Kopfpauschale ist "der grundfalsche Weg"

Das DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach befürchtet bei einer Einführung der sogenannten Kopfpauschale das "Ende der Solidarität" in der gesetzlichen Krankenversicherung.
Gabi Wuttke: Es ist still geworden um die Kopfpauschale, seit Gesundheitsminister Philipp Rösler eine Regierungskommission eingesetzt hat und sich die Türen geschlossen haben. Einen Kopf macht sich allerdings auch der Deutsche Gewerkschaftsbund, der absolut gar nichts von der Kopfpauschale hält. Am Telefon ist jetzt Annelie Buntenbach vom Vorstand des DGB. Guten Morgen!

Annelie Buntenbach: Guten Morgen!

Wuttke: Was ist für Sie die größere Kröte: Dass nicht wenig gesetzlich Krankenversicherte den Staat bei einer Kopfpauschale um Unterstützung bitten müssten oder dass Deutschland sie sich so oder so nicht leisten kann?

Buntenbach: Also ich glaube, das sind zwei Seiten derselben Medaille. Also dass der Systemwechsel in Richtung Kopfpauschale bedeuten würde, dass das Gesundheitssystem viel ungerechter finanziert würde als das im Moment der Fall ist, dass das das Ende der Solidarität in der gesetzlichen Krankenversicherung wäre. Das ist die eine Seite, denn die funktioniert ja nach dem Prinzip, je kleiner das Einkommen, desto größer die Belastung, wenn alle dasselbe bezahlen – also sowohl die Sekretärin als auch der gut verdienende Abteilungsleiter. Und gleichzeitig sagen die Kassen ja selbst, dass 60 Prozent ihrer Mitglieder diese Kopfpauschale gar nicht bezahlen könnten und dann zu Bittstellern werden, weil die ja dann beim Amt erst einmal die Karten offenlegen müssten und sagen müssten, wir brauchen hier einen Sozialausgleich. Damit werden die dann in die Bedürftigkeit gedrängt und das heißt, dass die Kopfpauschale wirklich der grundfalsche Weg ist und wir mehr Solidarität und nicht weniger Solidarität im Gesundheitswesen brauchen.

Wuttke: Die Gedankenspiele um eine Kopfpauschale haben in der Bundesregierung ja ein großes Ziel: den Arbeitgeberanteil mindestens zu begrenzen, am liebsten aber ganz abzuschaffen. Was hätte das Ihrer Ansicht nach eigentlich für Konsequenzen, wenn wir mal über das Gesundheitswesen hinaussehen?

Buntenbach: Das heißt, dass insgesamt die ganzen Lasten immer bei den Versicherten, also bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ankommen würden – und zwar allein da – und die Arbeitgeber sich immer mehr aus der Verantwortung herausziehen würden sowohl insgesamt in der Sozialversicherung, da sind ja auch nicht allein beim Gesundheitswesen, sondern auch bei der Rente die Beiträge für die Arbeitgeber begrenzt worden, sodass die Lasten der Zukunft immer bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, allein bei den Versicherten ankommen. Und das heißt im Gesundheitswesen eben auch, dass die Arbeitgeber in Zukunft dann überhaupt kein Interesse mehr daran hätten, selber was dafür zu tun, dass die Kosten im Gesundheitswesen begrenzt werden, sondern die sind dann fein raus und der ganze Rest, die Kosten der Zukunft, die landen alleine bei den Versicherten und insbesondere bei den Kranken und überlasten die Leute. Denn diese großen Lebensrisiken wie Alter, wie Krankheit, Pflege, die kann man ja nicht einzeln schultern, sondern genau dafür gibt es ja diese Solidarität, die in den Sozialversicherungen organisiert ist, und die funktioniert natürlich nur, wenn die Arbeitgeber ihren Teil übernehmen.

