Krähen überm Krematorium
Die Widersprüche könnten kaum schärfer gezeichnet sein. Die Freiheit der Vogelwelt auf der einen Seite und die Gefangenen im Todeslager Auschwitz auf der anderen. Arno Surminski erzählt in seinem Buch Die Vogelwelt von Auschwitz eine Geschichte, die auf Extremen beruht. Seine Novelle basiert auf einer wahren Begebenheit, wie aus dem Vorwort zu erfahren ist:
"Während des Zweiten Weltkrieges erschien in einer wissenschaftlichen Zeitschrift in Wien ein Aufsatz mit dem Titel 'Beobachtungen über die Vogelwelt von Auschwitz'. Der Autor, ein Biologe, hatte als SS-Wachmann im KZ Auschwitz von 1940 bis Ende 1941 Dienst geleistet und dort die Vogelwelt erforscht."
Es handelt sich um eine "unerhörte Begebenheit", die Surminski zu einer ergreifenden Geschichte verdichtet. Er stellt dem SS-Wachmann Hans Grote, so sein Name in der Novelle, den polnischen Gefangenen Marek Rogalski zur Seite. Der Häftling hat in Greifswald Kunst studiert. Nun ist er Grote zugeteilt, um Vögel zu zeichnen und zu präparieren. Er ist "auserwählt", denn er darf mit seinem "Herrn" durch die Gegend um Auschwitz streifen, um die Vogelwelt zu erkunden. Ein "Herr" will Grote zwar nicht genannt werden, aber in der Bezeichnung spiegeln sich die realen Verhältnisse.
Grote entscheidet über Leben und Tod. Wenn er mit seinem herrischen Blick die Welt in Augenschein nimmt, scheint sie ihm so, wie sie ist, in Ordnung zu sein. Für ihn ist es deshalb auch ganz selbstverständlich, dass der Lagerkommandant Höß im Juni 1941 einen Befehl erlässt, um die in Auschwitz lebenden Vögel zu schützen. Ausdrücklich verbietet er der Wachmannschaft, auf Vögel zu schießen. Die Rechte der Vögel, sich ungestört in ihrem Lebensraum zu bewegen, werden respektiert.
Diese Fürsorgepflicht empfindet Marek Rogalski wie einen Hohn, der ebenso wie seine Mitgefangenen keinerlei Rechte besitzt. Eingekerkert sitzt er in einem "Käfig" und kann nur seine Gedanken in die Weite ziehen lassen. Während dieser Traumreisen bewegt er sich durch Krakau und trifft sich mit seiner Freundin Elisa. Doch selbst im Träumen muss er sich Grenzen auferlegen, damit der Schmerz nicht zu groß wird. Marek muss im Lager lernen, "klein zu denken". Er ist gezwungen, sich auf Naheliegendes zu konzentrieren, damit er überlebt. Er darf nicht krank werden, und er muss Fluchtgedanken und Tötungsabsichten verwerfen, wenn er mit seinem "Herrn" unterwegs ist.
Surminski hat ein Buch geschrieben, in dem verschiedene Welten aufeinander treffen. Als Auschwitz zu einem perfekt organisierten und funktionierenden Todeslager ausgebaut wird, meiden die Vögel diesen Ort. Es bleiben nur noch die Krähen, die den Tod symbolisieren. Marek Rogalski überlebt das Lager. Er hat Glück.
Glück hat auch Hans Grote. Der gewissenhafte Ornithologe wird nach dem Krieg zu acht Jahren Haft verurteilt, kommt aber bereits nach drei Jahren frei, weil anerkannte Kollegen aus den Niederlanden und aus England darum baten, ihm "die Freiheit zu geben."
Die Vögel, so hatte Marek während seiner Zeit im Lager gehofft, würden als Boten in die Welt tragen, was in Auschwitz passiert. Auch an diese vergebliche Hoffnung erinnert Surminskis Buch: Für die Freiheit der Mareks haben sich nur sehr wenige eingesetzt.
Rezensiert von Michael Opitz
Arno Surminski: Die Vogelwelt von Auschwitz. Eine Novelle
Langen Müller Verlag, München 2008
191 Seiten, 17,90 Euro.
Es handelt sich um eine "unerhörte Begebenheit", die Surminski zu einer ergreifenden Geschichte verdichtet. Er stellt dem SS-Wachmann Hans Grote, so sein Name in der Novelle, den polnischen Gefangenen Marek Rogalski zur Seite. Der Häftling hat in Greifswald Kunst studiert. Nun ist er Grote zugeteilt, um Vögel zu zeichnen und zu präparieren. Er ist "auserwählt", denn er darf mit seinem "Herrn" durch die Gegend um Auschwitz streifen, um die Vogelwelt zu erkunden. Ein "Herr" will Grote zwar nicht genannt werden, aber in der Bezeichnung spiegeln sich die realen Verhältnisse.
Grote entscheidet über Leben und Tod. Wenn er mit seinem herrischen Blick die Welt in Augenschein nimmt, scheint sie ihm so, wie sie ist, in Ordnung zu sein. Für ihn ist es deshalb auch ganz selbstverständlich, dass der Lagerkommandant Höß im Juni 1941 einen Befehl erlässt, um die in Auschwitz lebenden Vögel zu schützen. Ausdrücklich verbietet er der Wachmannschaft, auf Vögel zu schießen. Die Rechte der Vögel, sich ungestört in ihrem Lebensraum zu bewegen, werden respektiert.
Diese Fürsorgepflicht empfindet Marek Rogalski wie einen Hohn, der ebenso wie seine Mitgefangenen keinerlei Rechte besitzt. Eingekerkert sitzt er in einem "Käfig" und kann nur seine Gedanken in die Weite ziehen lassen. Während dieser Traumreisen bewegt er sich durch Krakau und trifft sich mit seiner Freundin Elisa. Doch selbst im Träumen muss er sich Grenzen auferlegen, damit der Schmerz nicht zu groß wird. Marek muss im Lager lernen, "klein zu denken". Er ist gezwungen, sich auf Naheliegendes zu konzentrieren, damit er überlebt. Er darf nicht krank werden, und er muss Fluchtgedanken und Tötungsabsichten verwerfen, wenn er mit seinem "Herrn" unterwegs ist.
Surminski hat ein Buch geschrieben, in dem verschiedene Welten aufeinander treffen. Als Auschwitz zu einem perfekt organisierten und funktionierenden Todeslager ausgebaut wird, meiden die Vögel diesen Ort. Es bleiben nur noch die Krähen, die den Tod symbolisieren. Marek Rogalski überlebt das Lager. Er hat Glück.
Glück hat auch Hans Grote. Der gewissenhafte Ornithologe wird nach dem Krieg zu acht Jahren Haft verurteilt, kommt aber bereits nach drei Jahren frei, weil anerkannte Kollegen aus den Niederlanden und aus England darum baten, ihm "die Freiheit zu geben."
Die Vögel, so hatte Marek während seiner Zeit im Lager gehofft, würden als Boten in die Welt tragen, was in Auschwitz passiert. Auch an diese vergebliche Hoffnung erinnert Surminskis Buch: Für die Freiheit der Mareks haben sich nur sehr wenige eingesetzt.
Rezensiert von Michael Opitz
Arno Surminski: Die Vogelwelt von Auschwitz. Eine Novelle
Langen Müller Verlag, München 2008
191 Seiten, 17,90 Euro.