Konstanzer Konzil

Das Ende des abendländischen Schismas

Die Statue Imperia ist in Konstanz am Bodensee zu sehen. Sie erinnert satirisch an das Konzil von Konstanz (1414-1418).
Die Statue Imperia ist in Konstanz am Bodensee zu sehen. © dpa / picture alliance
Von Burkhard Schäfers · 10.08.2014
Vor 600 Jahren wurde das Konstanzer Konzil eröffnet. 70.000 Christen trafen sich in der 7000-Einwohner-Stadt. Die Kirchenversammlung versuchte die Machtfrage in der Kirche zu lösen, schließlich gab es damals drei Päpste gleichzeitig.
Schlagzeilen-Collage: Weltereignis des Mittelalters – drei Päpste kommen nach Konstanz. / Ein Riesenevent damals und heute. / Konzil von Konstanz – schafft nach einem halben Jahrhundert die Einheit der katholischen Kirche. / Das Konzil ging von 1414 bis 1418. / Das Konstanzer Konzil hat den weiteren Verlauf der europäischen Geschichte in entscheidender Weise geprägt. / Drei Päpste – wer darf der Papst bleiben? Großer Streit in Konstanz. / Das spannendste spätmittelalterliche Großereignis, das in Europa stattfand. / Lasst uns so konziliant, friedfertig werden wie Jan Hus, und so versöhnlich pragmatisch wie das Konstanzer Konzil.
Konstanz am Bodensee, im November des Jahres 1414.
Papst Johannes der Dreiundzwanzigste eröffnet ein Konzil, das die gespaltene Kirche wieder einen soll. Denn derzeit regieren drei Päpste an drei verschiedenen Orten. Der Riss geht durch Bistümer, sogar durch einzelne Familien. So kann es nicht weitergehen mit der Kirche, und deswegen wird das beschauliche Konstanz Ort einer wegweisenden Versammlung. An deren Ende wird ein Papst erst schmachvoll geflohen und dann verhaftet worden sein. Ein Reformator wird sein Leben auf dem Scheiterhaufen verloren haben. Und Konstanz wird Schauplatz eines Konklave gewesen sein, aus dem ein neuer Papst hervorgeht. Schließlich: Das Konzil wird ein Modell von Kirche ersonnen haben, das noch heute wegweisend sein könnte.
Historiker haben das Konzil mit Playmobil nachgebaut
Eine Zeitreise ins späte Mittelalter – 600 Jahre zurück. Die Vorgeschichte:
Es war das abendländische Schisma, das die katholische Christenheit seit dem Jahr 1378 spaltete. Papst Urban der Sechste hatte die Kardinäle nicht länger hinter sich. Also wählten diese Clemens den Siebten zum Gegenpapst. Fortan residierten zwei Nachfolger Petri: Urban in Rom, Clemens im französischen Avignon – wie alle Päpste seit Beginn des 14. Jahrhunderts. Als erst der eine starb, dann der andere, wählten ihre Anhänger jeweils einen eigenen Nachfolger. Und im Jahr 1409 kam sogar ein dritter Papst hinzu: Alexander der Fünfte, der von Pisa aus regierte. Durch die Kirchenspaltung drohten nicht nur religiöse, sondern auch politische Wirren – das Heilige Römische Reich war zerrissen. Die drei Päpste hatten verschiedene Gebiete hinter sich, verschiedene kirchliche und weltliche Herrscher. Es ging um Macht, Einfluss, Vorherrschaft in Europa.
Vincent: "Herzlich willkommen zur heutigen Führung durch die Playmobilausstellung, ich bin der Vincent. In der Ausstellung geht es um das Konstanzer Konzil, das hat in dieser Stadt vor 600 Jahren stattgefunden. Konzil, so nennt man das, wenn sich ganz viele katholische Leute zusammenfinden, um was Wichtiges zu besprechen."
Ortstermin im Archäologischen Landesmuseum in Konstanz. Auf einem ganzen Stockwerk haben die Historiker das Konzil mit Playmobilfiguren nachgebaut. Aurica, Nadja und Vincent erklären, was man da sieht. Die Kinder-Guides nehmen uns mit auf einen Rundgang.
