Kossendey warnt Türkei vor "militärischem Populismus"

Moderation: Hanns Ostermann |
Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, Thomas Kossendey, setzt weiter auf eine friedliche Lösung im Konflikt zwischen der Türkei und der PKK im Nordirak. Allerdings müsse der Türkei deutlich vermittelt werden, dass man von einem Land auf dem Weg nach Europa Behutsamkeit erwarte, sagte der CDU-Politiker.
Hanns Ostermann: Wie geht man gegen die Kurdenkämpfer der PKK vor, gegen Terroristen, wie sie der amerikanische Präsident Bush und der türkische Ministerpräsident Erdogan übereinstimmend bezeichneten? Spielt man auf Zeit, weil sich die PKK im Winter in die Berge zurückzieht, dann die Angriffe auf türkisches Gebiet nachlassen, oder gibt es demnächst mit Unterstützung der USA gezielte Angriffe im Norden des Irak? – Wir wollen darüber mit Thomas Kossendey von der CDU reden. Er ist Vorsitzender der deutsch-türkischen Parlamentariergruppe und Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium. Ich grüße Sie Herr Kossendey.

Thomas Kossendey: Guten Morgen Herr Ostermann!

Ostermann: Mit welcher Entwicklung rechnen Sie in den nächsten Wochen?

Kossendey: Ich hoffe, dass es gelingt, mit Unterstützung der Vereinigten Staaten, aber vielleicht auch mit mehr Unterstützung aus Europa an der Grenze zwischen der Türkei und dem Norden des Irak eine friedliche Lösung zu schaffen. Allerdings müssen wir natürlich sehen, dass kein Staat, auch die Türkei es sich nicht leisten kann, aus einem anderen Land mit terroristischen Angriffen überzogen zu werden, und die PKK ist ja nicht nur nach Ansicht der Türkei und der Vereinigten Staaten, sondern auch nach Ansicht der Europäischen Union eine Terrororganisation, die durchaus bekämpft werden muss, weil sie Schaden anrichtet in einem Staat, der auf dem Weg nach Europa ist.

Ostermann: Sie hoffen auf eine friedliche Lösung, aber wenn 100.000 türkische Soldaten an der Grenze stehen – und ich habe vorhin schon einmal von Säbelrasseln gesprochen -, wenn ja durchaus auch die Amerikaner Bereitschaft erklären, die Türken zu unterstützen, worauf gründet dann Ihre Hoffnung?

Kossendey: Die Amerikaner haben nicht ihre Bereitschaft erklärt, die Türken im Militärischen zu unterstützen, sondern im Sinne von Weitergabe von Aufklärungsergebnissen, Vorsichtswaltung im Norden des Irak, auch die kurdischen Autoritäten im Norden des Irak anzuhalten, ihrerseits darauf zu achten, dass sich die Grenze zur Türkei nicht zu einem Nest für PKK-Terroristen entwickelt. All das sind Vorsichtsmaßnahmen, die dazu beitragen könnten, die Türkei von dem im Parlament schon genehmigten Militärschlag Richtung Nordirak abzuhalten, und wenn diese Maßnahmen einzeln zusammenkommen und Erfolg haben, dann wird es durchaus Möglichkeiten geben, die Türkei von diesem Militärschlag abzuhalten.

Ostermann: Auf der anderen Seite kann man ja sagen, dass durchaus auch Erdogan, der türkische Ministerpräsident, erheblich unter Druck steht und parallel auch die Amerikaner das Problem der Kurden im Norden des Irak haben. Dort verstehen sie sich als eine Art Schutzmacht. Das heißt zur Einschätzung dieser Lage gehört generell doch wohl auch, dass sich beide Seiten in einem fürchterlichen Dilemma bewegen.

Kossendey: Ja natürlich. Das ist genau das Problem von Premierminister Erdogan, der einerseits den Druck des Militärs verspürt, diese Frage militärisch zu lösen, andererseits natürlich auf dem Wege nach Europa genau sieht, dass das kontraproduktiv ist. Und die Amerikaner, die versucht haben, im Irak eine staatliche Autorität aufzubauen, was längst noch nicht so gelungen ist, wie sie sich das gewünscht haben, müssen nun mit ansehen, dass es in diesem luftleeren Raum, in dem praktisch keine Autorität im Norden des Irak verhindern könnte, dass Terroristen sich einnisten, Probleme gibt. Da ist natürlich die Türkei an diesem Scheideweg zwischen diesem militärischen Populismus und letztendlich der Behutsamkeit, die man von einem Land, das auf dem Wege nach Europa ist, erwarten kann. Militärschläge haben solche Probleme noch nie gelöst. Das müssen wir den Türken auch einmal deutlich sagen.

Ostermann: Spitzt sich dort die Lage trotzdem zu, haben wir dann in Deutschland wieder mit einem Stellvertreterkrieg zu rechnen? Den gab es ja schon in den vergangenen Wochen.

Kossendey: Ja. Natürlich wird alles das, was in der Türkei passiert, hier in Deutschland spiegelbildlich wiederzufinden sein. Das bleibt gar nicht aus bei 2,5 Millionen Menschen, die aus der Türkei kommend in Deutschland heute leben. Da spiegeln sich natürlich auch die innenpolitischen Konflikte, die in der Türkei ausgetragen werden oder eben nicht so ausgetragen werden können, weil viele demokratische Rechte dort noch nicht so gültig sind wie bei uns, wieder. Das müssen wir aushalten und da müssen wir Vorsorge treffen. Gerade hier in Berlin konnten wir das ja in den letzten Wochen auf den Straßen durchaus erleben.

