Korruptionsexperte Leyendecker kritisiert Martin Walser

Moderation: Liane von Billerbeck · 28.07.2008
Der Journalist und Korruptionsexperte Hans Leyendecker hat den Autor Martin Walser für dessen jüngste Forderung nach mehr Toleranz bei Fällen der Wirtschaftskorruption scharf kritisiert. Walser hatte sich insbesondere auf das Medieninteresse im Siemens-Schmiergeldprozess berufen. Walser weise auf eine Normalität der Korruption in anderen Ländern hin, dabei gebe es in vielen Staaten harte Strafen und Unternehmen würden über Jahre vom Markt weggesperrt.
Moderatorin: Telefonisch bin ich jetzt mit Hans Leyendecker verbunden, der Journalist der Süddeutschen Zeitung hat jahrelang in Sachen Korruption recherchiert und in seinem Buch "Die große Gier" erklärt, warum die Wirtschaft eine Moral braucht, nämlich nicht um ihrer selbst willen, sondern wegen des Profits. Einen schönen guten Morgen!

Hans Leyendecker: Guten Morgen!

Moderatorin: Wenn Walser sagt, Journalisten wie Ihnen ginge es nur ums Rechthaben, zudem sei das deutsch bis ins Mark, anderswo, siehe Frankreich, schere man sich gar nicht darum, wenn in und durch die eigenen Unternehmen bestochen wird – was antworten Sie?

Leyendecker: Erstens, er redet ja wunderbar, man mag ihm gerne zuhören. Ich habe ihn auf der Frankfurter Buchmesse gehört im vergangenen Jahr, er hat eine wunderbare Stimme, nur das, was er sagt, ist natürlich von keiner Sachkenntnis geprüft. Wenn er sagt, dass das völlig normal sei und in anderen Ländern einfach erfolge, dann muss man sagen, in anderen Ländern wird es zum Teil hart bestraft. Unternehmen werden jahrelang vom Markt weggesperrt, wenn sie es machen.

Wenn er sagt, dass sich in Frankreich niemand darum kümmere, dann hat das ein Körnchen Wahrheit. Es gibt in Frankreich große Bestechungsfälle, die aber nicht mit der erforderlichen Sorgfalt geklärt werden. Das ist richtig. Nur, für die französischen Konzerne hat es riesige Konsequenzen auf vielen Märkten, weil sie auch dort für Jahre weggesperrt werden.

Und wenn er sagt, es hat sich niemand persönlich bere2008-07-03 -ichert – das ist, glaube ich, eine falsche Sicht, die aber ganz viele haben. Wenn jemand in einer Abteilung ist und er hat durch Bestechung große geschäftliche Erfolge, dann nützt es ihm natürlich auch im Unternehmen, das heißt, er bekommt Boni, er wird befördert. Dieses von der persönlichen Bereicherung einfach abzutrennen, das ist, glaube ich, nicht möglich.

Moderatorin: Seit 1998, seit zehn Jahren also, können ja Bestechungsgelder in Deutschland nicht mehr von der Steuer abgesetzt werden beziehungsweise dürfen auch nicht mehr in den Kaufpreis eingerechnet werden. Zehn Jahre – was hat sich geändert? Gibt es da eine neue Kultur in den deutschen Unternehmen?

Leyendecker: Es darf nicht nur nicht abgesetzt werden, es ist strafbar, die Bestechung von Amtsträgern im Ausland. Ob es eine neue Kultur gibt, ist schwierig zu sagen. Es gibt viele Beteuerungen, das kann man auch in diesen Siemens-Tagen immer wieder erleben. Wie tatsächlich die Kultur sich in Unternehmen verändert hat, da kann es nur Spekulationen geben. In diesem Bereich gibt es ein Dunkelfeld und ein Hellfeld, und das Dunkelfeld ist natürlich sehr groß und das Hellfeld ist klein. Das heißt, wir wissen nicht viel. Wir kennen Beteuerungen, wir sehen, dass Unternehmen jetzt auch interne Regeln ändern, dass sie sehr darauf achten, dass so was nicht vorkommt, jedenfalls demonstrieren sie das nach außen. Ob das in der Praxis so ist, das wird man sehen.

