Kopfkino
Die Musik wird langsam lauter, bedrohlich. Die Frau unter der Dusche ahnt nichts. Der Vorhang zurück gezogen, eine Hand, ein Messer, Schreie - Filme lassen einen Schauer über den Rücken laufen, regen zum Träumen oder Weinen an: Das Berliner Filmmuseum hält alle Stadien des Gefühlschaos' bereit.
Schon Franz Kafka notierte nach einem Kinobesuch lakonisch, geweint zu haben. Wie kommt es, dass ein Filmerlebnis viele Zuschauer zu Tränen rührt? Liegt es an der Dunkelheit des Kinos, die den Ausbruch von gewissen Regungen erlaubt? Alfred Hitchcocks "Psycho" von 1960 hat bis heute wenig von seiner Nachhaltigkeit eingebüßt, sollte man etwa in schlechter Gemütsverfassung einen Duschvorhang zu Gesicht bekommen.
Psycho: "Versuchen Sie nicht für diesen Jungen auf psychiatrischer Basis Entschuldigungen zu suchen. Was er begangen hat, sind Verbrechen. Ein Psychiater sucht nicht nach Entschuldigungen - er sucht nach Erklärungen für die Handlungsweise des Kranken. Aber meine Schwester ist? Ja!"
Man sieht einen Filmausschnitt - oder noch nicht einmal das - sondern hört per Zufall durch einen Türspalt jene Musik daraus: Und dann haben Sie plötzlich den Film gegenwärtig. Und vielleicht auch das Gefühl, was Sie bewegt hat in jenem Augenblick, mit wem Sie vielleicht zusammen im Kino waren, wer mit gezittert hat. Da kommt der Titel "Kino im Kopf" zum Tragen.
Zuschauer können in dieser neuen und ungewöhnlichen Ausstellung in reale und surreale Traumwelten eintauchen oder den Strukturen der Psychoanalyse nachspüren. Kuratorin Kristina Jaspers schickt die Besucher in eine interdisziplinäre Welt zwischen Filmschaffen und Psychologie - auch in Zusammenarbeit mit dem Hygiene-Museum Dresden und den Freud-Museen in Wien und London. Und sie widersteht beim Ausstellungsthema der Gefahr, zu streng wissenschaftlich und trocken zu geraten. Denn der Film - seit es ihn gibt - verteilt von der Leinwand reichlich die ganze Bandbreite nachvollziehbarer Gefühle.
"Freud selbst hat sich mehrfach mit Sherlock Holmes verglichen - also, sein Vorgehen. Also, das heißt: in der Kindheit nachforschen, Bruchstücke einer Persönlichkeit zusammenzutragen, um so ein Charakterbild zu gewinnen. Und das ist ja etwas, was im Film und im Fernsehen ganz häufig so inszeniert wird. Man setzt beim Zuschauer gewisse psychoanalytische, profane Vorkenntnisse voraus, um das so zusammenzusetzen. Und die Filme sind natürlich auch darauf angelegt, dass man bruchstückhaft mitverfolgt: Wer ist das? Gab es eine Traumatisierung? Wie erklärt er mir diese Tat?"
Der Zuschauer bekommt eine aktive Rolle. Nicht nur Nachvollziehender und Erlebender zu sein, sondern er wird in der Entwicklung der Filmgeschichte von psychologisch orientierten Regisseuren auch zunehmend auf die Spur gesetzt, analytisch voraus zudenken.
"Wir wollten - und das war auch von Anfang an klar - nicht einfach nur zeigen, wie der Film psychoanalytische Inhalte bebildert oder umsetzt. Sondern wir wollten darüber hinaus - und das unterscheidet diese Ausstellung auch von vorangegangenen Ausstellungen - die Rezeption selber thematisieren oder eben erlebbar machen. Filmausschnitte sollen in dieser Ausstellung also nicht nur konventionell beispielhaft etwas belegen, sondern man soll sich auch körperlich zu diesen Filmbildern anders verhalten und sie vielleicht dadurch ganz neu sehen."
Um das entsprechend nachempfinden zu können - Gebrauch hat allerdings zur Eröffnung niemand gemacht - gibt es die Einladung des Filmmuseums Berlin an die Besucher sich auch auf Freuds Couch zu setzen, beziehungsweise sich auf einem Bett im Halbdunkel berieseln zu lassen - nur mit Filmton, ohne Bilder zu sehen.
Biografischen Stationen von Sigmund Freud werden zusammengefasst und durch ein Experiment abgerundet, denn die deutsche Filmindustrie hatte Mitte der 20er die Zugkräftigkeit des Themas erkannt.
