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Wenn das Taschengeld plötzlich nicht mehr reicht

Ein Junge spielt das Videospiel Fortnite, aufgenommen 2018
Seiner Fortnite-Figur für fünf Euro ein neues Outfit kaufen: Lohnt sich, meint der Sohn unserer Autorin Lydia Heller. © picture alliance / Frank May
Von Lydia Heller · 15.12.2018
Wenn der 15-jährige Sohn trotz Taschengeld ständig pleite ist, kann man als Eltern schon mal stutzig werden. Lydia Heller erging das so. Sie begab sich auf eine kleine Recherche innerhalb der Familie und landete so auch bei einem Fortnite-Youtuber.
"Naja, mein Sohn ist ja knapp 15 und wie viele seiner Altersgenossen zockt er gerne und viel, also, spielt Computerspiele – und sieht sich auch diese 'Let‘s Play'-Videos auf Youtube an, in denen andere Gamer Spiele spielen und sich dabei aufnehmen."
Okay – das ist ja erstmal nicht verboten. Oder sind die Spiele geklaut, die er spielt?
"Das hoffe ich jetzt mal nicht – aber trotzdem kommen wir der Sache damit schon ein bisschen näher, denn es geht auch um Geld, das ganz unmerklich verschwindet – und zwar: mein Geld!"
Oh! Wie?
"Tja. Er fragt mich seit einer Weile einfach immer mal wieder nach ein paar Euro. Und als ich gemerkt habe, dass ich gar nicht so recht weiß, wozu er die dauernd braucht, da hab ich mal mein Aufnahmegerät eingeschaltet, als ich diesen Satz aus seinem Zimmer gehört habe"
Sohn: "Mama? Kommst du mal?"
Mutter: "Ja?"
"Kannst du mir Geld geben?
"Geld geben – wofür jetzt schon wieder?"
"Ich würde mir gerne einen Skin kaufen, einen Fortnite-Skin."
"Was ist das?"
"Aussehen ändern. Dass der Charakter anders aussieht, ein anderes Design hat, andere Klamotten anhat oder so."
"Also die Figur, mit der du in dem Spiel spielst?"
"Ja genau."
"Und das muss man bezahlen?"
"Ja."
"Und wie teuer ist das, was genau willst du haben?"
"Ich hätte gern ein 5-Euro-Paket."
"Fünf Euro? Für Klamotten in dem Spiel, die die Figur anhat? … Was ist der Vorteil, wenn du so eine andere Ausrüstung hast oder andere Klamotten – bist du dann irgendwie besser oder hast du mehr Kräfte oder sowas?"
"An sich nicht, aber man hat halt das Gefühl, dass man besser spielt. Und das sieht halt auch besser aus."
... ist ein Argument! Und: Wie viel Geld hast du schon ausgegeben dafür, dass der Fortnite-Avatar deines Sohns zwar nichts Besonderes kann – aber dafür ganz toll aussieht?
"… ähm… viel. Aber daran ist noch gar nichts 'informell' oder so, das weiß ich inzwischen auch – das ist eine ganz offizielle Strategie der Anbieter von sogenannten 'Free To Play'-Spielen. Also Spiele, die erstmal nichts kosten, bei denen man dann aber für Ausrüstung oder Spiele-Fortschritt oder sowas bezahlen muss."

"Ein ökonomisch durchaus attraktives Geschäftsmodell"

