Kontrollmechanismen

Der überwachende Blick

Fünf Videokameras hängen in Duisburg an einem Laternenpfahl.
Videokameras im öffentlichen Raum (wie hier in Duisburg) sind mittlerweile häufig zu sehen. © pa/dpa/Weihrauch
Von Jochen Stöckmann · 17.02.2017
Ob Videokontrolle oder Selfies in sozialen Medien - unser Alltagsleben wird beobachtet wie nie zuvor. Wie sich daraus, parallel zur Fototechnik, seit etwa 1900 eine allumfassende Kontrolle entwickelt hat, das analysieren Künstler in drei Ausstellungen der C/O Galerie und des Fotomuseums in Berlin.
Allerlei Drohnen, eine ganze Typologie der am Himmel kreisenden Kameras lässt Ruben Pater am Publikum vorüberziehen, akustisch. Fürs Auge hat der niederländische Künstler charakteristische Silhouetten auf Alufolie drucken lassen. Die zieht der Besucher der C/O-Galerie über den Kopf, als Schutzschirm gegen Ausspähung von oben. "Duck and cover" hieß das im Kalten Krieg, da sollte eine Aktentasche gegen atomaren Fallout schützen. Grotesk -aber:
Ann-Christin Bertrand: "Aus der Sicht der Kunst geht es erst einmal darum, diese Dinge bewusst zu machen, erfahrbar zu machen. Ich kann etwas dokumentieren, dann gucke ich mir das an. Das geht mir auch in den Zeitungen so: ich lese die Artikel – ja, okay, das ist Stand der Dinge. Aber es betrifft mich anscheinend nicht wirklich, die Betroffenheit ist noch nicht da."
Kuratorin Ann-Christin Bertrand hat also Künstler ausgewählt, die eine möglichst direkte Konfrontation mit dem oft nur abstrakt diskutierten Phänomen der "Überwachung" garantieren.
Ann-Christin Bertrand: "Da ist zum einen das bewegte Bild, wo ich hineingehe. Oder Kopfhörer mir aufsetzte und plötzlich diese Abhörprotokolle höre. Das sind natürlich Mittel, anders als jetzt nur rein das gerahmte Bild an der Wand."
Für seine "Waldprotokolle" installiert Florian Mehnert Mikrofone hinter jedem Baum. 3-D-Porträts, sogenannte digitale Lebendmasken, lassen Adam Broomberg und Oliver Chanarin mithilfe neuester Gesichtserkennungs-Software errechnen.
Der technische, der Multimedia-Aufwand ist ungeheuer – und reproduziert womöglich nur, was die Agenturen des Überwachungsstaats längst viel weiter vorangetrieben haben. Soviel zur Sache. Aber Künstler nehmen es gern persönlich: Ai Weiwei zum Beispiel lässt das Publikum teilhaben an seiner eigenen Überwachung. Nur steht dem Konzeptkünstler die eigene Prominenz im Wege. Kaum jemand wird die uferlose Reihung von Videosequenzen auf das eigene Alltagsleben beziehen.
Also doch eher gerahmte Bilder an der Wand, nämlich in der historisch orientierten Ausstellung im Fotomuseum?

Realität hat Ausstellungen überholt

Michalis Valaouris: "Das älteste Werk der Ausstellung ist ein Holzschnitt mit dem Titel 'Das Feld hat Augen, der Wald hat Ohren'. Schon dort, im Jahre 1546, kann man sagen, dass diese Idee der Überwachung vorhanden ist. In einer psychologischen Weise."
Kurator Michalis Valaouris hat den zeitgenössischen Künstlern etwas voraus: den weiten Blick zurück, nicht nur kunsthistorisch, sondern auch mentalitätsgeschichtlich. Ganz unabhängig von der Technik. Denn am Anfang war nicht der Fotoapparat, sondern das Auge Gottes. Gerne auch mal an einen Pfahl genagelt wie auf einem Kupferstich von Callot. Sehr drastisch, aber durchaus nicht düster:
Ludger Derenthal: "Es wurde ja als positiv angesehen, dass Gott für einen da ist und immer sieht, dass man alles richtig macht. Nur, wenn man halt vom Weg abkommt, dann ist man derjenige, der auf ziemlich unangenehme Art bestraft wird."
Für Ludger Derenthal, den Leiter des Fotomuseums, wird die positive Seite der Überwachung vor allem in der Ära der Aufklärung sichtbar. Da taucht das Auge der Vernunft auf, erstmals auch als mechanischer Blick, etwa mit der camera obscura.
Erst mit dem Fotoapparat kann die Massenüberwachung beginnen. Zu Abertausenden werden Lichtbilder angefertigt, archiviert, ausgewertet. Wiederum durch einen Apparat, den Sicherheitsapparat. Wie es um dessen "Objektivität" bestellt ist, das hat Simon Menner im Bildarchiv der Stasi, anhand beliebiger Fotos anonymer Zeitgenossen recherchiert:
Simon Menner: "Es gibt da ganz klar schon Täterkategorien, die da gesucht werden. Und - ob man will oder nicht - auch konstruiert werden."
Selbst bei noch so präzis berechneten Algorithmen des Computers bleibt das Urteil unberechenbar, liegt allein im Auge des unsichtbaren Betrachters, des "Auswerters" in der Geheimdienstzentrale. Am Ende dient Überwachung weniger der Sicherheit als vielmehr der Einschüchterung, der permanenten Verunsicherung:
Simon Menner: "Ich kann nämlich nie herausfinden, dass ich tatsächlich nicht überwacht werde. Ich könnte jetzt Belege dafür finden, dass ich überwacht werde. Aber dass ich nicht überwacht werde? Die Belege werde ich nie finden."
Was also bleibt? Die pure, sichtbare Existenz der Überwachungskameras. Etwa im Bahnhof Zoo, gleich neben dem Fotomuseum. Und dort hat die Realität nach dem blutigen Anschlag vom 19. Dezember die Ausstellungen - ob nun künstlerisch oder historisch angelegt - längst überholt.
Ludger Derenthal: "Der Attentäter ist in den Bahnhof gelaufen und hat sich eine Kamera gesucht, um zu zeigen: ich bin hier gewesen! Deshalb ist der Gang durch den Bahnhof Zoo jetzt für mich nicht anders geworden, weil ich weiß: da hängen Überwachungskameras. Sondern weil ich weiß, da werden Überwachungskameras schon wieder anders instrumentalisiert als vorher."
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