Aurica: "Hier sieht man Papst Johannes XXIII., der kam von Italien über die Alpen gereist, weil er gehofft hatte, dass er bei der Papstwahl gewählt werden würde. Es gab ja noch keine Autobahnen und keine Autos, und dann ist er mit der Kutsche umgekippt und lag fluchend im Schnee, was ja eigentlich nicht gerade sehr päpstlich war."
Nadia: "Damals war's ganz schmutzig in der Stadt, es gab Schweine und Ratten, es hat gestunken. Ehrlich gesagt hätte ich im Mittelalter nicht leben wollen, weil's da viele Krankheiten wie Pest gab, und es wär mir zu schmutzig gewesen. Und ich hätte Schokolade vermisst, das gab's ja auch noch nicht."
In der künstlichen Modell-Landschaft stehen mehrere hundert Figuren, manche haben Werkzeuge in der Hand, andere Tongeschirr oder Fackeln. Ein reges Treiben herrscht in Playmobil-Konstanz.
Nadia: "Zum Konzil kamen ganz viele Menschen: Damals hatte Konstanz 7000 Einwohner, und es kamen 70.000 Menschen hierher. Die Bäcker konnten gar nicht mehr so viel Brot backen wie die Menschen gebraucht hätten, darum kamen Bäcker mit beweglichen Öfen hierher. Das haben die dann auf den Markt mitgenommen und ihr Brot direkt warm verkauft. Damals haben die auch komische Sachen auf dem Markt verkauft, zum Beispiel haben die Bieber und Frösche gegessen."
Überall Misstrauen, ein Pulverfaß
Und sie haben sich an grausigen Szenen erfreut, von denen sich heute viele Leute erschrocken abwenden würden. Aber zunächst noch einmal zurück zur Vorgeschichte. Die Kirchenspaltung versetzt die Gläubigen in Unruhe. Überall Misstrauen, ein Pulverfass. Das Christentum ist geteilt in drei Obödienzen, Anhängerschaften der jeweiligen Päpste.
Wolf: "Das geht mitunter durch die Domkapitel durch. Ein Teil des Domkapitels von Mainz gehört zu der Obödienz, ein Teil zum anderen. Das geht durch die großen Orden durch. Das geht im Grunde durch die gesamte Kirche durch. Also nicht nur territorial, sondern bis hinein in die einzelnen Ordensfamilien, in die einzelnen Domkapitel und Diözesen."
Hubert Wolf, Kirchenhistoriker an der Universität Münster.
Wolf: "Für den einzelnen Gläubigen wird's einfach völlig unübersichtlich. Wir haben eine Lehre, die sich darauf konzentriert, dass die katholische Kirche ihren Einheitspunkt im Papst findet. Und es ist eine totale Verunsicherung. Da ist natürlich auch die Frage: Kommt jetzt die Endzeit? Ist der Antichrist am Werk? Müssen wir damit rechnen, dass die Welt morgen untergeht? Solche Stimmungen tauchen da auch bei den einzelnen Gläubigen durchaus auf."
Doch wie kann es gelingen, die Kirche wieder zu einen? Versuche gibt es schon ein paar Jahre zuvor, etwa beim Konzil von Pisa im Jahr 1409. Aber zunächst bewegt sich nichts. Die Fronten sind verhärtet. Gefragt ist also ein kluger Kopf, der hilft, das Schisma zu überwinden – mächtig und durchsetzungsstark.
Wolf: "Deshalb ist es ganz entscheidend, dass König Sigismund das Anliegen der Einheit der Christenheit zu seinem Anliegen macht und der konziliaren Idee den militärischen und politischen Arm reicht. Nur deshalb funktioniert es."
Sigismund von Luxemburg, römisch-deutscher König seit 1410, König von Ungarn und von 1433 an Kaiser des Heiligen Römischen Reiches. Entschlossener Kämpfer gegen die Türken und für das europäische Christentum. Schillernd, gerissen, pragmatisch und beharrlich. Erfahrener Machtpolitiker, charismatischer Herrscher. Protector concilii – Schutzherr und zentrale Figur des Konzils von Konstanz.