Moderatorin: In der Online-Ausgabe der "Süddeutschen Zeitung" da gibt es eine Rubrik: "Pssst, haben Sie auch schon mal …", bestochen also. Ich habe da mal so ein bisschen nachgelesen gestern, und da waren sehr interessante Äußerungen zu lesen. Man konnte erfahren, dass viele Leute durchaus alltäglich Erfahrung mit Korruption und Bestechung haben. Da schrieb beispielsweise ein Einkäufer, der für ein Unternehmen neue Produkte empfehlen muss und dann immer feststellt, wenn die Produkte dann doch eingekauft werden, die er eben nicht empfohlen hat, dann weiß er gleich Bescheid. Da ist die Frage: Wie typisch ist das?

Leyendecker: Vermutlich sehr typisch. Ich glaube schon – die Definition der Korruption ist ja Missbrauch eines öffentlichen Amtes zu privaten Zwecken –, dass es relativ weit verbreitet ist. Man wird Korruption nie ausrotten können, aber man kann sie ein Stück zurückdrängen. Ich glaube, dass das in den vergangenen Jahren in Stadtverwaltungen beispielsweise erfolgt ist. Es hat eine Reihe von Prozessen gegeben, es sind Leute zu recht hohen Strafen verurteilt worden. Ich glaube sehr an Sanktionen in diesem Bereich. Es hat dann Umstellungen in den Verwaltungen gegeben, so dass man partiell immer wieder das zurückdrängen kann. Man wird sie nicht ausrotten können.

Moderatorin: Es gab auch ein eher komisches Beispiel: Männer, macht den Frauen keine Geschenke, ihr wollt sie noch bestechen. Wo fängt sie denn an, die Bestechung?

Leyendecker: Die Bestechung fängt ja oft mit sehr kleinen Dingen an, im Geschäftlichen fängt sie an damit, dass Sie jemanden einladen können und dann immer ein Stückchen drauftun. Er wird erst eingeladen zum Essen, dann eingeladen in Urlaub und nachher hat man ihn mehr oder minder in der Hand. Es gibt eine Steuerproblematik in dem Bereich, die ganz vielen Menschen, glaube ich, nicht bekannt ist, nämlich: Schenkungssteuer kann anfallen. Wenn Sie sagen, hier im privaten Bereich, wenn Sie verheiratet sind und Ihr Gsponn schenkt Ihnen was über zehn Jahre über 307.000, dann fällt keine Steuer an, aber wenn Sie in einer Lebensgemeinschaft drin sind, dann ist der Satz 5200 Euro für zehn Jahre, das heißt, wenn Sie Ihrem Partner regelmäßig 500 Euro im Monat geben, fällt eine Steuersumme in zehn Jahren an von 10.000, die Sie in der Regel nicht versteuern und sich deshalb auch schuldig machen.

Moderatorin: Hans Leyendecker ist mein Gesprächspartner heute, da in München das Urteil im Siemens-Bestechungsskandal erwartet wird, ihn fragen wir, ob Bestechung noch immer als Kavaliersdelikt gilt. Eine neue Moral braucht die Wirtschaft, das steht im Untertitel Ihres Buches "Die große Gier", und Sie begründen das ganz schlicht mit deren Profitinteressen, also die Gleichung: Moral gleich Profit. Wie kamen Sie darauf?

Leyendecker: Ich komme durch die Sanktionen darauf. Wenn Sie auf einem Markt für drei bis fünf Jahre weggesperrt werden, wenn Sie hohe Strafzahlungen haben, dann rechnet sich das finanziell nicht. Ich glaube nicht, dass sich Korruption wirklich rechnet, weil Korruption noch einen großen Nachteil hat, das heißt, sie sind natürlich weniger daran interessiert, ein sehr gutes Produkt herzustellen. Wenn Walser eben in seiner wunderbaren Rede sagte, was es für ein feiner deutscher Technologiekonzern sei, Siemens – gerade das Problem von Siemens ist ja in der Vergangenheit gewesen, dass es, so sagen Spötter, der einzige Technologiekonzern ohne Technik war. Das heißt, wenn man sich darauf verlässt, dass man durch solche Gaben den anderen dazu bringt, ein Produkt zu kaufen, was notwendigerweise die Entwicklung dieses Produktes schwächt, das heißt, nachher haben Sie nur noch eine leere Hülle. Und von daher wirkt Korruption von zwei Seiten bedrohlich für ein Unternehmen, auf der einen Seite durch die hohen Sanktionen, die es geben kann – in Amerika werden da Milliardensummen fällig werden für Siemens –, und auf der anderen Seite, dass sich die, die Produkte entwickeln müssen, nicht mehr so anstrengen, wie sie sich anstrengen müssten, wenn man solche Gaben nicht hätte.

