Konvention statt Obsession

Von Hartmut Krug |
2008 erhielt der Kärntner Autor Josef Winkler den Georg-Büchner-Preis, weil seine Bücher laut der Jury einzigartig in ihrer "obsessiven Dringlichkeit" seien. Die Dramaturgin Alexandra Millner hat aus Büchern und Erzählungen nun einen Text montiert, der in Wien zur Aufführung kam. Sinnliche Bühnenwirksamkeit erfuhren Winklers Texte in der Inszenierung leider nicht.
Wörter und Sprache drücken bei Josef Winkler nicht nur Trauer, Verzweiflung und Wut oder gelegentlich Glück aus, sondern sie bringen den Menschen in einer unterdrückerisch sprachlosen Welt erst zum Leben. Am Beginn wird der Abend mit aus dem Off geraunten Sätzen auf seinen Bedeutungspunkt gebracht: "Nur wenn ich schreibe, lebe und sitze ich auf einem Riesenbagger, der sich ins Gestein schlägt, um eine Metapher zu finden. (...) Ich werde solange Metaphern suchen, bis ich selber eine Metapher bin."

Niedergedrückt auf drei Holzpaletten liegen drei nur mit weißen Unterhosen bekleidete junge Männer, und während sie sich mit Wörtern und Begriffen durch das Alphabet denken, sitzt hinter ihnen auf der leeren Bühne eine junge Frau zwischen Zinkwannen voller Kartoffeln und schält diese mit erlahmendem Eifer. Bäuerliches Leben und das Erwachen in die Selbstbewusstheit durch Sprache und Denken sollen so in ein Bild gebracht werden.

Jeder der drei Männer findet dabei seinen eigenen Begriffsbereich: der eine den sexuellen, der andere den kulturellen, und der dritte einen religiösen. Dann begehren der Transvestit, der Schriftsteller und der Priester mit ihrer Sprache auf, bringen sich mit Sprache zum Leben und richten sich zugleich allmählich körperlich auf. Doch ihr Bewusstsein bleibt eines von Ausgestoßenen.

In seinen Texten liefert der Autor keine klare Handlung, sondern er umkreist seine immer wiederkehrenden Themen, die Tod, Homosexualität und Katholizismus lauten. Auch diese Montage seiner Texte für die Bühne kennt keine Handlung, sondern nur ein Lamento sprachgewaltiger Sprachlosigkeit. Beginnend mit der Erinnerung an die baumelnden Füße zweier Jungen, Homosexueller, die sich aus Verzweiflung erhängten, wird geklagt, gewütet und geschrieen, - mal chorisch, mal gegeneinander, dann wieder miteinander.

Geredet wird über den Tod, während gezeigt wird, wie man über die Sprache zu sich selbst zu finden sucht. Zehn Regeln zur Sprache werden wie ein Anklang an die zehn Gebote verkündet, und ein lebenslanger Kampf gilt nicht nur dem Vater als "schwarzer Engel der Jugend", sondern auch dem Militär und der Bürokratie.

Blasphemische Phantasien (mit der Ejakulation auf ein Bild mit dem Papstkopf) folgen auf die Schilderung homosexueller Erfahrungen mit einem tunesischen Jungen, wobei Widersprüche mit der sprachspielerischen Reihe Amarcord, Roma, Amor und Omar benannt werden, und auch der sexuelle Mann mit der Gummipuppe fehlt nicht. Das alles bleibt, auch mit seinen gelegentlichen Masturbationsandeutungen, ohne alle Dringlichkeit, so dass man statt Obsession nur Konvention empfindet: von Themen, Mitteln und Methoden.

Vergeblich versucht Regisseur Antonio Latella (vom italienischen Nuevo Teatro Nuevo), eine Art Sprache zwischen Gebärde und Denken zu finden. Denn was im Programmheft mit einem Text von Antonin Artaud als "dynamischer Ausdruck im Raum" bezeichnet wird, wirkt auf der Bühne so konventionell wie flau und flach. Wenn die Männer Dringlichkeit ausdrücken wollen, schreien sie, wenn sie nachdenklich sind, flüstern sie, und wenn sie Angst haben, verstummen sie fast.

Steffen Höld, Vincent Glander und Max Mayer verkörpern, versinnlichen oder verbildlichen Winklers Texte nicht, sondern sie tragen sie mit Bedeutung vor und versuchen sie mit Zurückhaltung zu emphatisieren. Dabei wird den Texten keine Dramatik zugeführt, sondern ihre bedrückende Selbstverständlichkeit und poetische Kraft, die man bei der Lektüre empfindet, wird durch das artifizielle Spiel verdeckt.

Wo der Vater die Sprache dem Jungen weggenommen hat und die Mutter immer schweigsam war, sollen Schreiben und Sprache als Waffe gegen ein Seelensterben dienen, sollen sowohl von der Lust zu sterben wie von der Lust zu leben künden. Eines Lebens, zu dem man sich aufgerichtet hat, aber auch die Pantomime des Erhängens demonstriert, um nach dem Chanson "Aber der Nowak lässt mich nicht verkommen" sexuell Hand an sich zu legen und, vor einer Geräuschkulisse aus Schreibmaschinengetippe, Orgelgetöse und kräftigen Schlaggeräuschen, wieder auf die Holzpaletten nieder zu sinken. Was bleibt, ist das ABC, dessen Buchstaben die drei aufsagen.

Ein Abend, der in seiner Zurückhaltung gegenüber Josef Winklers Texten durchaus berührt, der ihnen aber auch damit keine Bühnenwirklichkeit und -dringlichkeit zu geben vermag.

Wild wuchern die Wörter in meinem Kopf. Ein Triptychon
Ein Schauspiel nach Texten von Josef Winkler
Schauspielhaus Wien
Regie: Antonio Latella
Ausstattung: Annelisa Zacharia
Dramaturgie: Alexandra Millner