Kostengünstiger Terror

Von Bettina Rühl |
Seit einem Jahr wird in den Nuba-Bergen wieder gekämpft. Die „Befreiungsbewegung des Sudanesischen Volkes“ beansprucht das Gebiet für den Südsudan. Der Norden reagiert mit Bombenangriffen vor allem auf Zivilisten. Da die Felder nicht mehr bestellt werden können, leiden die Menschen Hunger.
Oben im Baum sitzt ein junger Mann und hackt mit einer Axt auf die Äste ein. Der 27-Jährige, er heißt Habed Kodi, klettert öfter auf Bäume, um Blätter zu ernten.

Einige Frauen haben Habed auf den Baum steigen sehen, sind sofort herbeigelaufen und haben gewartet, bis die ersten Äste auf den Boden fielen. Jetzt streifen sie die Blätter aufgeregt und eilig von den Zweigen und stecken sie sich hastig in den Mund.

„Seit April haben wir nichts mehr zu essen außer solchen Blättern. Sobald wir einen Ast sehen, ernten wir, was wir können. Manchmal bitte ich jemanden, für mich auf den Baum zu steigen und ein paar Äste abzuschlagen. Ich weiß nicht wie, aber irgendwie überleben wir.“

Neben der Frau knabbern Ziegen und eine Kuh am frischen Grün. Nach und nach kommen immer mehr Menschen dazu, vor allem Kinder und ältere Frauen. Die jungen Männer halten sich etwas im Hintergrund, aber auch sie seien hungrig, sagt Habed Mustafa Kodi. Er ist inzwischen aus der Baumkrone zurück:

„Im letzten Monat hatten meine Familie und ich noch Sorghum zum Essen. Aber seit zwei Wochen gibt es nur noch diese Blätter. Deshalb war ich gestern krank, mein Magen muss sich noch umstellen. Heute geht es mir schon etwas besser.“

Der Grund für den Hunger in den Nuba-Bergen ist der Krieg. Seit ziemlich genau einem Jahr wird dort gekämpft. Die Nuba-Berge liegen in der Nähe der Grenze zwischen dem Sudan und dem Südsudan und gehören zum Norden. Sie unterstehen der Regierung von Omar al-Bashir in Khartoum. Tatsächlich aber wird die Region von der „Befreiungsbewegung des Sudanesischem Volkes“ kontrolliert. Deren bewaffneter Arm, die SPLA-Nord, nahm vor einem Jahr erneut den Kampf auf – nach einem Jahrzehnte langen Bürgerkrieg hatte der Friede nur sechs Jahre gehalten. Anlass für die erneuten Auseinandersetzungen war das Ergebnis einer Gouverneurswahl, die in den Augen der SPLM gefälscht sein musste. Denn der von Den Haag als Kriegsverbrecher gesuchte Kandidat des Nordens gewann überraschend gegen den populären Kandidaten der SPLM.

Barabas Kuku ist Vertreter der SPLM-Regierung in der Gemeinde Kauda:

„Wir kämpfen, um das Regime im Norden zu ändern. Wir kämpfen dafür, dass jeder in Freiheit leben kann, dass alle Menschen die gleichen Rechte haben, dass die Menschenrechte garantiert sind.“

Seit einem Jahr wird wieder gekämpft. Seitdem greift die sudanesische Luftwaffe die Dörfer in den Bergen erneut regelmäßig an. Außerdem verhindert al-Bashir humanitäre Hilfe. Die einzige Straße, die aus dem Norden in die Berge führt, hat er geschlossen. Was bleibt, ist eine Piste aus dem Südsudan. So ist der Hunger al-Bashirs wirksamste Waffe: ein kostengünstiger Terror, der vor allem die Zivilbevölkerung trifft.