König Sigismund also initiiert das Konstanzer Konzil. Mit Selbstbewusstsein und Verhandlungsgeschick gesegnet, spinnt er von 1412 an die Fäden im Hintergrund. Er schreibt Briefe an weltliche Herrscher, verhandelt mit den amtierenden Päpsten und gibt schließlich bekannt: Am 1. November 1414 wird in Konstanz das Konzil beginnen. Allen Teilnehmern ist persönliche Sicherheit garantiert. Jörg Schwarz, Mittelalter-Historiker an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Schwarz: "Kirche und Politik waren untrennbar ineinander verwoben. Die Geschichte des Konstanzer Konzils zeigt es in aller Deutlichkeit: Das späte Mittelalter dachte in dieser Hinsicht in einer Einheit: Es ist der König und künftige Kaiser, der das entscheidende movens bildet zur Eröffnung dieses Konzils. Er braucht dazu den Papst, aber Kirche und Reich, Politik und Religion treten hier als eine untrennbare Einheit auf."
Warum gerade Konstanz?
Warum aber wird gerade Konstanz zum Ort des Konzils? Die Stadt am Bodensee, von Italien getrennt durch die Alpen und viele hundert Kilometer entfernt von Avignon.
Schwarz: "Natürlich hat man, als man überlegt hat, wo geht man hin, an Orte gedacht, die naheliegender waren als Konstanz. Rom bietet sich an, man wollte ja auch wieder einen vollgültigen Papst in Rom haben. Rom ging aber nicht, weil ein Krieg in dieser Gegend Italiens tobte. Man hat dann an Bologna gedacht, auf halbem Weg zwischen Rom und dem Norden Europas. Man hat dann merkwürdigerweise auch Kempten in die Diskussion einbezogen, es war aber zu klein. Konstanz war dann relativ ideal, es lag auch für die Italiener noch nah genug, um erscheinen zu können."
Das Konzil und damit die Kirche kommen nach Deutschland. Konstanz, eine mittelgroße Reichsstadt, gilt mit ihren Bürgerhäusern durchaus als repräsentativ. Die rund 7000 Einwohner treiben Handel mit Mailänder Kaufleuten, der Bodensee dient als Wasserstraße für den Transport von Waren. Mindestens ebenso wichtig: Konstanz ist Bischofssitz des Herzogtums Schwaben, weiß also mit der Geistlichkeit umzugehen. Bischof und Domkapitel residieren rund um das Münster, mehrere Kirchen und Klöster prägen das Stadtbild. So pulsiert das mittelalterliche Leben in Konstanz auch schon vor dem Konzil. Sobald das Treffen aber beginnt, ist in den Gassen kaum mehr ein Durchkommmen.
Schwarz: "Alle Herbergen waren voll, alle Klöster. Die bedeutenden städtischen Klöster sind immer wichtige Orte der Unterbringung bei solchen politischen Kongressen. Sie platzten aus allen Nähten. Es hat allerdings einen bedeutenden Nachteil in Konstanz: Die Winter sind sehr neblig und kalt, und wir können davon ausgehen, dass einige Italiener schauerlich gefroren haben."
Die nebligen, nasskalten Winter am Bodensee – daran hat sich über die Jahrhunderte nichts geändert. Jetzt aber ist Sommer, und die Touristen strömen nach Konstanz – auf den Spuren des Kirchentreffens vor 600 Jahren. „Weltereignis des Mittelalters" – jubiliert die Stadt. Sie hat sich einiges einfallen lassen, sogar ein eigenes Unternehmen gegründet, in dem mehrere Projektmanager an der Vermarktung des Jubiläums arbeiten. Sie organisieren Feste, Ausstellungen, Konzerte, Freilichttheater und thematische Stadtführungen.
Schnekenburger: "Ich bin Gudrun Schnekenburger, Stadtführerin in Konstanz, und führ Sie jetzt auf den Spuren des Konstanzer Konzils durch unsere Stadt."
