Kopfschütteln in Washington

Von Niels Annen |
Die USA müssen sparen - das eröffnet den Europäern neue Spielräume in der Welt. Doch die erratische Außenpolitik Deutschlands passt nicht zu der beherrschenden Stellung, die es in der Wirtschafts- und Finanzpolitik einnimmt.
Das Land, dem der erste Präsident Bush 1989 "Partnership in Leadership", also gemeinsame Führung anbot, ist kaum mehr wieder zu erkennen. Nach schmerzhaften Reformen ist Deutschlands Wirtschaft inzwischen wieder die Nummer eins in Europa, während Amerikas Wirtschaft gegen den Abstieg kämpft.

Es war die Politik aller Bundeskanzler, von Adenauer bis Schröder, Deutschland fest im westlichen Bündnis zu verankern. Diese Politik basierte auf der Erkenntnis, dass selbst das geteilte Deutschland noch zu groß war, um nicht durch Alleingänge seine Nachbarn erneut gegen sich aufzubringen. Die inoffizielle deutsche Doktrin "Niemals allein" war die logische Folge aus dem Zweiten Weltkrieg.

Konflikte schloss dies keineswegs aus. im Gegenteil! Streitigkeiten zwischen Helmut Schmidt und Jimmy Carter waren legendär und gerade erst mokierte sich George W. Bush in seinen Memoiren über Gerhard Schröder - ein Gunstbeweis, den dieser prompt erwiderte. Doch jüngste Entscheidungen der Kanzlerin haben in Washington die Frage aufgeworfen, ob die alten Maximen der deutschen Politik noch gelten?

Drei Beispiele zeigen, dass Deutschland die Lust am Konsultieren vergangen ist:

In der Debatte um ein neues START-Abkommen mit Russland irritierte Deutschland mit nicht abgestimmten Forderungen nach Abzug amerikanischer taktischer Nuklearwaffen.
Die Bundesregierung beendete einseitig die Beteiligung am Luftüberwachungssystem AWACS in Afghanistan.
Bei der Abstimmung im Weltsicherheitsrat über Libyen enthielt sich Berlin spektakulär der Stimme und stand damit zum ersten Mal überhaupt allein gegen seine Verbündeten.

Die erratische und zunehmend von innenpolitischen Erwägungen geleitete Außenpolitik Deutschlands will so gar nicht zu der beherrschenden Stellung passen, die Berlin inzwischen in der Wirtschafts- und Finanzpolitik einnimmt. Dabei eröffnet die unter Sparzwang stehende amerikanische Außenpolitik den Europäern neue Spielräume.

Obama erklärte jüngst Libyen zu einem Beispiel für eine Politik, bei denen die USA regionalen Verbündeten die Führung überlassen würden. Doch nach den Erfahrungen in Afghanistan zeigt die deutsche Politik wenig Interesse an diesen Spielräumen. Lieber lässt man England und Frankreich den Vortritt. Aus der Perspektive einer Supermacht, die es gewohnt ist, in geopolitischen Kategorien zu denken, ist diese Zurückhaltung nur schwer nachzuvollziehen.

Amerikas anhaltende Wachstumsschwäche bleibt zudem nicht ohne Folgen. Eine Ausweitung der Eurokrise auf die USA könnte Präsident Obamas Wahlchancen schmälern. Sein Blick richtet sich daher fast automatisch auf Europas stärkste Wirtschaftsmacht. Doch Angela Merkel hat alle Appelle aus Washington mehr Wachstumsimpulse zu setzen, an sich abprallen lassen. Diese Erfahrung mussten die USA auch machen, als Deutschland auf dem G8 Gipfel in Seoul die währungspolitischen Vorschläge der USA gemeinsam mit China vom Tisch wischte.

Amerika ist oft ein schwieriger Partner, exzentrisch und überzeugt von seiner Mission, die Welt zu demokratisieren, dabei allzu häufig auf der Suche nach neuen Feinden. Doch auch Deutschland macht es seinen Freunden nicht immer leicht. Während Revolutionen die arabische Welt erschüttern, China, Brasilien und Indien als neue Akteure die Bühne betreten, meldet sich Deutschland aus der Diskussion ab.

Doch Berlin und Washington sind aufeinander angewiesen, gerade wenn es um Fragen globaler Sicherheit oder um die Finanzkrise geht. Obama versucht es bei Merkel inzwischen mit Charme und überhäuft sie mit Ehrungen. Die Botschaft aber ist eindeutig: Deutschland muss seine Rolle in der internationalen Politik definieren und sich stärker engagieren.

Das deutsche Interesse an "Partnerhip in Leadership" ist durch die gute wirtschaftliche Entwicklung offenbar nicht befördert worden. So betrachtet sind Amerika und Deutschland ein merkwürdiges Paar, Amerika leidet darunter, Macht zu verlieren, und Deutschland leidet darunter, Macht zu gewinnen.

Niels Annen, geboren 1973, arbeitet für das Referat Internationale Politikanalyse der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin. Er war von 2005 bis 2009 direkt gewählter Bundestagsabgeordneter des Wahlkreises Hamburg-Eimsbüttel und danach Senior Fellow beim German Marshall Fund in Washington DC. Als Mitglied im Auswärtigen Ausschusses des Bundestages zählten das deutsche Engagement in Afghanistan und im Nahen Osten zu seinen Arbeitsschwerpunkten. Von 2001-2004 war er Bundesvorsitzender der Jungsozialisten. Niels Annen ist seit 2003 Mitglied des SPD-Parteivorstands. Er hat in Hamburg, Madrid und Berlin Geschichte und in Washington International Public Policy studiert.
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