"Sie zahlen Kleinstbeträge, die sie erstmal so nicht wahrnehmen."
Das ist Jörg Müller-Lietzkow. Er ist Professor für Medienökonomie an der Universität Paderborn – und ich hab ihn angerufen, weil er seit zehn Jahren die Ökonomie digitaler Spiele erforscht.
"Es ist wunderbar erklärbar, wenn Sie sagen: Ich gehe mal eben einen Espresso trinken. Und so ähnlich ist es da auch. Sie spielen und stellen fest: Ein klein bisschen Beschleunigung würde gut sein, wie der kleine Espresso, so viel Geld geben sie dann aus – und das ist beim Einzelbetrag nicht so dramatisch viel. Wenn Sie aber immer wieder Geld dafür ausgeben, summiert es sich relativ schnell hoch und wenn das viele Leute tun – und es tun viele Leute – dann ist es ökonomisch ein durchaus attraktives Geschäftsmodell."
"Das kann ich genauso bestätigen. Man verliert absolut den Überblick: Hier mal zwei Euro, da mal fünf Euro und so – wie groß ist denn der Markt da?"
"Ungefähr eine Dimension kann ich Ihnen nennen: Wir haben im weltweiten Computer- und Videospielmarkt ungefähr 100 Milliarden Euro nur mit Software. Pro Jahr. Und davon entfällt ungefähr 20 bis 30 Prozent auf den sogenannten 'Free To Play'-Sektor inzwischen."
Das wären 30 Milliarden Euro!
"Weltweit, ja! Und in Deutschland kommen immerhin noch zwischen 600 und 700 Millionen Euro zusammen. Und jetzt wird’s interessant, finde ich, denn die schieben die Gamer und Streamer untereinander ziemlich hin und her, in mehr oder weniger verständlichen Tauschgeschäften."
Sohn: "Man kann auch Skins verschenken an Freunde oder andere Leute."
Mutter: "Also – ich gebe dir fünf Euro und du kaufst dir davon einen Skin und verschenkst den an einen Freund?"
"Nein, jetzt will ich den für mich kaufen, aber man kann auch Skins verschenken."
"Und an wen hast du das schon mal verschenkt?"
"An so einen Youtuber, der mich gefragt hat. Da konnte man in den Shop gehen und dann konntest du den Skin für einen anderen kaufen. Von deinem Geld."
"Und das hast du dann von meinem Geld gemacht – und was hast du dann davon gehabt?"
"Er hat mir halt auch angeboten, dass er mir dann auch was zurückschenkt."
"Das ist dann auch passiert – aber die noch viel bessere Gegenleistung für meinen Sohn war: dass der Youtuber ihn in seinem Video erwähnt hat."
Ausschnitt aus einem Youtube-Video von Krench Royale: "Whoo – mein erstes Geschenk in Fortnite, Leute, ich wurde beschenkt von XDsore: Habibi, mach bitte wieder 01er, Bruder, seit drei Jahren kenn ich dich – XDsore – wir öffnen das Geschenk, Leute – was wird’s wohl sein? Der legendäre NoSkin-Kommando-Skin. XDsore, vielen vielen Dank. Richtiger Ehrenmann! Sehr nice, sehr geil, jawoll! Bis zum nächsten Mal, euer Krench Royale."
Also – fassen wir zusammen: Dafür, dass "Krench Royale" deinen Sohn öffentlich "Ehrenmann" nennt, hast Du vorher einen Fortnite-Skin gekauft – für wie viel?
"Acht Euro… XDsore war glücklich – und Krench Royal? Ja – was der davon hat, dass Fans ihm Skins 'donaten', wie das auch heißt, und was das überhaupt für Leute sind, die den Teenies auf diese Weise das Geld ihrer Eltern aus der Tasche ziehen, das wollte ich dann natürlich auch noch wissen – und hab mich mit Krench zum Skypen verabredet.
"Stell Dich doch mal kurz vor – mit wem spreche ich eigentlich?"
"Also, ich bin Krench Royale, und seit Februar betreibe ich aktiv einen Youtube-Kanal zum Thema Fortnite. Auf der einen Seite helfe ich Leuten bei Aufgaben in Fortnite, die jede Woche kommen. Dann zeige ich ihnen, wenn irgendwas neues rauskommt, wie man’s am besten spielen sollte oder gebe Tipps – also in Fortnite kann man mittlerweile schon ziemlich viel machen. Und man braucht eben auch Ideen, das ist das Ding."
"Wir spulen mal kurz vor: Er verdient sein Geld vor allem mit Videos auf Youtube, an denen arbeitet er bis zu zehn Stunden täglich. Denn: Es gibt ja umso mehr Geld, je mehr Leute sich deine Videos ansehen. Und um also möglichst viele Fans bei der Stange zu halten, ist es natürlich schlau, immer mit der neuesten Ausrüstung zu spielen – und auch die Fans einzubinden. Eben zum Beispiel dafür, dass sie dir helfen, immer die neueste Ausrüstung zu haben. Und wenn sie dich richtig gut finden, spenden sie auch einfach so Geld."

Einnahmen reichen Fortnite-Youtuber "gut zum Leben"

Zurück zum Skype-Interview…
"Wenn ich jetzt nur Videos mache, ist es wirklich selten der Fall, dass man da spendet, aber ich hab auch schon auf Youtube gestreamt und da war’s dann auch echt krass, da merkt man den Support meistens und da gibt’s viele Leute, die da was zurückgeben wollen und auch spenden. Also eigentlich kommen die Spenden hauptsächlich von den Streams, also wenn man gerade live ist und dann werden die Spenden im Stream angezeigt, das ist vielleicht auch ein Ansporn an manche Leute, da mal was rauszuhaun."
Und wieviel kommt da für ihn zusammen?
"Das hat er mir natürlich nicht genau sagen wollen, aber, so Krench Royale…"
"… es reicht auf jeden Fall gut zum Leben, kann ich momentan sagen. Und ich bin auch zufrieden. Aber man will natürlich immer irgendwie mehr haben noch so."
"Und dafür stehen die Chancen ja auch gar nicht schlecht – denn – das hat mir Jörg Müller-Lietzkow in unserem Gespräch gesagt: Nachdem die Spiele-Industrie anfangs skeptisch war, den Streamern und Youtubern gegenüber, unterstützt sie die Leute inzwischen. Weil sie erkannt hat, wie wertvoll sie als Werbeträger sind. Nicht zuletzt für diese 'in-game-Items', Skins oder Ausrüstungen, über die wir die ganze Zeit gesprochen haben. Und deshalb: Wird es ganz sicher auch noch ne ganze Weile Teenies geben, die solche Skins unbedingt haben müssen."
Und Eltern, die sie ihnen kaufen.
Sohn: "Kannst du mir das Geld jetzt geben oder nicht?"
"Ich muss dann mal los…"
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