"Wir stellen ein realisiertes und ein unrealisiertes Filmprojekt gegenüber. Sie sehen dort Filmausschnitte aus 'Geheimnisse einer Seele' und im Wechsel dazu wird aus einem Film-Script vorgelesen, was der Analytiker Siegfried Bernfeld verfasst hat. Der stammt auch aus dem Kreis um Freud und es entstand auch im gleichen Jahr - nämlich 1925 als Gegenprojekt zu Pabst. Dieser Text ist sehr interessant zu lesen. Er ist assoziativer im Aufbau, es gibt keine lineare Handlung, die man direkt durchführen könnte. Aber bestimmte Motive für die Psychoanalyse ganz zentral: das Erscheinungsbild des Analytikers, die Darstellung von Träumen, die Analyse von Träumen. Das heißt, Pabst im Bild und Bernfeld vorgelesen von einem Sprecher."
Die gesamte Ausstellung ist eine Reise durch die Kinogeschichte. Voll von Ödipusmythen, voyeuristischen Blicken und Träumereien. Einen weniger bekannten Fall hat das Museum zusätzlich ausgegraben.
"Bruno Lüdge war ein Serienmörder in den 40er Jahren und wurde von Robert Siodmak in dem Film 'Nachts, wenn der Teufel kam' umgesetzt - filmisch. Da haben wir sehr viele Originaldokumente hier aus der polizeihistorischen Sammlung, denke ich: unbekanntes Material, einmal auch Verhörprotokolle. Wie suggestiv geht ein historischer Profiler - also ein
Kriminalbeamter - vor. Dann Tatortfotos, die einen auch wieder in die Realität bringen, und eine Lebendmaske, die von diesem Täter abgeformt wurde: also die Physiognomie des Psychopathen."
Sollten Sie die Ausstellung besuchen, versäumen Sie nicht scheinbar verschlossene Türen aufzustoßen, denn dahinter kann man sich hingeben: der ganzen Welt der Melodramatik im Kino.
"Also dieses Tränenkabinett ziehlt darauf: Warum weinen wir im Kino? Was löst das bei uns aus? Funktioniert das auch mit kurzen Filmausschnitten oder muss ich den ganzen Film sehen? Unsere These war: Das funktioniert mit kurzen Filmausschnitten. Wir haben das im Kollegenkreis mehrfach ausprobiert. Gut, jeder hat seinen persönlichen Film, bei dem er in Tränen ausgebrochen ist - insofern ist es schwierig da einen Konsens herzustellen. Was wir in diesem Kabinett eigentlich andeuten wollen, ist, dass ein bestimmter dramaturgischer Aufbau so etwas auf jeden Fall verstärken kann - dass wir gerührt sind."
Fazit dieses Ausflugs: "Nicht das Rationale, sondern das Unbewusste, die Wünsche und Triebe sind der Motor vieler Geschichten." Und wer noch tiefer in diese Geschichten eindringen will, dem sei das Begleitbuch zur Ausstellung aus dem "Bertz und Fischer-Verlag" empfohlen, in dem sich 18 führende Film- und Kulturwissenschaftler, Psychoanalytiker und Hirnforscher über das "Kino im Kopf" äußern.
Service: Kino im Kopf: Psychologie und Film seit Sigmund Freud, Filmmuseum Berlin, noch bis zum 7. Januar 2007
Psycho: "Versuchen Sie nicht für diesen Jungen auf psychiatrischer Basis Entschuldigungen zu suchen. Was er begangen hat, sind Verbrechen. Ein Psychiater sucht nicht nach Entschuldigungen - er sucht nach Erklärungen für die Handlungsweise des Kranken. Aber meine Schwester ist? Ja!"
Man sieht einen Filmausschnitt - oder noch nicht einmal das - sondern hört per Zufall durch einen Türspalt jene Musik daraus: Und dann haben Sie plötzlich den Film gegenwärtig. Und vielleicht auch das Gefühl, was Sie bewegt hat in jenem Augenblick, mit wem Sie vielleicht zusammen im Kino waren, wer mit gezittert hat. Da kommt der Titel "Kino im Kopf" zum Tragen.
Zuschauer können in dieser neuen und ungewöhnlichen Ausstellung in reale und surreale Traumwelten eintauchen oder den Strukturen der Psychoanalyse nachspüren. Kuratorin Kristina Jaspers schickt die Besucher in eine interdisziplinäre Welt zwischen Filmschaffen und Psychologie - auch in Zusammenarbeit mit dem Hygiene-Museum Dresden und den Freud-Museen in Wien und London. Und sie widersteht beim Ausstellungsthema der Gefahr, zu streng wissenschaftlich und trocken zu geraten. Denn der Film - seit es ihn gibt - verteilt von der Leinwand reichlich die ganze Bandbreite nachvollziehbarer Gefühle.
"Freud selbst hat sich mehrfach mit Sherlock Holmes verglichen - also, sein Vorgehen. Also, das heißt: in der Kindheit nachforschen, Bruchstücke einer Persönlichkeit zusammenzutragen, um so ein Charakterbild zu gewinnen. Und das ist ja etwas, was im Film und im Fernsehen ganz häufig so inszeniert wird. Man setzt beim Zuschauer gewisse psychoanalytische, profane Vorkenntnisse voraus, um das so zusammenzusetzen. Und die Filme sind natürlich auch darauf angelegt, dass man bruchstückhaft mitverfolgt: Wer ist das? Gab es eine Traumatisierung? Wie erklärt er mir diese Tat?"
