Kreative Demokratie?
Dass der Plan zum Abriss des Stuttgarter Hauptbahnhofs und dessen Verlegung unter die Erde der Schwabenstreich einer auf allen Ohren tauben Regierung war, der deshalb zu Recht die Bürger des Neckartals letztes Jahr auf die Barrikaden trieb, kann man nur mit einem gewissen Maß an Realitätsverleugnung behaupten. Die Sache war hinlänglich bekannt. Zwei Jahrzehnte lang wurde schließlich eruiert und geplant, und qualifizierte Mehrheiten für das Projekt gab es auch.
Als es dann ernst werden sollte, wurde es laut in Stuttgart. Kostenexplosion, Bäume fällen im Schlossgarten? Nein danke! Und überhaupt. Brauchen wir denn einen neuen Durchgangsbahnhof? Als wäre diese Frage nicht längst in einem langwierigen Planfeststellungsverfahren geklärt. Am besten also, die ganze Sache durch einen Volksentscheid erneut zur Disposition zu stellen. Auf der anderen Seite machte die Rede vom strukturkonservativen Dagegen-Bürger die Runde.
Dabei war Stuttgart 21 nur der spektakulärste Fall, der die politische Öffentlichkeit zeitweilig in zwei Lager spaltete. Planungssicherheit ist ein hohes Gut, so die eine Seite. Bürgerbeteiligung, vor allem bei Großprojekten, ist notwendig, um Planungsfehler zu vermeiden, so die andere. Doch beides ist richtig, wenn nur das rechte Maß stimmt.
Gute Planung, wenn sie nachhaltig funktionieren und akzeptiert werden will, ist eine komplexe Angelegenheit. Niemand kann dabei auf sachkundiges Detailwissen verzichten. Allzu oft jedoch mischt hier gewöhnlich die eine oder andere Lobby mit. Expertenwissen und Eigeninteresse sind da nicht immer sauber auseinander zu halten.
Was also spricht gegen eine lobby-unabhängige Bürgerbeteiligung an eingreifenden Entscheidungen, die das Leben der Bürger selbst betreffen? Was gegen eine Rückkopplung in den Alltag der Gesellschaft - beispielsweise in der Gestalt von die Arbeit der Parlamentarier ergänzenden und kontrollierenden Bürgerkammern, wie sie FDP-Generalsekretär Lindner seit einiger Zeit propagiert?
Es gibt positive und ermutigende Beispiele, die in eine ähnliche Richtung zielen. Der Stadtkämmerer der überschuldeten Stadt Essen beispielsweise stellte alle wichtigen Sparvorschläge der Verwaltung ins Internet und forderte die Bürger auf, sie zu bewerten, zu kommentieren und eigene Ideen einzubringen.
Plötzlich stellte sich heraus, dass viel mehr Bürger die Finanzlage der Stadt ernst nahmen, wichtige Vorschläge einbrachten und stärker als zuvor bereit waren, die notwendigen Konsequenzen im Interesse des Gemeinwohls mit zu tragen. Die Transparenz erzeugte handgreiflichen Mehrwert. Andere Städte folgten dem Beispiel und zeigen einen Weg, der auch in anderen Bereichen als Modell dienen kann. Merkwürdigerweise paart sich bei uns nämlich mit einer immer wieder beklagten Politikverdrossenheit ein ausgesprochen starkes Bedürfnis nach mehr politischer Partizipation.
Die Herausforderung heißt kreative Demokratie, was etwas grundsätzlich anderes ist als Basisdemokratie oder Wutbürgertum. Transparenz, Einbeziehung der Bürger? Ja. Politische Entscheidungen aber treffen nach wie vor die demokratisch gewählten Volksvertreter und Institutionen.
In Stuttgart führte die Auseinandersetzung, wie man sich erinnern wird, zu einem weisen Schlichterspruch. Heiner Geißler, in das Amt des Vermittlers berufen, stellte tatsächlich Mängel in der Planung und vor allem in der Kommunikation fest und verpflichtete im Ergebnis die Deutsche Bahn, sich einem Stresstest zu unterwerfen. Sie sollte erkennbar nachweisen, dass der neue Tiefbahnhof tatsächlich deutlich leistungsfähiger ist als der bestehende.
Die neue Sachlichkeit, die in der Schlichterrunde Einzug hielt, hatte etwas Wohltuendes an sich. Sie war in diesem Fall zwar durch den Druck der Straße zustande gekommen war, gab ihm aber nicht nach der Devise "Der Lauteste hat Recht" umstandslos nach. Warum nicht gleich und in Zukunft immer so?