Schnekenburger: "Konstanz hat eigentlich keine günstigen Siedlungsvoraussetzungen. Es ist nur ein winziger Hügel, der sechs, sieben Meter höher ist als der Bodenseespiegel. Von daher auch ein hochwassergefährdetes Gebiet. Aber es liegt direkt am Ausfluss des Rheins aus dem Bodensee, und deshalb liegt es mitten in den Wasserwegen Europas. Deshalb haben es zur spätkeltischen Zeit vermutlich die Helvetier, ein keltischer Stamm, zum Handelsplatz ausgebaut."
Heute leben in Konstanz rund 80.000 Menschen, sechs von zehn Einwohnern sind katholisch oder evangelisch getauft. Seinen Bischofssitz verlor die Stadt im Jahr 1821 an Freiburg. Das Konstanzer Münster aber ist weiterhin Wahrzeichen der Altstadt. Gleich daneben, auf dem Südlichen Münsterplatz, hatte Papst Johannes XXIII. zu Beginn des Konzils einen seiner ersten öffentlichen Auftritte. Er reiste als einziger der drei damals amtierenden Päpste zu dem Treffen an.
Schnekenburger: "Der Papst hatte in Kreuzlingen südlich der Stadt übernachtet. Die Konstanzer kamen ihm in einer Prozession entgegen. Die Gesellschaft schön hierarchisch aufgebaut. Die Stadt hatte einen goldenen Baldachin gekauft und die Honoratioren haben diesen Himmel über dem Papst getragen. Er ritt dann ein, da haben die Konstanzer diesen Papst Johannes XXIII. zum ersten Mal gesehen."
Ein großes, internationales Treffen
Wir gehen ein paar Schritte zum Hauptportal des Münsters und hinein in die romanische Kirche, deren mächtiger Westturmblock alle umliegenden Gebäude überragt. Die dreischiffige Basilika wurde 1089 geweiht.
Schnekenburger: "Diese Kirche war die Aula des Konstanzer Konzils. Und jetzt müssen Sie sich vorstellen, damals gab es noch keine Bänke wie heute, sondern die Leute standen normalerweise bei den Gottesdiensten. Allein beim Weihnachtsgottesdienst, als man auf den König Sigismund wartete, dass die Leute hier drin standen von nachts um elf bis morgens um drei, bis der König endlich eingezogen ist. Und dann hat der Gottesdienst fünf Stunden gedauert."
Bei den Versammlungen aber musste niemand stehen. Dafür wurde das Münster eigens umgestaltet, erzählt die Stadtführerin.
Schnekenburger: "Entlang der Nord- und Südseite des Schiffs waren Tribünen aufgebaut. Auf der obersten Stufe saßen die Kardinäle und Erzbischöfe. Auf der zweiten Stufe saßen die Bischöfe und die Äbte. Und auf der unteren Stufe die Professoren der Universitäten Europas. Dann saß vorne vor dem Lettner – also der Abschrankung zum Priesterraum – der Papst, wenn er an den Sitzungen teilgenommen hat. Und der König saß vor der südlichen Säule vorne."
Es war ein großes, ein internationales Treffen, zu dem sogar – glaubt man zeitgenössischen Abbildungen – Vertreter aus Afrika gekommen sein sollen. Also mussten sich die Teilnehmer über Sprachgrenzen hinweg verständigen.
Schnekenburger: "Bei den Klerikern war das kein Problem, die mussten ja Latein können. Aber es waren natürlich auch andere Leute da, die des Lateinischen nicht mächtig waren. Wenn jemand kam, dessen Idiom niemand kannte, hat man ihn hinten ins Münster geführt. Und da waren Leute, die alle erdenklichen Sprachen sprachen. So dass also jeder sich verständigen konnte und würdig in Empfang genommen wurde in unserer Stadt."
Causa unionis, causa reformationis, causa fidei – Einheit, Reformen und Fragen des Glaubens. Große Debatten in der Konzilsaula. Wegweisende Dekrete. Machtkampf, Ränkespiele, die Flucht eines Papstes und ein dunkles Kapitel der Kirchengeschichte.