Der Zuschauer bekommt eine aktive Rolle. Nicht nur Nachvollziehender und Erlebender zu sein, sondern er wird in der Entwicklung der Filmgeschichte von psychologisch orientierten Regisseuren auch zunehmend auf die Spur gesetzt, analytisch voraus zudenken.
"Wir wollten - und das war auch von Anfang an klar - nicht einfach nur zeigen, wie der Film psychoanalytische Inhalte bebildert oder umsetzt. Sondern wir wollten darüber hinaus - und das unterscheidet diese Ausstellung auch von vorangegangenen Ausstellungen - die Rezeption selber thematisieren oder eben erlebbar machen. Filmausschnitte sollen in dieser Ausstellung also nicht nur konventionell beispielhaft etwas belegen, sondern man soll sich auch körperlich zu diesen Filmbildern anders verhalten und sie vielleicht dadurch ganz neu sehen."
Um das entsprechend nachempfinden zu können - Gebrauch hat allerdings zur Eröffnung niemand gemacht - gibt es die Einladung des Filmmuseums Berlin an die Besucher sich auch auf Freuds Couch zu setzen, beziehungsweise sich auf einem Bett im Halbdunkel berieseln zu lassen - nur mit Filmton, ohne Bilder zu sehen.
Biografischen Stationen von Sigmund Freud werden zusammengefasst und durch ein Experiment abgerundet, denn die deutsche Filmindustrie hatte Mitte der 20er die Zugkräftigkeit des Themas erkannt.
"Wir stellen ein realisiertes und ein unrealisiertes Filmprojekt gegenüber. Sie sehen dort Filmausschnitte aus 'Geheimnisse einer Seele' und im Wechsel dazu wird aus einem Film-Script vorgelesen, was der Analytiker Siegfried Bernfeld verfasst hat. Der stammt auch aus dem Kreis um Freud und es entstand auch im gleichen Jahr - nämlich 1925 als Gegenprojekt zu Pabst. Dieser Text ist sehr interessant zu lesen. Er ist assoziativer im Aufbau, es gibt keine lineare Handlung, die man direkt durchführen könnte. Aber bestimmte Motive für die Psychoanalyse ganz zentral: das Erscheinungsbild des Analytikers, die Darstellung von Träumen, die Analyse von Träumen. Das heißt, Pabst im Bild und Bernfeld vorgelesen von einem Sprecher."
Die gesamte Ausstellung ist eine Reise durch die Kinogeschichte. Voll von Ödipusmythen, voyeuristischen Blicken und Träumereien. Einen weniger bekannten Fall hat das Museum zusätzlich ausgegraben.
"Bruno Lüdge war ein Serienmörder in den 40er Jahren und wurde von Robert Siodmak in dem Film 'Nachts, wenn der Teufel kam' umgesetzt - filmisch. Da haben wir sehr viele Originaldokumente hier aus der polizeihistorischen Sammlung, denke ich: unbekanntes Material, einmal auch Verhörprotokolle. Wie suggestiv geht ein historischer Profiler - also ein
Kriminalbeamter - vor. Dann Tatortfotos, die einen auch wieder in die Realität bringen, und eine Lebendmaske, die von diesem Täter abgeformt wurde: also die Physiognomie des Psychopathen."
Sollten Sie die Ausstellung besuchen, versäumen Sie nicht scheinbar verschlossene Türen aufzustoßen, denn dahinter kann man sich hingeben: der ganzen Welt der Melodramatik im Kino.
"Also dieses Tränenkabinett ziehlt darauf: Warum weinen wir im Kino? Was löst das bei uns aus? Funktioniert das auch mit kurzen Filmausschnitten oder muss ich den ganzen Film sehen? Unsere These war: Das funktioniert mit kurzen Filmausschnitten. Wir haben das im Kollegenkreis mehrfach ausprobiert. Gut, jeder hat seinen persönlichen Film, bei dem er in Tränen ausgebrochen ist - insofern ist es schwierig da einen Konsens herzustellen. Was wir in diesem Kabinett eigentlich andeuten wollen, ist, dass ein bestimmter dramaturgischer Aufbau so etwas auf jeden Fall verstärken kann - dass wir gerührt sind."
Fazit dieses Ausflugs: "Nicht das Rationale, sondern das Unbewusste, die Wünsche und Triebe sind der Motor vieler Geschichten." Und wer noch tiefer in diese Geschichten eindringen will, dem sei das Begleitbuch zur Ausstellung aus dem "Bertz und Fischer-Verlag" empfohlen, in dem sich 18 führende Film- und Kulturwissenschaftler, Psychoanalytiker und Hirnforscher über das "Kino im Kopf" äußern.
Service: Kino im Kopf: Psychologie und Film seit Sigmund Freud, Filmmuseum Berlin, noch bis zum 7. Januar 2007