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Von Walter Bohnacker |
Schon die alten Römer betrieben Propaganda, um sich ins rechte Licht zu setzen. Wie die Methoden im vergangenen und in unserem Jahrhundert funktionieren, welche Mittel die Mächtigen benutzen - damit setzt sich jetzt die British Library in London auseinander.
Winston Churchill 1940 im Londoner Unterhaus. Mit seiner berühmten "Blut, Schweiß und Tränen”-Rede machte der Kriegspremier damals mobil für den Widerstand gegen die Nazi-Tyrannei. Sein Porträt – in typischer Bulldoggenpose, wenn auch ohne Zigarre! –, und darunter das "blood, sweat, toil and tears”-Zitat schmücken die neue, für 2016 angekündigte englische Fünf-Pfundnote.

Sir Winston ist der erste Politiker, den sie auf der Insel per Geldschein verewigen. Da fragt man sich natürlich: Was steckt da dahinter? Ein PR-Manöver der Bank von England oder währungspolitischer Spin aus der Downing Street? Vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte um einen möglichen EU-Austritt Großbritanniens soll die neue Banknote wohl auch das signalisieren – gerade in Richtung Euroland: Wir kapitulieren nicht! "No surrender!”

Das Konzept ist uralt. Schon in der Antike kommunizierte man per Geldstück, weil man wusste: Die Wirkung war unbezahlbar. Dazu Ian Cooke von der British Library:

"Nehmen Sie diese Münze aus dem dritten Jahrhundert vor Christus mit dem Porträt Alexander des Großen auf Vorder- und Rückseite. Der Herrscher ist dargestellt im Löwenfell des Herkules. Und was sollte die stilisierte Überhöhung zum Göttersohn des Mythos anderes demonstrieren wenn nicht den Anspruch auf absolute Autorität?"

Münzen, Opern und Cartoons als Symbolträger
Das Zahlungsmittel als Symbolträger hellenistischer Hegemonialpolitik – auch so festigte man ein Riesenreich, mit – modern gesagt – dem Appeal und der "soft power” der Propaganda.

Mit der Filmversion der Ballettoper vom "Weißhaarigen Mädchen” unterhielt der "Große Vorsitzende" Mao in den 50er-Jahren Chinas Landbevölkerung. Dass der Genosse damit auch den Weg ebnete für seine Kulturrevolution, konnten die Bauern nicht ahnen.

Zeitgleich, also noch vor Ausbruch des Kalten Krieges, durften Kinder in den USA per Zeichentrick schon mal üben, wie man sich gegen den Atomschlag wappnet. Die Anweisungen gab die Schildkröte Bert: "Duck and cover”: in Deckung gehen, Augen zu und durch!” Alles ganz harmlos. Zu den Rüstungsplänen im Pentagon verlor Bert the Turtle natürlich kein Wort.

Die Inhalte und die Stoßrichtung der Botschaften mögen variieren wie die Methoden ihrer medialen Verbreitung, die Grundregeln der Propaganda aber stehen fest. Und sie gelten bis heute: Agitation nach allen Registern der Rhetorik, Verdrehung der Tatsachen, gesteuerte und gezielte Fehlinformation, Manipulation der Massen, mal in leisen, mal in lauten Tönen.

Psychologie statt Wahrheit
Dass das alles wenig mit Aufklärung und Wahrheit zu tun hat, dafür umso mehr mit Psychologie. Das wusste einer ganz genau: Nazi-Deutschlands Chef-Demagoge vom Dienst:

Joseph Goebbels: ""Das ist das Geheimnis der Propaganda. Den, den die Propaganda erfassen will, ganz mit den Ideen der Propaganda zu durchtränken, ohne dass er es überhaupt merkt.”"

In einer Propagandaschau darf ein Goebbels natürlich nicht fehlen. Gut 200 Exponate versammelt die Ausstellung in der British Library, größtenteils Material aus den eigenen Beständen. Erstaunlich nur: Bücher sind kaum darunter. Dafür umso mehr Pamphlete, Flugschriften und reichlich Text- und Bildmaterial: Embleme, Plakate, Poster, Sticker und Fotos natürlich und jede Menge Film- und Tondokumente.

In sechs Abteilungen – vom Kapitel "Nation Building” über "Krieg” und "Feind” bis zur Abteilung "Today” spannt sich der Bogen von der Antike bis in die Gegenwart. Eingeführt im frühen 17. Jahrhundert als religiöser Begriff für die Missionstätigkeit der Kirche in der Neuen Welt und ihre Konsolidierung innerhalb Europas, entwickelt sich der Terminus im 19. Jahrhundert zum politischen Kampfbegriff.

Als solcher ist er bis heute überwiegend negativ besetzt. Nur eben: Eindeutig abgrenzen ließ er sich noch nie. Genau darauf liegt auch der Hauptakzent dieser Ausstellung. Sie zeigt, wie schwer oft zu unterscheiden ist zwischen sachlicher Information und subtiler Einflussnahme.

Zwischen Information und Einflussnahme
Was sind die Streichholzschachteln aus der alten Tschechoslowakei, deren Etikette an die Arbeitsmoral der Werktätigen appellieren und von übermäßigem Alkoholgenuss abraten? Und was das Monopoly-Spiel aus den 50er-Jahren, das die Briten zum Milchtrinken animiert? Volksfürsorge durch Vater Staat oder gut getarnte Werbetricks und Konsumspritzen?

Propaganda und PR: Die Grenzen sind fließend, zumal im Zeitalter YouTube, Facebook und Twitter. Eine Installation am Ende der Schau orchestriert – über mehrere Bildschirme verteilt – die Menge der in den sozialen Medien täglich abgeschickten Messages zu gewaltigen Datenströmen. Jeder Widerstand, so wird suggeriert, ist zwecklos.

In der Ausstellung hat auch er seinen Platz: Edward L. Bernays. Der nach New York emigrierte Neffe Sigmund Freuds starb 1995. In den USA gilt er bis heute als "Vater der Propaganda”. Propaganda ist der Titel einer seiner meistgelesenen Schriften zum Thema Public Relations in Theorie und Praxis. Und das wohl nicht zufällig. Wie sagte der altgediente "Doktor Spin”: "Goebbels hatte alle meine Bücher in seinem Schrank.”

Service:

Die Ausstellung "Propaganda - Macht und Überredung" ist vom 17. Mai bis 17. September 2013 in der Londoner British Library zu sehen.