Es geht um verschiedene Themen in Konstanz. Eine Frage aber steht über allem: Wie gelingt es, das Abendländische Schisma zu überwinden, die Einheit der Kirche wieder herzustellen? Denn sie ist die Voraussetzung dafür, dass das Konzil überhaupt verbindliche Beschlüsse fassen kann, erklärt der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf:
Wolf: "In dem Moment, wo es zwei oder drei Päpste gibt, ist doch die Frage: Wer kann über den Papst entscheiden? In der kirchlichen Doktrin, die sich im Mittelalter, vor allem seit Gregor VII.,- dictatus papae - entwickelt hat, steht fest, dass der Papst nur von Gott gerichtet werden kann, von sonst aber niemandem. Und jetzt kommt es im Laufe der Zeit zu der Idee: Es muss eine Institution geben in der Kirche, die über dem Papst steht."
Diese Idee ist neu. Denn bisher gab es in der Kirche des Altertums monarchische Konzilien, einberufen von den römischen Kaisern. Im Mittelalter bildete sich die Form von Haussynoden heraus, bei denen der Papst das Sagen hatte.
Wolf: "Jetzt braucht man ein neues Modell von Konzil, nämlich ein konziliares Konzil. Das Konzil steht über dem Papst. Denn das Konzil hat die ordentliche Gewalt in der Kirche, während der Papst nur die aktuelle Gewalt hat. Und die wird immer dann aufgelöst, wenn sich ein Konzil versammelt. Das ist die Grundvoraussetzung, damit man Päpste absetzen kann."
"Keine Demokratie im modernen Sinne"
Handelt es sich also um einen Einzug der Demokratie in die durch päpstliche Monarchie geprägte Kirche?
Wolf: "Konstanz ist natürlich keine Demokratie im modernen Sinne. Sondern es geht um Repräsentationsfragen: Wird die Kirche, wird Jesus Christus repräsentiert durch den Papst allein? Oder repräsentieren die Kardinäle? Oder repräsentieren die Bischöfe als Nachfolger der Apostel den Christus? Das ist die Grundidee: Die bischöfliche Kollegialität anstelle der Monarchie der Päpste."
Zu Beginn des Konzils von Konstanz amtieren drei Päpste: Gregor der Zwölfte in Rom, Benedikt der Dreizehnte in Avignon. Und Johannes der Dreiundzwanzigste in Bologna – nicht zu verwechseln übrigens mit dem zuletzt heiliggesprochenen Johannes dem Dreiundzwanzigsten: Roncalli, der 1962 das Zweite Vatikanische Konzil einberief. Der frühere Johannes gilt als Gegenpapst und wird daher in der Liste der Päpste nicht mitgezählt. Er reist als einziger Amtsinhaber selbst nach Konstanz, um das Konzil am 5. November 1414 zu eröffnen. Die anderen beiden kommen nicht. Vielleicht ahnen Benedikt und Gregor, dass die Sache nicht gut für sie ausgehen würde. Die Versammlung muss nun erst einmal entscheiden, in welcher Reihenfolge sie vorgeht.
Wolf: "Soll man jetzt erst die Einheit herstellen, also die causa unionis klären, soll man so schnell als möglich einen neuen Papst wählen? Oder muss man nicht erst die Reformen umsetzen, und erst wenn die klar sind, den Papst wählen? Es gibt am Schluss einen Kompromiss, denn die Papstwahl findet ja dann doch erst 1417 statt."
Schon deutlich früher allerdings gibt es ein jähes Ende des Pontifikats von Johannes dem Dreiundzwanzigsten. Dieser hatte wohl gehofft, durch seine Reise nach Konstanz die anderen Obödienzen auf seine Seite zu bringen. Doch schon nach wenigen Wochen passiert das Gegenteil: Johannes verliert an Rückhalt unter den Konzilsteilnehmern, die nur eine Möglichkeit sehen, das Schisma zu überwinden: Den Rücktritt aller drei amtierenden Päpste. Als Benedikt und Gregor aus der Ferne Verhandlungsbereitschaft signalisieren, wird der Druck auf Johannes zu groß. Er sieht sich bedroht und flieht im März 1415 aus Konstanz – mitten in der Nacht. Auch diese Szene zeigt die Playmobil-Ausstellung im Archäologischen Landesmuseum.