Ostermann: Mit Zuckerbrot und Peitsche, so könnte man den Fortschrittsbericht überschreiben. Lob gab es von Erweiterungskommissar Rehn dafür, wie die Wahl von Präsident Gül verlief. Die Demokratie habe über die Einmischung des Militärs gesiegt. Lang ist dann aber die Liste der Mängel. Liegt das nicht auch daran, dass man längst kein Interesse mehr an einem Beitritt der Türkei hat? Frau Merkel ist dagegen, Nicolas Sarkozy auch.

Kossendey: In der Koalitionsvereinbarung ist zunächst einmal festgehalten, dass diese Bundesregierung unter Führung von Frau Merkel den Weg der Türkei nach Europa konstruktiv begleiten will und dabei bleibt es. Das hat die Bundeskanzlerin mehrfach betont. Allerdings muss die Türkei diesen Weg ihrerseits auch entschlossen weitergehen und da stellt nicht nur Herr Rehn, sondern da stellen eigentlich alle, die das beobachten, fest, dass seit 2005 dort eine gewisse Stagnation eingetreten ist. Es gibt Probleme im Bereich der Meinungsfreiheit, Stichwort §301 Strafgesetzbuch. Wenn jetzt sogar der Sohn von dem ermordeten Journalisten Hrant Dink vor Gericht gezogen wird, weil er angeblich das Türkentum beleidigt hat, ist das kein Indiz dafür, dass Europatauglichkeit da ist. Die Freiheit der religiösen Minderheiten ist immer noch nicht gewährleistet. Das sollte ein Stiftungsrecht tun, das vor zwei Jahren im Parlament gegen die Stimmen der Opposition in der Türkei beschlossen wurde, was aber beim Staatspräsidenten, dem alten Staatspräsidenten hängen geblieben ist, weil es angeblich den religiösen Gruppen zu viele Rechte einräumt. Das Justizwesen ist noch nicht reformiert. Die Korruption ist noch nicht endgültig bekämpft. Gewerkschaftsrechte, Frauenrechte fehlen, kulturelle Rechte, wenn ich an das Stichwort Kurden denke, fehlen. Die zivile Kontrolle über die Streitkräfte fehlen. Da ist noch eine Menge zu tun und dadurch, dass in den letzten zwei Jahren eben auch bedingt durch die Wahlkämpfe in der Türkei manches liegen geblieben ist, ist das Bild im Augenblick nicht sehr optimistisch.

Ostermann: Aber ist der Reformstau wirklich nur auf die Schwierigkeiten bei der Wahl Güls zurückzuführen? Liegt es wirklich nur daran? Es wirkt doch demotivierend, wenn man die Meinungen von Nicolas Sarkozy aus Paris hört, der kein Interesse daran hat, dass die Türkei irgendwann einmal Mitglied der Europäischen Union wird.

Kossendey: Das mag sein, dass das auf manchen Türken demotivierend wird. Allerdings glaube ich, dass diese demokratischen Reformen nicht nur wegen Europa in der Türkei passieren sollten, sondern weil es schlichtweg die Verwirklichung von fundamentalen Menschenrechten angeht und da sollte sich niemand von Europa alleine leiten lassen. Das muss eine verantwortungsvolle Regierung tun, um den Menschen im eigenen Lande den rechtlichen Standard zu geben, den andere Länder in Europa längst haben.

Ostermann: Herr Kossendey, ich habe schon gesagt: Sie sind Vorsitzender der deutsch-türkischen Parlamentariergruppe. Rechnen Sie überhaupt irgendwann und wenn ja zu welchem Zeitpunkt mit dem Beitritt der Türkei?

Kossendey: Ich will das auf lange Frist nicht ausschließen und wer den Bericht von EU-Kommissar Rehn in Ruhe liest, wird feststellen, dass durchaus dort auch positive Perspektiven enthalten sind. Allerdings hätte ich mir in diesem Bericht gewünscht, dass nicht nur die Situation in der Türkei, sondern auch die Aufnahmefähigkeit der Europäischen Union selber hätte thematisiert werden sollen. Da gibt es Defizite in dem Bericht. Langfristig, je nachdem wie sich Europa weiterentwickelt, will ich das nicht ausschließen, aber im Augenblick stehen die Zeichen nicht so, dass man eine positive Prognose für absehbare Zeit geben könnte.

Ostermann: Noch mal zu Ihrer Kritik an Herrn Rehn. Was haben Sie in seinem Bericht vermisst? Die Aufnahmefähigkeit Europas?

Kossendey: Die EU hat ja gesagt, wir wollen auch in Zukunft – das ist übrigens auch ein Kopenhagener Kriterium – nicht nur darauf achten, welche demokratischen und wirtschaftlichen Standards die Länder, die Mitglied werden wollen, mitbringen, sondern es muss auch geprüft werden, inwieweit die Kohäsion der Europäischen Union durch die Aufnahme neuer Mitglieder eventuell beeinträchtigt werden kann. Zu diesem Passus der Kopenhagener Kriterien hätte ich mir eigentlich in dem Bericht auch einige Aussagen erwartet. Das wird übrigens ein Thema sein, was die EU in den nächsten Jahren intensiv beschäftigen wird bei den vielen, die vor der Tür stehen.

Ostermann: Sie werden mir aber zugeben, Herr Kossendey, das ist ein Riesen Problem.

Kossendey: Ja natürlich ist das ein Problem. Gerade deswegen muss es thematisiert werden und nicht unter den Tisch gekehrt werden.