"Kranke Farben sind interessanter"

Von Bettina Ritter · 14.05.2013
70 Minuten Gemurmel und kein Text - gar nicht so einfach, dazu die passenden Kostüme zu entwerfen. Für das Stück "Murmel Murmel", das derzeit beim Berliner Theatertreffen zu Gast ist, hat Victoria Behr diese schwierige Aufgabe gemeistert.
Behr: "Schau mal, das ist die Figurine, das ist eine Art Kleid, das ist ein Petticoat-Rock, also sehr weit ausgestellt mit sehr vielen Tüll-Lagen."

Schauspielerin: "Sehr schön!"

Victoria Behr erklärt der Schauspielerin Inka Löwendorf ihr Kostüm. Die 33-Jährige mit den kurzen, dunkelbraunen Haaren und dem schwarzen, weiten Kleid steht in der Damen-Garderobe der Probenbühne. In der Hand hält sie ihren Entwurf, die so genannte Figurine. Ein gelbes Blatt Papier, darauf collagenartig das weiße, bauschige Kostüm.

Behr: "Und die auf dem Mond haben ja alle diese relativ hohen Conehead-Stirnen, und da hast du eine Mega-Stirn auf deinem Kopf …."

Schauspielerin: "Herrlich!"

Die Köpfe sind übertrieben lang, nach oben spitz zulaufend. Wie die der Außerirdischen im Film "Coneheads". Von ihm hat sich Victoria Behr inspirieren lassen. Es ist eine der ersten Proben zu "Frau Luna". Inszeniert wird die Operette von Herbert Fritsch.

Auf der großen Probenbühne fahren zehn Schauspieler mit Rädern kreuz und quer. Es ist dunkel, nur die Lichtkegel der Rad-Lampen irrlichtern durcheinander. Eine surreale Atmosphäre. Mit Herbert Fritsch verbindet Victoria Behr eine besondere Arbeitsbeziehung. In den vergangenen fünf Jahren haben die beiden 15 Produktionen zusammen gestaltet. Der Regisseur war einer der Gründe, warum Behr vor vier Jahren den Schritt in die berufliche Selbständigkeit wagte.

"Es war für mich ein Riesenglück, ihn zu treffen. Ich habe sechs Jahre assistiert, dann musste ich mich auch mal selbstständig machen. Und dann hatte ich eben ein wahnsinniges Glück, dass ich ein Jahr zuvor schon Herbert kennen gelernt hatte, und es dann so losging."

Als Kind kleidet sie ihre Puppen ein
Studium in Hamburg, danach zwei Jahre Assistenz am Schauspielhaus Bochum, vier Jahre in Zürich, vor zwei Jahren der Titel "Kostümbildnerin des Jahres 2011". Bisher läuft Victoria Behrs Karriere reibungslos. Angefangen hat sie früh: Als Kind kleidet sie ihre Puppen ein, entwirft mit zwölf erste Bikinis. Mit 15 streicht sie Stühle und näht Hosen um beim Jugendtheater ihrer Heimatstadt Koblenz.

"Nach der Schule bin ich da hingefahren und habe zwei Frauen, die die Kostüme entworfen haben, geholfen, und dann wusste ich eigentlich: Das ist meine Richtung."

Die Bühne fasziniert Victoria Behr. Sie liebt die Team-Arbeit und den Probenprozess. Das Künstlerische wurde der Kostümbildnerin nicht in die Wiege gelegt. Ihr Vater war Bauingenieur, ihre Mutter Teilzeit-Lehrerin, einer ihrer Brüder ist Pilot. Doch bei Victoria Behr und ihrem jüngeren Bruder sammelt sich die Kreativität in hohem Maße. Clemens Behr ist international erfolgreich als bildender Künstler.

"Der macht mit Holz und Pappe sehr große Skulpturen. Er reist zum Beispiel nach Marokko und lässt sich dann von den Farben, die in dem Ort sind, inspirieren und baut dann eine vielleicht kubistisch anmutende Skulptur oder Installation. Das sind Dachlatten und Pappe, die aber zusammen ein wahnsinnig tolles Kunstwerk ergeben."

Jedes Stück hat einen speziellen Look
Eines seiner Objekte liegt auf Victoria Behrs Couchtisch. Ein Totenkopf, mosaikartig zusammengesetzt aus vielen unterschiedlich farbigen Holzstücken. Das Wohnzimmer ist spärlich möbliert: In einem riesigen Regal stehen dicke Mode- und Kunstbände. Vivienne Westwood, Alexander McQueen, John Galliano – das sind ihre Inspirationsquellen. Victoria Behr lebt allein in der Zweiraum-Altbauwohnung im Berliner Prenzlauer-Berg. An eine eigene Familie denkt die 33-Jährige noch nicht.

"Im Moment eher gar nicht. Also, ich lass das alles auf mich zukommen. Ich finde das gerade alles wahnsinnig toll. Es kann aber auch sein, dass ich in fünf Jahren – wer weiß, ob ich in fünf Jahren überhaupt noch so viel zu arbeiten habe, das weiß man ja auch nicht. Das ist die größere Sorge, die ich habe."

"Murmel Murmel" – zu diesem Stück von Dieter Roth hat Victoria Behr die Kostüme entworfen. Dass die Inszenierung der Volksbühne zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurde, empfindet sie als große Auszeichnung. 70 Minuten Gemurmel und kein Text – gar nicht so einfach, dazu die passenden Kostüme zu entwerfen.

"Es sollte einfach ganz reduziert sein, und da haben wir uns für diese grauen 60er-Jahre, die grauen Herren und die grauen Damen entschieden. Dass es nicht wahnsinnig aufgedrehte Typen und Kostüme sein sollten, das machen die Schauspieler selber."

Eine Ausnahme für Victoria Behr. Denn normalerweise zeichnen sich ihre Kostüme durch Farben aus. Knallig bunt, die Schauspieler mit starkem Make-up und rosafarbenen Haaren, wie Berge aus Zuckerwatte. Oder indirekte Töne, wie mit einer Puderquaste abgetupft. "Kranke Farben", sagt Victoria Behr, findet sie interessanter: Senfgelb, Apricot, Olivgrün. Jedes Stück, an das sie Hand anlegt, hat einen speziellen Look, einen Wiedererkennungswert. Und wenn sie dann das erste Mal ihre Entwürfe als fertige Kleider sieht, dann ist sie immer wieder gerührt.

"Ich stehe schon mit Tränen in der Anprobe, klingt jetzt vielleicht ein bisschen pathetisch, aber es gibt schon Situationen, wo ich denke, Mann, ist das schön geworden."
Mehr zum Thema