Nadia: "Hier ist Papst Johannes XXIII., der wurde jetzt abgesetzt, weil er nicht freiwillig zurücktreten wollte. Es kam heraus, dass der gar nicht so heilig war, weil er ganz viele Verbrechen begangen hat. Er hat Leute bestochen und betrogen, und er hat die auch erpresst. Und damit er nicht eingesperrt wird, flieht er verkleidet als Pferde- oder Reitknecht."
Die Flucht misslingt, Johannes wird gefangen genommen und zurück nach Konstanz gebracht. Dort gibt er seinen Fischerring und das Bullensiegel zurück, fortan kann das Konzil über sein Schicksal richten. Johannes landet in Gefangenschaft und kommt erst fünf Jahre später, kurz vor seinem Tod im Jahr 1419, wieder frei. Doch nicht nur mit diesen ernsten Themen setzen sich die Konzilsteilnehmer auseinander. Sie suchen auch Zerstreuung, wie die Darstellung eines mittelalterlichen Reitturniers zeigt.
Vincent: "Hier kommt mein Lieblingsthema, hier ist nämlich ein großer Turnierplatz aufgebaut. Hier sieht man, wie gerade zwei Ritter gegeneinander kämpfen. Diese zwei Ritter werden an einer langen Schranke aufeinander zu reiten und dann versuchen, mit langen Lanzen sich vom Pferd zu stechen. Außenrum ist eine große Tribüne, wo die Damen zuschauen und auch der König und die Fürsten. Und hier sieht man ein großes Trinkgelage, wo die Leute vor oder nach den Turnieren gegessen und getrunken haben."
Auch damals ging es um die Armut der Kirche
Diesen weltlichen Freuden sind auch die kirchlichen Würdenträger durchaus zugeneigt. Aber die Ausschweifungen kosten Geld, viel Geld. Ein wichtiger Punkt, weshalb das Konzil Reformen anstrebt, sagt Kirchenhistoriker Wolf. Vor allem die Zeit der Päpste in Avignon ist kostspielig.
Wolf: "In Avignon mussten die einen riesigen Palast bauen. In dieser Phase entsteht ein riesiger Fiskalismus. Eine ungeheure Finanzexplosion der Kirche, die damit begründet wird: Der Papst ist der Stellvertreter Christi, und er kann damit auch die gesamten Finanzquellen der Kirche annehmen. Jeder, der eine Pfarrei übernimmt, muss in den ersten Jahren die Hälfte seiner Einkünfte nach Rom überschicken. Es müssen unendliche Bestechungsgelder eingesetzt werden, damit man überhaupt eine Expektanz auf einen Bischofsstuhl oder eine Pfarreipfründe kriegt. Also eine Perversion des Papsttums zu einer riesigen Finanzbeschaffungsmaßnahme. Die entscheidenden religiösen Themen treten in den Hintergrund."
Eine erstaunliche Parallele zu heute: Auch damals geht es um die Frage der Armut der Kirche.
Wolf: "Ist das, was wir da haben, wirklich noch in der Nachfolge des armen Christus, der keinen Platz hat, wohin er sein Haupt legen kann? Wenn man Reformen macht, muss man erstmal fragen: Können wir die Kirche in der Weise verändern, dass das nicht nochmal passiert, was durch das Schisma passiert ist? Das heißt, wir müssen die Rolle der Kurie reduzieren."
Der Papst und seine Getreuen sollen stärker kontrolliert werden. Um das zu gewährleisten, verabschiedet die Konzilsversammlung im Jahr 1417 das Dekret Frequens. Es sieht vor, dass künftig alle fünf bis zehn Jahre ein Konzil einberufen wird.