Moderatorin: Es gibt ja inzwischen auch ganz andere Formen des Auftrageinholens im Ausland, da wird gar nicht mehr bestochen, sondern man lässt quasi die eigenen staatlichen Stellen förderlich wirken oder auch ehemalige Diplomaten tätig werden. Das Ganze nennt man dann "smarter Lobbyismus". Wie läuft das?

Leyendecker: Weit verbreitet, es ist wirklich weit verbreiten. Es gibt ein wunderbares Buch, das neulich erschienen ist, darüber, wie viele Leute aus Unternehmen in deutschen Ministerien arbeiten, um dort die Gesetzesentwürfe zu machen, die dann nachher wieder den Unternehmen zugutekommen. Wir haben eine Form des Lobbyismus, die sehr viel stärker ist, so dass man fast von einer Lobbykratie in Deutschland reden kann. Was wir früher nur in Ansätzen hatten, ist heute sehr viel organisierter, sehr viel genauer, auch die Unternehmen schauen – da gibt es so einen Vergleich auch eigentlich zu den USA – sehr viel früher auch in den Regierungsapparat, wen können wir gut einsetzen, wen können wir verwenden, und da haben die Deutschen bisher, finde ich, ein Problem: In anderen Ländern werden sie erst mal drei Jahre gesperrt und können nicht in dem Bereich arbeiten, in dem sie in der Politik waren. In Deutschland ist der Übergang ohne jeden Stopp, und das fördert natürlich auch ein Stück die Korruption.

Moderatorin: Der derzeitige Sprecher von Außenminister Frank-Walter Steinmeier Martin Jäger und der ehemalige Diplomat Wolfgang Ischinger, die wurden erfolgreich von Konzernen umgarnt und bekommen da neue Aufgaben und Titel. Martin Jäger, der wird bei Daimler ab September Leiter der Global External Affair and Public Policy, schöner Titel, und Ex-Diplomat Ischinger, der wurde vom Allianz-Konzern umgarnt und zum Global Head of Governmental Relations gemacht. Haben die Deutschen da also von den Amerikanern gelernt?

Leyendecker: Da haben sie gelernt, ich finde auch beide Fälle relativ unproblematisch, muss ich sagen. Ich finde, da, wo es um Geschäftliches geht, wenn sie also in dem Bereich drin sind, in dem Jäger drin ist, finde ich, wird wirtschaftliche Macht nicht dann durch Politik noch mal groß verstärkt. Das ist nicht … Da gibt es eine gewisse Kompetenz, aber mehr auch nicht.

Problematischer ist es, wenn jemand beispielsweise Gesetzentwürfe macht und der wechselt dann genau zu dem Unternehmen, für das er dann diesen Gesetzentwurf gemacht hat mehr oder weniger, mit Blick auf das Unternehmen. Da ist die Frage, ob das Korruption ist, sehr viel eindringlicher zu stellen.

Moderatorin: Hans Leyendecker war mein Gesprächspartner, der Journalist der Süddeutschen Zeitung hat seit Jahren über Korruption recherchiert, sein Buch heißt "Die große Gier". Ich danke Ihnen schön!

Leyendecker: Danke Ihnen, Frau Billerbeck.


Zu den Hintergründen
In Deutschland herrscht nach Ansicht des Schriftstellers Martin Walser eine Kultur des "Recht-haben-Müssens" mit oft heuchlerischen Moralvorstellungen. Es müsse stärker bedacht werden, dass es immer mindestens zwei Seiten einer Wahrheit gebe, sagte Walser beim 60. Jubiläum der Bayerischen Akademie der Schönen Künste in München. Dabei wurde er auch eine Solidaritätsadresse an den Vorstand der Siemens AG los.
Kultur heute: Walser wider dem Zeitgeist

Heute spricht das Landgericht in München das Urteil im ersten großen Siemens-Prozess. Der Angeklagte, einer der Organisatoren des weitverzweigten Schmiergeldsystems im deutschen Traditionskonzern, wird wohl mit einem blauen Auge davonkommen.
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