Konzert "frau musica (nova)" in Köln

Gibt es Sex und Erotik in der Neuen Musik?

Die Künstlerin Brigitta Muntendorf bei der 9. Verleihung des Deutschen Musikautorenpreises 2017 im Hotel Ritz Carlton in Berlin.
In den Stücken der Komponistin Brigitta Muntendorf spielt die Sphäre von Intimität eine wichtige Rolle. © imago/Future Image
Monika Pasiecznik im Gespräch mit Max Oppel · 22.12.2017
In den Stücken moderner Komponisten der Neuen Musik fehle jegliche Erotik und Sexualität, kritisiert die polnische Musikwissenschaftlerin Monika Pasiecznik. Eine Ausnahme sei die Komponistin Brigitta Muntendorf, deren Komposition heute in Köln bei "frau musica (nova)" zu hören ist.
Monika Pasiecznik bemerkte bei ihren Recherchen die völlige Abwesenheit jeglicher Erotik und Sexualität in den Stücken moderner Komponisten. Für das Duo Série Rose hat sie nun Werke für Solo-Stimme, Live-Elektronik und Piano ausgesucht, die sich mit dem Thema Sexualität und Erotik in der Neuen Musik auseinandersetzen. Darunter auch Brigitta Muntendorfs "Public Privacy #6 Bright no more", das heute in Köln seine deutsche Uraufführung erlebt. Die Veranstaltung findet im Rahmen des Jubiläums 20 Jahre "frau musica (nova)" statt. Die Konzertreihe präsentiert das Schaffen von Komponistinnen und Interpretinnen zeitgenössischer Musik.
Monika Pasiecznik: "Brigitta Muntendorf schreibt seit mehreren Jahren eine Serie von Stücken, die 'Public Privacy' heißen. Sie untersucht die Grenze zwischen dem, was privat und öffentlich ist. Die Sphäre von Intimität spielt eine wichtige Rolle. Dieses Stück hat Brigitta in Japan komponiert. Sie thematisiert in dem Stück die Kuriosität der japanischen Kultur. Im Hintergrund stehen die Neuen Medien, die Technologiekultur. Das wird eine deutsche Uraufführung."

Unsinnlichkeit ist ein neueres Phänomen

Die Abwesenheit von Sex habe es nicht schon immer gegeben, betont Pasiecznik. Der weibliche Orgasmus aus der "Sonata Erotica" von Erwin Schulhoff wurde zum Beispiel bereits 1919 im Umfeld der Dada-Bewegung veröffentlicht. Es ist nicht frei von Komik, wenn die Solistin das Gestöhne hingebungsvoll vom Blatt liest als wäre es Beethoven und am Schluss auch noch in eine Schüssel uriniert. Sex und Erotik in der Neuen Musik fehlten seit den 50er-Jahren:
"Nach dem Krieg haben sich die Komponisten entschieden, viel mit dem Klang, kompositorischen Techniken, mit abstrakten Aspekten der Musik zu experimentieren. Und sie haben den Sex, also etwas, das wirklich in der Musik liegt, vergessen."

"Befruchtung mit Klavierstück"

Ausnahmen habe es aber immer gegeben - wie den Komponisten Karlheinz Stockhausen, sagt die Musikwissenschaftlerin:
"Ich habe mich mehrere Jahre mit Karlheinz Stockhausen beschäftigt und ich muss sagen: Erotik spielt eine wichtige Rolle in seiner Musik. Ich kann zum Beispiel ein Stück betitelt mit 'Befruchtung mit Klavierstück' erwähnen. Das ist eine Szene aus der Oper 'Montag', da sitzt eine große Figur von Eva und zwischen ihren Beinen das Klavier, und der Pianist spielt die 'Befruchtung mit Klavierstück'."
Warum sollte man Sexualität und Erotik in der Neuen Musik sichtbar machen? Monika Pasieczniks beklagt ihre Abstraktheit:
"Ich glaube, die Musik leidet unter der Abstraktheit. Ich finde es wichtig, dass die Musik auch unser irdisches Leben thematisiert. Wichtig ist auch, dass wir durch die Musik etwas über uns selbst erfahren können. Die Musik-Avantgarde hat das vergessen."
(cosa)
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