben ja so einen Mythos in Deutschland, dass man als ordentlicher Unternehmer erstmal ordentliche Business-Pläne schreiben muss und BWL studiert haben muss, ich finde, die Kreativen zeigen ganz deutlich, dass das nicht der Fall ist. Sie haben einen ganz anderen Zugang zur Welt und zur Wirklichkeit, die ich für eine ganz besondere, auch wichtige Ergänzung für unser gesamtes Wirtschaftssystem halte. Und ich finde, dass die etablierten Unternehmen zum Teil auch mal von ihrem hohen Ross runtersteigen können, um zu lernen, wie man Kreativunternehmer wird und in eine Begegnung kommt mit den Kreativen. Ansonsten glaube ich, die Kreativen sind kreativ, und deswegen müsste man sie dauernd dazu aufrufen, selber Formate zu entwickeln, wie sie in der Gesellschaft vorkommen, ... selber Formate zu entwickeln, wie sie attrahieren, andere Branchen attrahieren: Hey Leute wir sind da! Wir sind da, kommt zu uns, lasst uns gemeinsam was machen."

Titus Kockel vom Zentralverband des Deutschen Handwerks zeigt sich ebenfalls aufgeschlossen.

"Kooperationen sind das A und O, Kooperationen innerhalb des Handwerks, Kooperationen, die über die Handwerksgrenze hinausgehen, insofern versprechen wir uns natürlich auch von der Initiative sehr sehr viel, weil dort Kooperation möglich werden oder in den Blick kommen, die mit den verschiedenen Teilbranchen der Kultur- und Kreativwirtschaft ganz ganz neue Produkte, Dienstleistungen usw. erzeugen können."

Klaus Hinnenberg, Geschäftsführer eines Instituts für Unternehmensführung, er sieht bei den herkömmlichen Unternehmen gar einen "Hunger" nach dem, was die Kreativwirtschaft zu bieten hat.

"Es geht nicht darum, heute den 27. Joghurt mit Kirsche zu erfinden. Das ist keine Innovation. Es geht vielleicht aber darum, den Joghurt, den ich seit Jahren nicht vernünftig aufbekomme, ohne meine Finger zu verletzen, mal einem Kreativen zu geben und sage: Mach mal einen ordentlichen Verschluss, den man auch vernünftig öffnen kann. Wenn es der Initiative gelingt, und das ist eine Frage der Popularität und eine Frage der Kommunikation, dass es eine Institution gibt, die sich genau um diese kleinen, aber sehr wichtigen und Unternehmen befördernden Dinge kümmert, dann kann ich mir vorstellen, dass das passiert, was gerade gewünscht wird: Dass Berater ausschwärmen, und kucken sich das Vorort an - bis hin zu einer Hotline, wo man anruft und sehr schnell klare Fragen stellen kann und kompetente Antworten bekommt. Ich glaube, dass die Wirtschaft nach einer solchen Institution hungert."

Ein größeres Gemeinschaftsgefühl innerhalb der kreativen Szene, eine bessere Vernetzung, ein intensives Coaching und eine größere Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit, dies die einhellige Meinung, seien nun nötig. Aber unverkennbar herrscht Aufbruchsstimmung: allenthalben.
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