Kosmische Zündfunken

Von Lutz Reidt |
"Kobolde", "Elfen" und "Blue Jets" sind fabelhafte Irrlichter, die hoch über Gewitterwolken umhergeistern. Die Existenz dieser Megablitze wurde lange bezweifelt, doch mittlerweile beschäftigen sich Atmosphärenforscher rund um den Globus mit diesen Phänomenen.
Ohrenbetäubende Donnerschläge und ein filigranes Geäst aus grellweißen Blitzen - die Düsternis unter den Gewitterwolken ist für Sekundenbruchteile hell erleuchtet. Nächtliche Blitze und Donnerschläge sind immer wieder ein gewaltiges Naturschauspiel. Doch das eigentliche Spektakel ereignet sich über den Wolken. Dort tanzen rot leuchtende "Kobolde" umher, sogenannte Sprites.

"Man sieht jetzt hier, wie die Gewitterwolke Blitze produziert, und dann sieht man, wie zu einem bestimmten Zeitpunkt auf einmal im oberen Bereich der Wolke ein Glimmen einsetzt, ein bläuliches Glimmen, das sich dann fortsetzt in einem rötlich nach oben gehenden 'Sprite'."

Der Meteorologe Professor Ulrich Finke von der Fachhochschule Hannover sitzt in seinem Büro am Monitor und blickt auf ein Sprite-Video, das ihm ein Kollege von der NASA zugesandt hat:

"Das ist dann der eigentliche Sprite, der ist einige zehn Kilometer lang; und man sieht auch - wenn man ganz genau hinschaut - dass er aus mehreren Einzel-Entladungen besteht, die über ein horizontales Gebiet verteilt sind. Man hat dann hier im Abstand von einigen zehn Kilometern in der Horizontalen diese Sprites, die wie kleine Zapfen nach oben gehen; das sind mehrere, das können bis zu zehn Stück sein, die als kleine rote flackernde Erscheinungen nach oben gehen."

Bezeichnend sind die unterschiedlichen Formen dieser Sprites. Wie bei Schneeflocken im Winter gleicht kein Kobold dem anderen. Einige Beobachter beschreiben Gebilde, die Lattenzäunen ähneln oder auch Pilzen und vieles andere mehr:

"Manche sagen, die sind halt so ein bisschen wie Tintenfische, also ein Tintenfisch, der nach oben schwimmt, mit seinen langen Tentakeln. Man könnte auch sagen: Wie zum Beispiel eine Feuerqualle, die ihre Tentakeln nach unten hat. Es gibt aber auch andere Formen von Sprites, die eigentlich mehr aussehen wie Karotten; also in diesem Fall würde die Spitze der Karotte in Richtung der Gewitterwolke zeigen. Aber die Form dieser Sprites ist eigentlich für Wissenschaftler weniger interessant."

Der Blitzforscher und Physiker Dr. Martin Füllekrug beschäftigt sich an der University of Bath im Südwesten Englands mit diesem Phänomen.

Berichte darüber kamen mit dem zunehmenden Flugverkehr in den 50er- und 60er-Jahren auf, vor allem in den USA, als Flugzeugpiloten diese Phänomene hoch über den Wolken wahrnahmen. Dennoch waren nur wenige bereit, darüber zu berichten. Viele fürchteten wohl, dass Schilderungen von rot leuchtenden Tintenfischen, bizarr schimmernden Pilzgebilden und filigranen Feuerquallen mit blauen Tentakeln eher dazu führen dürften, dass man sie vom Dienst suspendiert.

Erst eine Veröffentlichung in der renommierten amerikanischen Fachzeitschrift "Science" weckte das Interesse der NASA in den 90er-Jahren. Die amerikanische Raumfahrtbehörde nutzte prompt eine Beobachtungskanzel allererster Güte im Orbit: Das SpaceShuttle.

"Wo ganz normale Videokameras im Cockpit sowieso ständig laufen, um den Betrieb am SpaceShuttle zu beobachten: Wir halten einfach mal diese Videokamera raus, während wir über Afrika fliegen - wo es ständig Gewitter gibt. Und die große Überraschung war, dass man tatsächlich diese Sprites auf dem ganzen Globus beobachtet hat. Und danach war für die Wissenschaft klar: Diese Phänomene sind real und es lohnt sich, diese weiter zu erforschen."

Lange Zeit war unklar, wie sie überhaupt entstehen, diese monumentalen Leuchfontänen, die von den Gewitterwolken aus zig Kilometer in die Atmosphäre hinaufsausen, bis in die Ionosphäre, und damit an die Schwelle zum Weltall.

Besonders viele Sprites entstehen in den Tropen, wo es fast täglich zu äußerst heftigen Gewittern kommt. Ulrich Finke schildert den Mechanismus, der einen Sprite entstehen lässt:

"Diese Entladungen sehen ganz anders aus als ein normaler Blitz. Das spielt sich normalerweise so ab, dass ein Blitz aus der Gewitterwolke zu Boden geht - ein sehr starker Bodenblitz findet statt. Und in Folge dieses Bodenblitzes haben sich die Entladungen im oberen Bereich der Wolke so umgruppiert, dass die gesamte Atmosphäre darüber eine starke Änderung des elektrischen Feldes verspürt. Und diese starke Änderung, diese starke Umordnung führt zu einem Blitz nach oben. Dieser Blitz nach oben ist eigentlich eher eine Leuchterscheinung, ein bläuliches bis rötliches Leuchten, sehr lang ausgestreckt, hat nicht die gezackte Form des Blitzes, der zum Boden geht; ist ein mehr flächiges Glimmen und kann - wie gesagt - über 60 Kilometer sich ausstrecken."

Es muss sich also ein besonders kräftiger Blitz seinen Weg zur Erde bahnen, damit oberhalb der Gewitterwolke eine negative Ladung als Keimzelle für einen Sprite entstehen kann. Jetzt wollen die Atmosphären- und Blitzforscher herausfinden, welche natürlichen Auswirkungen auf die Ozonschicht von diesen Megablitzen ausgehen.