Wolf: "Das heißt, der Papst soll ständig mit der Angst leben, gerade ist ein Konzil vorbei, morgen kommt wieder eines. Es soll also eine ständige parlamentarische Kontrolle – in Anführungszeichen – des Monarchen eingesetzt werden, was sich dann nicht durchsetzt. Es ist ein großes Reformprogramm, das versucht, eine Balance herzustellen zwischen der Monarchie des Papstes, die man als schuldig für die Spaltung sieht, und einer kollegialen Kontrolle durch das Konzil."
Dem Dekret Frequens geht ein wegweisender Beschluss voraus: Schon 1415, nachdem Johannes der Dreiundzwanzigste sein Amt verloren hat, verabschieden die Versammelten das Dekret Haec Sancta. Eine kleine Sensation, denn es definiert die Hoheit des Konzils über den Papst. Hubert Wolf zitiert aus Haec Sancta:
"Diese Heilige Synode, rechtmäßig im Heiligen Geist versammelt, hat ihre Gewalt unmittelbar von Christus, also nicht vom Papst oder vom Kaiser. Und jetzt kommt der entscheidende Satz: Ihr – also dem Konzil – ist jeder innerhalb der Kirche, auch wenn es der Papst ist, in allem was den Glauben angeht, die Reform der Kirche an Haupt und Gliedern und die Einheit, zu absolutem Gehorsam verpflichtet. Das ist zum ersten Mal, dass in einer so großen Klarheit die Überlegenheit des Konzils über den Papst definiert wird."
Widerspruch zum Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit
Allerdings entwickelt Haec Sancta in der Kirchengeschichte keine nachhaltige Wirkung. Jüngere Lehren, etwa das Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit aus dem Jahr 1870, stehen dazu im Widerspruch. Schon deutlich früher, nicht einmal zwanzig Jahre nach Konstanz, ist es mit dem Konziliarismus vorbei.
Wolf: "Die Päpste bestimmen jetzt, dass eine Appellation an ein Konzil gegen eine Entscheidung des Papstes grundsätzlich verboten wird. Die Päpste begannen, die Konzilien zu fürchten wie der Teufel das Weihwasser. Sie verhinderten deren Einberufung und die Durchführung von Reformen. Und deshalb reagiert die katholische Kirche auch erst sehr verspätet auf die Reformation, und das Konzil von Trient kommt viel zu spät."
Schnekenburger: "Wir sind hier im Zunftsaal der Zunft zum Rosgarten. 1454 wurde der so eingerichtet wie Sie ihn heute sehen."
Gudrun Schnekenburger ist mit ihrer Stadtführung im Rosgarten-Museum angekommen. Am Boden des Zunftsaals liegen knarzende Dielen, die getäferten Holzwände sind verziert mit Wappen. In der Mitte steht eine große, aus einem Eichenstamm geschnitzte Säule.
Schnekenburger: "Auf diesen Zunftsaal sind wir sehr stolz. Sie sehen sogar hinten einen Tresor der Zunft. Und auch heute haben wir Schätze hier drin, denn es ist hier in einer ganz neuen Vitrine die Konzilschronik der Stadt Konstanz. Und die möchte ich Ihnen jetzt zeigen."
In der Vitrine liegt ein überdimensioniertes, in Leder gebundenes Buch – aufgeschlagen. Es zeigt in farbigen Bildern den Alltag im spätmittelalterlichen Konstanz.
Schnekenburger: "Ulrich Richental, ein Bürger unserer Stadt, hat eine große Akte angelegt während des Konzils. Die wurde auch sehr viel konsultiert in späterer Zeit. Sie war bis in die Barockzeit im Kloster Salem untergebracht. Und es wird berichtet, dass immer wieder Gelehrte aus der Welt kamen, diese Akte vom Konstanzer Konzil anzuschauen."
Zwar ging die erste Akte bei einem Brand der Bibliothek des Klosters Salem verloren. Aber Richental hatte mithilfe seiner Aufzeichnungen verschiedene Chroniken geschrieben, und die sind bis heute erhalten. In Texten und Illustrationen zeigt der Chronist das Leben in der Stadt.