Barabas Kuku: „Die Lage ist sehr schwierig, weil die Menschen nichts mehr zu essen haben. Sie kommen voller Hoffnung zu mir, weil ich die Regierung vertrete. Sie denken, dass ich vielleicht etwas zu essen für sie habe oder ihnen sonstwie helfen kann. Wir haben aber selbst nichts und können nichts anderes tun, als herumzugehen und die wenigen humanitären Organisationen um Hilfe zu bitten, die noch hier sind. Wir fragen sie, ob sie nicht irgendwie etwas zu essen bringen können, um den Menschen hier zu helfen.“

Aber diese Versuche führen zu nichts: Fast alle internationalen Organisationen sind vor dem Bombenterror geflohen. Niemand ist in der Lage, Nahrungsmittel in größeren Mengen heranzuschaffen, weil der Sudan den Zugang in die Berge behindert. Im vergangenen November versuchten die letzten Piloten, Flugzeuge mit Hilfsgütern nach Kauda zu fliegen. Bei der Landung wurden sie – nicht zum ersten Mal – angegriffen. Danach wurden alle zivilen Flüge in die Nuba-Berge eingestellt.

Habed Mustafa Kodi, der junge Mann, der die Äste aus der Baumkrone schlug, sitzt jetzt im Unterschlupf seiner Familie in einem Ort namens Sanjak. Der Unterschlupf: Ein Gestell aus Ästen, dazwischen als Wände große Stücke von Baumrinde und Holz. Auf dem Dach liegt immerhin eine große Plastikplane, so dass die Hütte wenigstens von oben abgedichtet ist, auch wenn es an den Seiten hereinregnet. Die Plane war ein Geschenk der Menschen aus dem Dorf, erzählt Habed Mustafa Kodi. Genauso wie die zwei grob gezimmerten Holzbetten und die zwei Matratzen, die sich seine achtköpfige Familie teilt:

„Wir sind aus unserem Dorf geflohen, weil wir dort nicht frei waren. Sudanesische Soldaten haben uns angegriffen und die Frauen vergewaltigt. Sie kamen regelmäßig, etwa ein Mal im Monat. Sie haben die Frauen sogar überfallen, während sie auf dem Markt arbeiteten. Und wenn wir Männer uns da zeigten, schlugen sie uns zusammen.“

Hinzu kamen die regelmäßigen Luftangriffe auf sein Heimatdorf Umathan, das ebenfalls in den Nuba-Bergen liegt. Immer wieder überflogen MIG-Jagdflugzeuge und Antonow-Transportmaschinen den Ort und ließen Bomben fallen. Die Bomber kommen fast täglich, sagt Habed. Dabei gebe es in der Nähe keine Stellungen der SPLM-Nord, versichert er, und auch keine anderen militärischen Ziele:

„Die sudanesische Regierung will nicht, dass wir dort leben, weil es uns da gut geht. Es ging uns in unserem Dorf sogar sehr gut. Wir hatten genug zu essen. Aber die Regierung behauptet einfach, wir gehörten alle zur SPLM. Deshalb greifen sie uns an, damit wir fliehen.“

Im April wurden zwei Brüder seines Vaters durch eine Bombe getötet. Daraufhin floh die Familie hierher nach Sanjak. Weil sie zwischen Bäumen und Büschen leben, sind sie aus der Luft schwer auszumachen. Deshalb fühlen sie sich hier etwas sicherer als zu Hause. Der Sichtschutz ist der Grund dafür, dass sich hunderte weitere Familien hier ebenfalls verstecken. Dabei gibt es viel zu wenig Wasserstellen für alle, und wie gesagt kaum noch Nahrung. An Hilfe bekommen die Flüchtlinge nur, was ihnen die Einheimischen schenken – Menschen, die selbst fast nichts mehr haben, aber buchstäblich ihr letztes Hemd mit den Flüchtlingen teilen.

