Schauspieler und Krankheit

Nie mehr mit Fieber auf die Bühne

Illustration: Ein Mensch schneuzt sich die Nase in ein Taschentuch.
"Wer krank ist, sabotiert die Proben" - die Schauspielin Nicola Schubert kritisiert die Kultur des "heldenhaften Märtyrertums" unter Schauspielern. © Getty Images / CSA Images
Ein Einwurf von Nicola Schubert · 08.04.2022
Im Bett bleiben, wenn man sich krank fühlt? Nicht zur Arbeit gehen? Am Theater wird das schnell als Schwäche ausgelegt oder als unsolidarisch gegenüber den Kollegen, hat die Schauspielerin Nicola Schubert erlebt. Doch mit der Pandemie kam ein Umdenken.
„Wer krank ist, sabotiert die Proben“ – das ist einer von vielen Sätzen aus der Schatzkiste der Theater-Folklore, aber scherzhaft gemeint ist er nur zum Teil. Ich kenne keine einzige Kollegin, keinen einzigen Kollegen, die oder der nicht schon krank auf der Bühne gestanden oder geprobt hat.
Ich spreche hier natürlich nicht über einen Schnupfen, sondern von hohem Fieber oder vom entzündeten Blinddarm eines Kollegen, der fast durchgebrochen wäre. Oder dem Bandscheibenvorfall, der einer anderen Kollegin eine vorübergehende Lähmung und massive Nervenschäden eingebracht hat, weil sie trotzdem spielte. Oder von meiner ausverkauften Doppelvorstellung an Silvester, bei der ich eine heftige Magen-Darm-Grippe hatte und die permanente Angst, jederzeit von der Bühne rennen zu müssen.

Man hatte Angst, öffentlich darüber zu sprechen

Trotz Krankschreibung überlegt man es sich gut, abzusagen. Und tut es in den allermeisten Fällen nicht. Wenn es doch passiert, ist die Furcht vor der Enttäuschung der Intendant:innen, die im Prinzip relativ willkürlich Verträge kündigen können, groß. Und vor allem: die Angst, schwach zu sein. Die Angst, in die Schublade „leistungsunfähig“ gesteckt zu werden. Die Angst, eine Mimose zu sein. Übrigens auch die Angst, öffentlich darüber zu sprechen, so wie ich jetzt.
Dass Menschen sich krank zur Arbeit schleppen, kennen auch andere Branchen, klar. Eine gewisse Burnout-Logik gibt es überall. Beim Theater kommt aber noch etwas hinzu: eine Art Kultur des heldenhaften Märtyrertums: Wer trotz Krankheit spielt, hat eisern durchgehalten und kann sich eines anerkennenden Schulterklopfers sicher sein. Zumindest konnte er oder sie es - bis zur Pandemie.

Krank ist nun mal krank

In der Produktion, für die ich aktuell probe, gab es einen Krankheitsfall. Nicht Corona, das wäre eine klare Sache gewesen – an der Isolierung kommt niemand vorbei. Nein, es war nur ein anderer hartnäckiger, fiebriger Infekt. Dennoch: Die Premiere wurde kurzerhand und ohne Murren verschoben. Offenbar ist die Toleranz für Krankheit nach zwei Jahren Pandemie gestiegen. Es ist Alltag geworden, dass Veranstaltungen ausfallen oder verschoben werden. Lange Zeit konnte an den Theatern gar nicht gespielt werden. Wenn da jetzt mal was ausfällt: halb so wild.
Ob das mittel- und langfristig so bleibt, ist eine andere Frage. Denn natürlich sind lang eingeübte Muster nicht einfach so aus den Köpfen zu bekommen. Das hat auch der Krankheitsfall bei meiner aktuellen Produktion gezeigt: Die Theaterleitung nahm die Verschiebung sehr locker hin. Aber die erkrankte Kollegin musste in langen Gesprächen mühsam davon überzeugt werden, dass krank nun mal krank ist und Fieber Fieber, was will man da machen?
Krank ist nun mal krank - dieser simple Satz, auf den sich am Ende alle einigten, kommt einem Paradigmenwechsel im Theater gleich. „Und den müssen wir Spielenden herbeiführen“, sagte eine Kollegin.

Schauspieler brauchen Ausfallhonorare

Aber leicht wird das nicht: Stadttheater sagen natürlich nicht gern eine ausverkaufte Vorstellung mit 800 Menschen im Publikum ab: Für die oft auf Kante finanzierten Häuser sind das herbe Einbußen.
Bei freien Theatern kommt hinzu: Wer nicht fest angestellt ist, hat bei Krankheit meist auch selbst Einnahmeverluste. Dazu das schlechte Gewissen gegenüber dem Theater und vor allem den Kolleg:innen, die ebenfalls kein Geld bekommen, wenn die Vorstellung ausfällt. Das Risiko tragen hier wieder einmal die freischaffenden Künstler:innen.
Den freien Theatern tut das leid. Doch mit ihren knappen Budgets können sie nichts tun. Was wir brauchen, ist eine Kulturpolitik, die alle Theater so ausstattet, dass sie auch Ausfallhonorare finanzieren können und den sowieso schlecht verdienenden Freien damit ein wenig mehr Sicherheit bieten können. Das würde einen weiteren Paradigmenwechsel erfordern: hin zu besseren Arbeitsstandards in der Kultur, die öffentlich mitgetragen und unterstützt werden.

Nicola Schubert ist Schauspielerin, Theatermacherin und freie Autorin. Sie begann bei den „Ruhr Nachrichten“ und bei Radio 91,2 in Dortmund und mit einem Theater- und Medienwissenschaftsstudium. Nach dem Schauspieldiplom in Frankfurt am Main war sie in Detmold und am Theater Ulm engagiert. Nun lebt sie in Köln und arbeitet hauptsächlich mit ihrem Performance-Kollektiv schubert-stegemann.

Porträt von Nicola Schubert, Schauspielerin und Autorin
© Birgit Hupfeld
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