Krankheit

Leben mit der Diagnose Tod

Eine Frau hält die Hand ihres an Demenz erkrankten Mannes.
Eine Frau hält die Hand ihres an Demenz erkrankten Mannes. © picture alliance / dpa / Foto: Daniel Naupold
Von Sandra Löhr · 14.09.2015
Noch nie waren Krankheiten, die zum Tode führen, so gut erforscht wie heute. Doch was passiert in der Lebenszeit, in der die Patienten und ihre Angehörigen mit dem Wissen leben, dass der Tod kommen wird?
Noch nie waren Krankheiten, die zum Tode führen, so gut behandelbar. Die moderne Medizin kann deswegen vielen Menschen, bei denen eine tödliche Krankheit (meistens Krebs) diagnostiziert wurde, noch eine lange, relativ beschwerdefreie Zeit ermöglich. Doch was passiert in diesen Monaten oder in den ein, zwei oder drei Jahren Lebenszeit, in der die Patienten und ihre Angehörigen mit dem Wissen leben, dass der Tod unausweichlich ist?

Auszug aus der Sendung:
Die Kranken müssen sich quasi im Zeitraffer mit der Endlichkeit des Lebens auseinandersetzen. Aber eigentlich gelten die Fragen, die sich für sie jetzt stellen ja für alle Menschen: Wie gehe ich mit der mir noch verbleibenden Zeit sinnvoll um? Wie will ich leben? Was ist mir wichtig? Wie will ich meine Beziehungen zu anderen Menschen gestalten? Was möchte ich noch klären oder für mich herausfinden? Und was soll von mir bleiben, wenn ich nicht mehr auf dieser Welt bin?
Prof. Dr. Anja Mehnert: "Bei dieser Krankheitssituation, also wenn Menschen wissen, sie werden an der Erkrankung sterben, aber haben eben doch noch Zeit - also nicht vier Wochen, sondern ein Jahr oder zwei Jahre oder fünf Jahre, ist das im Grunde genommen so ein Phänomen, was für die Wissenschaft auch neu ist. Also wie gehen Menschen damit um? Kann ich das überhaupt verarbeiten?"
Dr. Grah: "Aber es gibt eben diese Gruppe, und es gibt dann andere und das ist die kleinere Gruppe, wo Erstaunliches entsteht. Und diese existenzielle Auseinandersetzung: Was mache ich denn in der Zeit, die mir noch bleibt? - die so zu unterstützen, dass wir eigentlich hinhören lernen: Was braucht der andere jetzt, was braucht der Betroffene, welche Fragen braucht er und nicht nur das möglichst optimale Reinträufeln von Chemotherapie oder auch die möglichst optimale Operation - die selbstverständlich gewährleistet sein muss -, sondern eigentlich mehr das Abfragen: wo willst du denn noch hin, was ist dir denn noch wichtig?"
Wissen diese Menschen also etwas, das wir Gesunden noch nicht wissen? Ich treffe Marlies Mascheski, eine Frau Ende 60 in einem Berliner Café. Ihre grauen Locken kringeln sich über den Ohren und sie lacht schon bei der Begrüßung. Nie würde man auf den Gedanken kommen, dass diese lebendige und freundliche Frau schwer krank ist, erst vor wenigen Monaten erfahren hat, dass ihr Darmkrebs nun unheilbar ist, sie nur noch palliativ behandelt werden kann.
Marlies Mascheski: "Das ist ja auch das Merkwürdige: Man kriegt diese Diagnose und man denkt: Oh, jetzt musst du wirklich dein Leben anders aufziehen, anders entwickeln und so. Und was tut man? Man geht einkaufen, man denkt, oh, was essen wir heute, was essen wir morgen? Man ärgert sich über den Mann oder über die Kinder – je nachdem – man ist so wie immer. Man wäscht die Wäsche und mitten im Wäschewaschen denkt man dann plötzlich: Warum ist das jetzt eigentlich alles so normal?"
Marlies Mascheski hat eine weitere Behandlung abgelehnt. Nach etlichen Operationen, Bestrahlungen und Chemotherapien in den letzten Jahren hat sie nach der Diagnose Unheilbar beschlossen, auf ihr Gefühl zu hören. Und das sagt ihr, dass sie ihr restliches Leben mit der Familie, mit ihren Kindern und Enkelkindern und auf Reisen verbringen möchte - und nicht im Krankenhaus.
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