Kreative Demokratie? Ja, bitte. Aufstand der Einzelinteressen? Nein danke.
Rolf Hosfeld, Publizist, Autor, Lektor und Filmemacher, geboren 1948 in Berleburg (NRW), studierte Germanistik, Philosophie und Politikwissenschaften. Hosfeld lebt als freier Autor und Filmemacher auf dem Land bei Potsdam. Jüngste Buchveröffentlichungen: "Was war die DDR? Geschichte eines anderen Deutschlands" und "Die Geister, die er rief. Eine neue Karl-Marx-Biografie".
Dabei war Stuttgart 21 nur der spektakulärste Fall, der die politische Öffentlichkeit zeitweilig in zwei Lager spaltete. Planungssicherheit ist ein hohes Gut, so die eine Seite. Bürgerbeteiligung, vor allem bei Großprojekten, ist notwendig, um Planungsfehler zu vermeiden, so die andere. Doch beides ist richtig, wenn nur das rechte Maß stimmt.
Gute Planung, wenn sie nachhaltig funktionieren und akzeptiert werden will, ist eine komplexe Angelegenheit. Niemand kann dabei auf sachkundiges Detailwissen verzichten. Allzu oft jedoch mischt hier gewöhnlich die eine oder andere Lobby mit. Expertenwissen und Eigeninteresse sind da nicht immer sauber auseinander zu halten.
Was also spricht gegen eine lobby-unabhängige Bürgerbeteiligung an eingreifenden Entscheidungen, die das Leben der Bürger selbst betreffen? Was gegen eine Rückkopplung in den Alltag der Gesellschaft - beispielsweise in der Gestalt von die Arbeit der Parlamentarier ergänzenden und kontrollierenden Bürgerkammern, wie sie FDP-Generalsekretär Lindner seit einiger Zeit propagiert?
Es gibt positive und ermutigende Beispiele, die in eine ähnliche Richtung zielen. Der Stadtkämmerer der überschuldeten Stadt Essen beispielsweise stellte alle wichtigen Sparvorschläge der Verwaltung ins Internet und forderte die Bürger auf, sie zu bewerten, zu kommentieren und eigene Ideen einzubringen.
Plötzlich stellte sich heraus, dass viel mehr Bürger die Finanzlage der Stadt ernst nahmen, wichtige Vorschläge einbrachten und stärker als zuvor bereit waren, die notwendigen Konsequenzen im Interesse des Gemeinwohls mit zu tragen. Die Transparenz erzeugte handgreiflichen Mehrwert. Andere Städte folgten dem Beispiel und zeigen einen Weg, der auch in anderen Bereichen als Modell dienen kann. Merkwürdigerweise paart sich bei uns nämlich mit einer immer wieder beklagten Politikverdrossenheit ein ausgesprochen starkes Bedürfnis nach mehr politischer Partizipation.
Die Herausforderung heißt kreative Demokratie, was etwas grundsätzlich anderes ist als Basisdemokratie oder Wutbürgertum. Transparenz, Einbeziehung der Bürger? Ja. Politische Entscheidungen aber treffen nach wie vor die demokratisch gewählten Volksvertreter und Institutionen.
In Stuttgart führte die Auseinandersetzung, wie man sich erinnern wird, zu einem weisen Schlichterspruch. Heiner Geißler, in das Amt des Vermittlers berufen, stellte tatsächlich Mängel in der Planung und vor allem in der Kommunikation fest und verpflichtete im Ergebnis die Deutsche Bahn, sich einem Stresstest zu unterwerfen. Sie sollte erkennbar nachweisen, dass der neue Tiefbahnhof tatsächlich deutlich leistungsfähiger ist als der bestehende.
Die neue Sachlichkeit, die in der Schlichterrunde Einzug hielt, hatte etwas Wohltuendes an sich. Sie war in diesem Fall zwar durch den Druck der Straße zustande gekommen war, gab ihm aber nicht nach der Devise "Der Lauteste hat Recht" umstandslos nach. Warum nicht gleich und in Zukunft immer so?
Kreative Demokratie? Ja, bitte. Aufstand der Einzelinteressen? Nein danke.
Rolf Hosfeld, Publizist, Autor, Lektor und Filmemacher, geboren 1948 in Berleburg (NRW), studierte Germanistik, Philosophie und Politikwissenschaften. Hosfeld lebt als freier Autor und Filmemacher auf dem Land bei Potsdam. Jüngste Buchveröffentlichungen: "Was war die DDR? Geschichte eines anderen Deutschlands" und "Die Geister, die er rief. Eine neue Karl-Marx-Biografie".