Kopien und Konzeptkunst

Von Rainer Zerbst · 21.07.2008
Stephen Prinas Kunstwerke verweisen auf ein vielschichtiges Referenzsystem, das von Adorno über Manet bis Andy Warhol reicht. Er greift gezielt Verfahrensweisen der Minimal Art und Konzeptkunst auf, will aber kein Konzeptkünstler sein. Besonders interessiert ihn die Ausstellungsumgebung von Kunst, die er mit in seinem Werk thematisiert.
Ein Raum in dieser Ausstellung ist ganz Edouard Manet gewidmet. Es steht neben einem Bild auch ganz explizit der Titel: "Die Erschießung Kaiser Maximilians von Mexiko". Aber dieser Titel steht in Klammern, darüber steht der Haupttitel: "The Complete Paintings of Manet". Vor 20 Jahren hatte sich Stephen Prina vorgenommen, das Werkverzeichnis von Manet mit 556 Bildern neu zu erschaffen, auf seine Weise allerdings:

"Damals befasste ich mich mit Fragen der Zuordnung in der Kunst und mit der Tatsache, dass die Diskussion sich auf das Bild konzentrierte, das immer wieder reproduziert wurde, und ich sagte mir, es gibt andere Charakteristika eines Kunstwerks, die wichtig sind, und wollte daher weg vom Bild und hin zum Format."

Das Format also war ihm wichtig, und in der Tat, von dem berühmten Bild Manets über die Erschießung fehlt jeder Bildhinweis auf Manet, wir sehen nur Pinselspuren aus verdünnter Sepiafarbe. Aber: Prina hat sich genau an das Original von Manet gehalten, er hat das Format exakt rekonstruiert, und das gilt für alle seine Manets. Er will im Lauf der Zeit so das ganze Ouevre Manerts neu erschaffen, ein auf lange Zeit geplantes Projekt, aber gerade das ist ein Grundzug seiner Arbeit.

"Damals interessierte mich meine Arbeit als ständig fortschreitender Prozess. Ich begann mit dieser Arbeit am 1. Januar 1988 mit dem ersten Bild, und ich arbeite imme4 noch daran, ich habe noch nicht einmal die Hälfte geschafft. Ich hätte auch Vermeer nehmen können, aber bei den wenigen Bildern wäre ich schnell fertig gewesen - und Picasso mit Tausenden wäre zu viel gewesen,. 556 ist eine große Zahl, aber keine unmögliche Zahl."

Daher nimmt er sich auch immer wieder frühere Arbeiten wieder vor und verändert sie leicht, eine Retrospektive im eigentlichen Sinne mag er nicht und das ist auch diese Ausstellung nicht. So hat er zum Beispiel einen aus 35 Teilen bestehenden Zyklus an die Wand gehängt, und einige Bilder daraus entfernt, da hängen jetzt nur die Haken. Wir finden die abgehängten Bilder an anderer Stelle wieder, die auf ihnen enthaltenen Buchstaben bilden das Wort Lust, und eines dieser Bilder hat er sogar zerstört, so Carola Grässlin, die Direktorin der Kunsthalle Baden-Baden.

"Bei Nacht und Nebel, als keiner da war, hat er einen schwarzen Fleck auf eine seiner 35-teiligen Arbeiten gesprüht, eine Dose Lackspray hat er auf ein Bild gesprüht, und dabei ist ein Fleck auf dem Boden entstanden und dieser Fleck, habe ich gesagt, bleibt so lange, bis mein Vertrag ausläuft und ich nicht mehr da bin, und was meine Nachfolger damit machen, sei dahingestellt."

So bleibt sein Werk im Fluss. Aber zurück zu seinem Manetprojekt. Geplant war unter anderem ein sehr großes Bild in die Ausstellung zu integrieren, und da stieß Carola Grässlin auf ein Problem.

"Es ist ja oft so bei lebenden Künstlern, dass die mehr Arbeiten mitbringen, als wir dann ausstellen können; bei Stephen Prina war aber genau geplant, wo sie hinkommen, und dann ist mir ein kuratorischer Fauxpas passiert, dass ich nicht daran gedacht habe, dass unsere Türen viel niedriger sind als die Ausstellungsräume. Und so etwas nutzt Stephen Prina, das ist auch eine ganz typische Vorgehensweise, dass er nicht nur andere Künstler für sein Werk in Anspruch nimmt oder aneignet - man redet ja von appropriation art - sondern dass er auch seine Werke immer wieder als Filter für neue Arbeiten benutzt und Themen, Inhalte, Motive immer wieder nutzt, um neue Arbeiten zu machen, und ich kann mir sehr gut vorstellen, dass in einer anderen Ausstellung dieser Eingriff auch mal rekonstruiert wird."
In der Tat. Prina ging mit dem Problem kreativ um. Er blieb bei seinem Ansatz: Das Format der Manetgemälde zu reproduzieren, und also nahm er sich vier Nägel, schlug sie in die Wand und deutete mit einer schwarzen Kordel die Umrisse des Bildes an, das eigentlich dort hängen sollte. So ist der Manet auf ganz andere Weise plötzlich doch wieder im Saal vorhanden.

Solche Zufälle gibt es häufiger in seiner Arbeit. Es gibt fast nichts, was Prina nicht kann: Er dreht Filme, er fotografiert, er komponiert und singt.

Das ist in einem Raum zu hören, dessen langer Titel hier nur verwirren würde. Aber wichtig ist: Diese Installation hat er erstmals für eine Galerie hergestellt, und die Raumverhältnisse dieses Galerieraums hat er jetzt mit Holzbrettern wieder angedeutet. Die Arbeit sollte genau so an einem anderen Ort aufgebaut werden, wie sie ursprünglich aussah, inklusive dem dreckigen Teppichboden, denn das Publikum kann in diesem Raum umhergehen. In Prinas Kunst geht alles ein, was zum Kunstwerk gehört: das Material, der Ort, die museale Präsentation - ein Konzeptkünstler also, auch wenn er eine Arbeit, die speziell für Baden-Baden erstellt wurde, ausdrücklich betitelt: "I aint no conceptualist" - ich bin kein Konzeptkünstler.

"Man hat mir schon viele Titel gegeben, einige lassen sich im Radio senden, einige nicht, ich wurde als unreiner konzeptueller Künstler bezeichnet, auch als postkonzeptueller Künstler. Aber als ich studierte, meinten viele, warum soll man dieses tot gerittene Pferd wiederbeleben. Ich habe einige Praktiken aufgegriffen - Fotografie, bestimmte Vorstellungen über Installationen und ich habe versucht, viele Elemente der Konzeptkunst in meine Arbeit zu integrieren."

Service:
Die Ausstellung "Stephen Prina - The Second Sentence of Everything I Read Is You" ist vom 19.07. bis zum 5.10.2008 in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden zu sehen.