Wuttke: Zusammen mit Sozialverbänden stellt der DGB heute ein Aktionsbündnis gegen die Kopfpauschale vor. Machen Sie sich darin auch Gedanken, weil Sie es gerade angesprochen haben, um diesen demografischen Faktor – denn der will ja auch mit einem anderen Konzept finanziert werden?

Buntenbach: Also wir machen uns in der Tat auch Gedanken darüber, wie sich denn die Bevölkerungsstruktur verändert, wie die Sozialversicherungen sich auf die neuen Herausforderungen einstellen müssen; ich glaube, dass hier ein ganz entscheidender Punkt ist, dass wir die sozialen Absicherungen auf eine breitere Grundlage stellen. Das heißt, dass, weil jede Erwerbsbiografie, also jedes Arbeitsleben, immer inzwischen viele unterschiedliche Stationen hat im Unterschied zu früher, dass es ein wichtiger Schritt ist, dass all diese Stationen mit in die Sozialversicherungen einbezogen werden und dass wir eine Bürgerversicherung brauchen, die breit angelegt ist, wo auch die ihren Anteil zahlen, die mehr haben. Aber jetzt geht es bei unserem Aktionsbündnis darum, den Systemwechsel in Richtung auf die Kopfpauschale weg von der Solidarität zu verhindern, und dafür haben wir viele zusammenbekommen in einem Aktionsbündnis "Köpfe gegen Kopfpauschale". Da bin ich auch sehr froh und ich glaube, dass wir damit richtig Gewicht und Bewegung in die politische Diskussion bekommen, und hoffe mal, dass wir hier auch Erfolg haben.

Wuttke: Der DGB verteidigt in diesem Aktionsbündnis und lobt, Zitat: "Unser Gesundheitssystem ist eines der besten der Welt". Frau Buntenbach, faktisch ist es aber doch vor allem eines der teuersten der Welt?

Buntenbach: In dem Gesundheitswesen läuft nicht alles rund, das will ich auf keinen Fall behaupten, sondern wir werden uns auch damit auseinandersetzen müssen, wo hier schon, also wo hier falsche Belastungen sind und der Sachverständigenrat, im Gesundheitswesen hat er immer gesagt, wir zahlen im Gesundheitswesen bei uns eigentlich mehr als wir nachher als Ergebnis rauskommen, weil da ein Nebeneinander ist von auch Fehlversorgung, Unterversorgung, Überversorgung, wo wir wirklich noch mal genau dran müssen und hier auch Verbesserungen brauchen. Aber diese Verbesserungen, die heißen, dass wir mehr Solidarität brauchen, also eine Weiterentwicklung des Gesundheitswesens, wie wir jetzt haben, wo jeder nach seiner wirtschaftlichen Stärke einzahlt und wo eben alle miteinbezogen werden müssen, und nicht, dass wir einen Systemwechsel machen hin zur Kopfpauschale, wo dann alle über einen Kamm geschert werden, egal ob sie es sich leisten können oder nicht.

Wuttke: Aber wirklich solidarisch kann unser Gesundheitswesen doch solange nicht werden, solange zwischen gesetzlich und privat Krankenversicherten unterschieden wird, oder?

Buntenbach: Das ist völlig richtig. Ich glaube, dass in die Krankenversicherung der Zukunft, die solidarisch ist, alle reingehören und dass diese Zweiteilung, die wir bei der Vollversicherung uns in Deutschland leisten – übrigens einzigartig in Europa –, dass wir uns die nicht leisten können, sondern dass die privaten Krankenversicherungsunternehmen in den Solidarausgleich dringend miteinbezogen werden müssen.

Wuttke: "Köpfe gegen Kopfpauschale" – im Interview der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach, zusammen mit vier Sozialverbänden stellt sie heute ein Aktionsbündnis gegen die Kopfpauschale vor. Frau Buntenbach, vielen Dank und schönen Tag!

Buntenbach: Gleichfalls, danke schön!
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