„Wir kamen mit leeren Händen hier an. Unser letztes Sorghum hatten die Soldaten verbrannt, bevor wir geflohen sind. Jetzt gehen wir immer wieder zum Markt und bitten die anderen Menschen um Essen. Erst bekamen wir immer noch ein paar Kilo Sorghum. Wer noch Geld hatte, konnte auch Getreide für zwei oder drei Tage kaufen. Aber jetzt hat niemand mehr etwas, und wir sind auf die Blätter angewiesen.“

Der Grund für den Hunger: Während der letzten Pflanzzeit wagten die Menschen kaum, ihre Felder zu bestellen, weil sie immer wieder bombardiert wurden. Deshalb haben sie viel zu wenig geerntet, die Vorräte waren lange vor der nächsten Ernte verbraucht. Jetzt müssten sie wieder ihre Felder bestellen, und hier und da sind auch ein paar Mutige zu sehen. Aber bis zur Ernte werden weitere Wochen vergehen.

Für Habed ist der Hunger schlimm, aber vielleicht noch nicht einmal das Schlimmste. Er ist 27 Jahre alt und kräftig. Er will etwas tun, will für seine Eltern und Geschwister arbeiten, eine eigene Familie gründen. Aber er ist gezwungen, untätig in dem Unterschlupf zu sitzen:

„Wegen des Krieges ist es schwer, für die Zukunft zu planen. Im Frieden kann man das machen, man überlegt sich, wie man für seine Familie sorgen kann. Aber weil die Situation ist, wie sie ist, bin ich ziellos.“

Oben am Himmel ist wieder eine Antonow zu sehen. Zum Glück bleibt das Brummen weit entfernt: Diesmal wirft sie keine Bombe ab. Die Menschen in den Nuba-Bergen suchen den Himmel ständig nach Flugzeugen ab. Dieser Ort hier heißt Tongoli, er ist nicht weit von dem Waldversteck Sanjak entfernt. In Tongoli wohnt Kodjo Kalo Kuku:

„Diese Höhle hier ist die erste Sicherheitsstufe. Wenn eine Antonow kommt, klettern wir hier rein.“

Im Zentrum von Tongoli erhebt sich ein Berg, der von Höhlen durchzogen ist. Am Fuß des Berges stehen ein paar einfache Unterkünfte aus getrocknetem Stroh, aber von den meisten Bewohnern des Ortes ist kaum etwas zu sehen. Wie auch Kodjo Kalo Kuku, leben sie in den Höhlen, weil sie hoffen, dort vor den regelmäßigen Luftangriffen sicher zu sein. In der ersten Höhle steht ein grob gehauenes Holzbett, auf dem Kodjo schläft. Für mehr ist in dem kleinen Raum kein Platz:

„Das Bett ist erstmal das Wichtigste. Etwas tiefer im Berg haben wir noch mehr Höhlen.“

Kodjo steigt weiter in den Berg. Ein paar Kinder folgen ihm:

„Das sind nicht meine Kinder, ich kümmere mich bloß um sie.“

Er lebe hier mit seinen Neffen und Nichten, erzählt Kodjo. Seine Kinder und seine Frau wohnen in Khartoum. Dorthin war die Familie während des ersten, langen Kriegs geflohen. Als Kodjo während der Friedensphase gerade in die Nuba-Berge gefahren war, um alles für die Rückkehr der Familie vorzubereiten, fing der Krieg wieder an. Nun ist die Familie getrennt: Kodjo will noch nicht aufgeben und wieder fliehen, aber hierher nachholen will er seine Frau und seine sieben eigenen Kinder auch nicht. Weil es in den Nuba-Bergen einige Kinder gibt, die ohne ihre Eltern leben, nimmt er sich jetzt ihrer an. Einige von ihnen seien Waisen, andere die Kinder von Kämpfern der SPLA-Nord, die in den Krieg zogen und ihren Nachwuchs zurück ließen. Aber viel kann Kodjo seinen Schützlingen nicht geben:

