Krächzende Puppen im Kasperltheater

Von Christian Gampert · 23.06.2009
Die Spanne der Darbietungen am Mannheimer Nationaltheater ist groß. So bringt ein Alternativtheater aus Berlin unter dem Titel "Am Arsch, Die Räuber" ein Stück mit Puppen auf die Bühne. Der Theatermacher Calixto Bieito gibt einen infantilisierten "Don Karlos". Und auch Regisseur René Pollesch ist bei den Schillertagen vertreten.
Musik: "Am Arsch, die Räuber …"

Dass es Schillers "Räubern" im Grunde nicht gut geht, etwas salopper gesagt: dass sie am Arsch sind, das hatte man schon geahnt. So ganz außerhalb der Gesellschaft zu stehen, ist ziemlich anstrengend. Das Berliner "Helmi", ein frisches Alternativtheater vom Helmholtzplatz, formuliert solche Einsichten mit Hilfe von grotesken Schaumstoffpuppen, eine völlig trivialisierte, comic-artige "Räuber"-Version, irgendwas zwischen Simpsons und Sesamstraße. Der Regisseur Florian Loycke:

"Wir singen die ganze Zeit mit Kastratenstimmen und machen Britney-Spears-Lieder und so weiter. Die Räuber sind so eine Art Selbsthilfegruppe von so Integrationsfreaks, die alle von Komplexen gezeichnet sind. Es ist schon auch sone surreale Melancholie vorhanden, hoff ich. Also es ist nicht reines Monty-Python-Theater. Aber es hat natürlich davon auch was, ist klar."

Ein Schachzug der Gruppe besteht darin, dass die Figuren konsequent gegenbesetzt sind und wie im Kasperltheater krächzen: die Männer-Puppen werden von Frauen geführt, die Amalia von einem Mann, dem Engländer Brian Morrow, der mit seinem Liverpooler Akzent eine zusätzliche Verfremdung hereinbringt.

Karl Moor, gespielt von Florian Loycke, fühlt sich gedemütigt durch väterliche Geldüberweisungen und unwohl an der Uni, vergewaltigt vom Korsett der Prüfungsordnungen. Er sammelt ein paar unbeugsame Rebellen um sich, zum Beispiel Spielberg alias Spiegelberg, der später Spaß an der Gewalt finden wird. Und man kann nicht sagen, dass es das Interesse an Schiller war, das die Gruppe zur Wahl dieses Stückes bewogen hat.

Florian Loycke: "Der ursprüngliche Anlass war: ein Typ, der bei uns mitgemacht hat, der trug dieses T-Shirt von den Schillertagen. Da bin ich scharf drauf geworden, da auch hinzukommen, da dacht ich: Wir wollen da auch hin, wir erobern die sozusagen. Da passt natürlich 'Erobern' und 'Räuber', das ist dann so der erste Gedanke."

Schiller ist also nur Spielanlass für ganz andere Themen. Das ist allerdings bei den etablierten Theatermachern ganz genauso: Calixto Bieito, der mit einem infantilisierten "Don Karlos" die Schillertage eröffnete, verhandelt in dieser Auftragsproduktion eher die spanischen Nationalneurosen als das Schiller-Drama. Da steckt viel Geld drin, opulente Bilder, zwei Opernsänger, das ist der Headliner.

Das Schöne ist, dass die Schillertage auch Produktionsgelder für die Armen geben, für die Off-Szene. Der Berliner Regisseur Ulf Aminde führte das Publikum durchs Mannheimer Job-Center und ließ dort echte, allerdings vermummte Arbeitslose stupide Tätigkeiten verrichten und Geräusche erzeugen. Das ist in seiner Trägheit bisweilen nervend, das Arbeitsamt als moralische Anstalt, konfrontiert den Zuschauer aber ziemlich direkt mit der psychischen Befindlichkeit von Hartz-IV-Empfängern: eine melancholische Installation von Leerlauf und Sinnlosigkeit, der Soundteppich der Resignation.

Die von der Gruppe "Rimini Protokoll" erfundene Arbeit mit Laien, den sogenannten "Experten des Alltags", steht sowieso hoch im Kurs – auch wenn dann nur authentische Katzenmusik erzeugt wird. Das Wesentliche ist aber, zum Beispiel Arbeitslose überhaupt zum Spielen zu bekommen – und ein als Höhepunkt gezeigtes Video aus dem Probenprozess zeigte dann, dass viele der Beteiligten durchaus über Performance-Qualitäten verfügen. Wie übrigens auch jene türkischen Jugendlichen, die ihren Stadtteil, den Jungbusch, mit Schiller-Themen bespielten.

Auch der dänische Regisseur Erik Pold arbeitet mit der Zweckentfremdung öffentlicher Orte: in einem großen Bekleidungskaufhaus der gehobenen Sorte treten uns alltagsrevolutionäre Gedanken entgegen – Schiller in der Fußgängerzone, Schaufenster frei für die ästhetische Erziehung des Menschen.

Die Akteure von "Drama Köln" dagegen brechen Schiller-Motive auf die Ebene der Tele-Novela herunter und nennen das Ganze "Pension Schiller", obwohl die Aufführungen in einem stillgelegten Erlebnis-Schwimmbad stattfinden, im Schwimmbad der Liebe. Jeden Tag wird die 7-Tage-Soap fortgeschrieben; die erste Folge war eine Mischung aus Horrorfilm und kleinbürgerlichen Aggressions-Entladungen.

"Diese Verwanzung, dieses ganze verwachsene Leben, was sich hier so eingerichtet hat, so im Status quo, das müsste man alles wegmachen, alles mal rausprügeln, mit Stöcken und Eisenstangen mal richtig so kaputtmachen, du, alles kaputtmachen, was sich hier so eingenistet hat, und schwimmt im Strom und im Strom schwimmen will, und verstopft und vereitert, diese ganze eitrige, pestbeulige Infektion, die da Welt heißt, das alles mal, das alles mal kaputtsprengen, mit aller Macht mal alles wegsprengen, was uns hier zurückhält, was uns stört und hemmt, das alles mal ausradieren!"

Wo man der eigenen Entfremdung so freien Lauf lässt, darf René Pollesch nicht fehlen. Er wird, mit Hilfe des früheren Volksbühnen-Dramaturgen Carl Hegemann, einige Schauspieler des Mannheimer Nationaltheaters zum Singen bringen, Motto: "Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er singt". Wo der Mensch spielt, ist er nur Attrappe, erst im Gesang findet er angeblich sich selbst. Im Crashkurs werden die Schauspieler die Pollesch-Methode der Hochgeschwindigkeits-Entrüstung lernen, denn auch Mannheim braucht seinen Pollesch.
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