Konstruierte Koalition des Bösen

24.01.2011
Sensationelle Erkenntnisse liefert Johnsons Buch nicht, obwohl es ausführlich recherchiert und mit umfangreichem Anhang versehen ist. Er wirft dem Westen Mitschuld am Entstehen des radikalen Islam vor, welchem er Welteroberungspläne unterstellt.
London 2003. Ian Johnson, Pulitzer-Preisträger, entdeckt eine Weltkarte, auf der vier Moscheen abgebildet sind. Eine davon in München. Warum dort? Johnsons Recherche führt ihn in Archive und Geheimdienstakten. Er interviewt mehr als 30 Zeitzeugen. Die Ergebnisse hat er nun in seinem Buch "Die vierte Moschee. Nazis, CIA und der islamische Fundamentalismus" vorgestellt.

Einem "unerhörten Faktenthriller" wie der Verlag wirbt. Und tatsächlich - der Autor bemüht sich auf gut 300 Seiten, die Verbindung der drei Organisationen zu begründen. Doch die suggerierte Zwangsläufigkeit hat etwas Sensationsheischendes, das Buch selbst liest sich mehr als Thriller denn als Sachbuch.

In seinem Mittelpunkt steht – neben einem CIA-Agenten und einem Muslimbruder - Gerhard von Mende. Er war Referatsleiter im NS-Ministerium für "fremde Völker" und damit verantwortlich für Wehrmachts- und SS-Angehörige muslimischen Glaubens. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs strandeten viele von ihnen in den "Displaced Persons"-Lagern. Mende hielt den Kontakt zu ihnen und wurde dabei später auch vom Verfassungsschutz, vom damaligen Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte und vom Außenministerium unterstützt. Durch die Unterstützung der Exilmuslime wollte man die Sowjets schwächen und verfolgte gleichzeitig revanchistische Ziele. Die CIA ihrerseits bot Tataren, Usbeken und Turkmenen einen sicheren Arbeitsplatz beim hauseigenen Sender Radio Free Europe und Radio Liberty. Die Vereinigung von christlicher und islamischer Welt – im Zeichen des Antikommunismus – sah auch Washington in dieser Zeit als wünschenswert an.

Die Deutschen suchen nach einer islamischen Leitfigur und entwickeln den Plan, dessen Autorität durch eine Moschee zu beglaubigen. 1958 wird deren Bau in München beschlossen. In den folgenden Jahren versuchen auch Amerikaner, Exilmuslime und Muslimbrüder, sich das Projekt anzueignen. Dass die Münchner Moschee 1973 schließlich fertiggestellt wird, ist dem Geld von Libyens Staatschef Gaddafi zu verdanken. Die deutschen Politiker waren mittlerweile an Entspannung interessiert. Die Amerikaner verlagerten ihr Engagement nach Vietnam und Südamerika. Die Kontrolle über die Entwicklung der Moschee konnte so auf Vertreter der radikalen Islamisten übergehen, die die Moschee als Basis zur Ausbreitung des Islam in Europa nutzten. "Das islamische Zentrum München", wie die Moschee inzwischen heißt, wird heute vom Verfassungsschutz beobachtet.

Sensationelle Erkenntnisse liefert Johnsons Buch nicht, gleichwohl es ausführlich recherchiert, mit umfangreichen Anhang, Literatur- und Quellenangaben versehen ist. Es konstruiert eine Koalition der Bösen, wirft dem Westen Mitschuld am Entstehen des radikalen Islam vor und unterstellt diesem Welteroberungspläne. Johnson verliert aber oft den Überblick, schreibt wenig stringent. Viele Informationen sind überflüssig, die Anhäufung von Namen und wiederholte Zeitsprünge verwirren. Sprachliche Ungenauigkeiten, der Dramatisierung des Materials geschuldet, verärgern.

Besprochen von Carsten Hueck

Ian Johnson: Die vierte Moschee. Nazis, CIA und der islamische Fundamentalismus
Aus dem Amerikanischen von Claudia Campisi
Klett-Cotta, Stuttgart 2011
346 Seiten, 22,95 Euro