Konstruktiv streiten

Wie wegkommen von Hassparolen und Filterblasen?

87:52 Minuten
Computertaste mit der Aufschrift Hate speech, Hassreden in sozialen Netzwerken.
Statt konstruktiv zu streiten, gehen wir uns im Netz verbal an die Gurgel. © imago / Christian Ohde
Moderation: Katrin Heise · 12.01.2019
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Das innere Aggressionspotenzial ist gestiegen: Statt einander zuzuhören und konstruktiv miteinander zu streiten, wird verbal aufeinander eingeprügelt. Wir sprechen darüber mit Diakonie-Präsident Ulrich Lilie und Politikberaterin Antje Hermenau.
Unsere Gesellschaft driftet auseinander, immer mehr Menschen bewegen sich nur noch in Filterblasen. Hassparolen ersetzen Diskussionen, Populisten gewinnen an Zuspruch. Woher kommt die Wut? Wie können wir mit Andersdenkenden ins Gespräch kommen?
"Lass dir öfter sagen, was du nicht hören willst", sagt Ulrich Lilie, Präsident der Diakonie Deutschland. Das gelte für Politiker ebenso, wie für jeden Einzelnen. Der Theologe beobachtet einen Zerfall des inneren Zusammenhalts in Deutschland: "Die Prozesse der Digitalisierung, Globalisierung, der demografische Wandel, die Migration, die rasante gesellschaftliche Veränderung entwerten die Lebens- und Berufserfahrung zu vieler."

Den Streit nicht scheuen

Ulrich Lilie ist viel unterwegs und hat über seine Erfahrungen ein Buch geschrieben: "Unerhört! Vom Verlieren und Finden des Zusammenhalts." Darin plädiert er für eine neue Kultur des Zuhörens: "Erst wenn wir einander zuhören lernen und das Streiten nicht scheuen, teilen wir wieder eine Wirklichkeit. Danach können wir gemeinsam nach Lösungen suchen."
"Das innere Aggressionspotenzial ist gestiegen", sagt die Unternehmerin und Politikberaterin Antje Hermenau. "Viele Leute haben den Eindruck, dass Menschen über ihren Alltag bestimmen, die eine ganz andere Agenda haben, als sie selbst."

"Es fehlt an Sprachrohren und Artikulationsmöglichkeiten"

Die gebürtige Leipzigerin war fast 25 Jahre eine der prägenden ostdeutschen Abgeordneten von Bündnis 90/Die Grünen, unter anderem Fraktionsvorsitzende im Sächsischen Landtag. 2015 stieg sie aus der Partei aus, blieb aber politisch aktiv. Heute engagiert sie sich bei den Freien Wählern Sachsen.
Ihre Beobachtung: "Es fehlt an Sprachrohren, an Artikulationsmöglichkeiten; und ich glaube, dass die parlamentarische Demokratie mit demokratischer Mitbestimmung ergänzt werden muss. 1,5 Prozent der Bevölkerung sind in Parteien organisiert, die anderen 98,5 Prozent sind doch auch nicht dämlich. Das ist auch eine Frage der Achtung und des Respekts."
Sie habe in ihrem politischen Leben viel gelernt, auch im Dialog mit Andersdenkenden: "Der Andere könnte ja auch Recht haben." Als sie 2016 an einem Stammtisch der AfD teilnahm, brachte ihr das viel Kritik ein.

Zuhören statt sich empören – Mehr Respekt für Andersdenkende

Darüber diskutiert Katrin Heise heute von 9.05 Uhr bis 11 Uhr mit Antje Hermenau und Ulrich Lilie. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der Telefonnummer 0800 2254 2254, per E-Mail unter gespraech@deutschlandfunkkultur.de – sowie auf Facebook und Twitter.

Informationen im Internet:
Antje Hermenau: http://antje-hermenau.de/home-108.html
Ulrich Lilie: www.diakonie.de/der-praesident/

Literaturhinweis:
Ulrich Lilie: "Unerhört! Vom Verlieren und Finden des Zusammenhalts", Herder Verlag 2018, 176 Seiten, 18.80 Euro