„Ich habe ein Feld und im letzen Jahr etwas Sorghum, Kürbis und Wassermelonen geerntet. Davon ist jetzt nichts mehr übrig. Jetzt versuche ich, gegen Lebensmittel oder Bezahlung für andere Leute zu arbeiten, aber es gibt kaum Arbeit. Wir überleben, sind aber immer hungrig. Oft finden wir nur jeden zweiten Tag etwas zu essen und mehr als eine Mahlzeit täglich haben wir auch im besten Fall nicht.“

In den Höhlen lebe er auf drei Ebenen, erzählt Kodjo. In der untersten steht das Bett. Unter einem Felsvorsprung weiter oben ist etwas Kochgeschirr versteckt, in einer anderen Nische ein großer Tonkrug. Als er noch Getreide hatte, lagerte Kodjo darin das Sorghum für die nächsten Tage, aber jetzt ist der Tonkrug leer. Noch weiter oben ist eine weitere Höhle, die als „Wohnzimmer“ genutzt wird, aber gänzlich leer ist – die Menschen sitzen einfach auf dem Boden. Hauptsache, sie sind für die Piloten der sudanesischen Kriegsflugzeuge unsichtbar. Denn wer von den Bomben getroffen wird, bekommt nur mit viel Glück medizinische Hilfe.

Der einzige Arzt praktiziert in einem Krankenhaus in Kauda. Wenn die Straßen wegen heftiger Regenfälle nicht gerade unpassierbar sind, ist Kauda von Tongoli drei bis vier Autostunden entfernt. Aber wer hat schon ein Auto? Also werden viele Patienten tagelang zu Fuß herangeschleppt. Das Krankenhaus wird von der Diözese von El Obeid betrieben. Dicht an dicht stehen die Betten, 300 sind es in einem Haus, das eigentlich für 80 gebaut wurde.

In einem der Betten liegt Malda, 22 Jahre alt. Ihr Gesicht, ihre Arme und Beine sind schwer verbrannt:

„Ich wurde von einer Bombe getroffen. Ich war in meiner Hütte, als das Flugzeug kam. Mit meinen Kindern bin ich losgerannt und habe noch versucht, irgendwo in Deckung zu gehen. Aber es war zu spät, wir wurden getroffen. Wir waren fünf: Ich hatte meine beiden Kinder dabei, außerdem waren da noch zwei andere Frauen. Meine Kinder und eine der Frauen waren sofort tot.“

Der Arzt Tom Catena hat in der jüngsten Zeit mehrere Patienten mit denselben furchtbaren Verbrennungen behandelt. Catena ist davon überzeugt, dass es sich bei diesen Brandbomben nicht um konventionelle Waffen handelt:

„Wenn das kein Napalm ist, dann ist es etwas Ähnliches. Vielleicht handelt es sich um irgendeinen Zusatzstoff zu Benzin, der bewirkt, dass es einen riesigen Feuerball gibt, wenn die Bombe explodiert. Das ist die einzige Erklärung, die ich dafür habe, dass die Menschen auf diese furchtbare Weise verbrannt sind. Ich habe zufällig ein Foto von der Hütte dieser Frau gesehen, vom Grundstück ihrer Familie. Alle Gebäude sind verbrannt. Die Strohdächer sind weg, die Wände alle schwarz. Es muss also einen riesigen Feuerball gegeben haben. Und die Brandwunden sind so schrecklich. Und seltsam, weil sie bei allen dasselbe Muster aufweisen: Immer sind das Gesicht, beide Arme, beide Beine und der Rücken verbrannt.“

In einem Bett auf der Kinderstation liegt der achtjährige Cholda, auch er ist über und über mit Verbrennungen dritten Grades bedeckt: Die Haut ist weg, nur rohes Fleisch noch übrig.

Andere Bombenopfer sind die neunjährige Djamila, die querschnittsgelähmt ist, seit sie am Brunnen von einem Bombensplitter getroffen wurde. Und der 15-jährige Daniel Omar, der beim Rinder-Hüten getroffen wurde und beide Arme verlor.

Lauter Zivilisten, und es gibt viele wie sie: Opfer eines Krieges, der reiner Terror gegen die Bevölkerung ist.
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