Schnekenburger: "Man sieht, wie die Konstanzer staunen über die fremden Leute in der Stadt. Fremde Kleidung – oder was sie mit großen Augen anschauen sind die orthodoxen Gottesdienste. Schon allein die bärtigen Geistlichen finden sie schon ganz schräg, weil sie sowas noch nie gesehen haben."
Bunte Bilder berichten vom regen Treiben
Menschen in bunten Gewändern, reges Treiben in den Gassen, Prozessionen kirchlicher Würdenträger durch die Straßen sind in der Chronik zu sehen. Und Richental geht auch ganz alltäglichen Fragen nach: Wo haben die Gäste gewohnt, was haben sie gegessen?
Schnekenburger: "Hier haben sie die lustigen Bilder zu den Marktberichten des Ulrich Richental. Was wurde angeboten auf dem Markt? Wie waren die Preise? Und dazu gehört auch die von vielen so aufgeregt weitergebene Zählung der käuflichen Frauen, der Dirnen. Ich denke, das ist gar nicht so viel Aufregung wert, weil die zur damaligen Gesellschaft gehörten zur Versorgung der unverheirateten Männer. Das verstehen wir heute sehr schwer, weil wir verdeckter damit umgehen."
Der Konstanzer Literaturwissenschaftler Henry Gerlach hat die Richental-Chronik ins Hochdeutsche übersetzt. Ein Augenzeugenbericht, der den Blick aufs Konzil weitet:
Gerlach: "Das besondere ist, dass wir jemanden wie Richental haben, der das Leben beschreibt. Wie teuer das war, wie man geschlafen hat, wer wo gewohnt hat. Das ergänzt einige Tagebücher, die von Beteiligten des inneren Zirkels geschrieben wurden. Etwa ein Kardinal, der beim Konklave dabei war und das eher aus theologischer Sicht beschreibt. Diese verschiedenen Facetten ermöglichen ein interessantes Bild des Konzils."
Etwa die Sache mit den Klerikern. Zu Hunderten kamen sie aus ganz Europa nach Konstanz, waren aber nicht unbedingt so reich, dass sie sich selbst etwas zu essen kaufen und ihre Bleibe bezahlen konnten.
Gerlach: "Um dieses Problem zu lösen, hat die Stadt die Kleriker eingesetzt zu Schanzarbeiten an der Stadtmauer. Konstanz hat vorausgesehen, dass dieses Bild – Kleriker bei Arbeiten an der Stadtmauer – vielleicht etwas witzig aussieht. Und deswegen gab es eine Strafe, die Richental vermerkt, für diejenigen, die angesichts dieser Kleriker lachen werden. Zwei Schillingpfennig Strafe wurde für das Lachen angesichts der arbeitenden Kleriker an der Stadtmauer erlassen."
Diese und andere Berichte schmückte Stadtschreiber Richental gern etwas aus. Das hat ihm die Kritik eingebracht, er sei nicht nur Beobachter gewesen, sondern habe sich auch als Literat versucht.
Gerlach: "Er ist natürlich ein Chronist des 15. Jahrhunderts. Wir können keine Maßstäbe anlegen, wie man das heute bei einem Historiker universitärer Herkunft anlegen würde. Aber gemessen an seiner Zeit ist er relativ gut – besser, als man denken könnte."
Johannes Hus, Theologe, Prediger und Reformator. Rektor der Karls-Universität Prag. Verehrer des englischen Kirchenkritikers John Wyclif. Vertritt vor der Konzilsversammlung radikal entschlossen seine Haltung.
Vincent: "Jetzt kommen wir zu einem nicht so erfreulichen Anlass. Und zwar sehen wir, wie eine Prozession aus der Stadtmauer herausführt und sich einen langen Weg über die Wiese bahnt. Wo hier ein Scheiterhaufen aufgebaut ist. Vorn in der Mitte der Prozession sieht man, umgeben von Soldaten, Jan Hus. Das war ein Priester aus Prag, der in der Bibel was anderes gesehen hat als die katholische Kirche. Deswegen wurde er schließlich vom Konzilgericht in Konstanz verurteilt und sollte dann vor den Stadtmauern auf dem Scheiterhaufen sterben."
Zitator von Hus: "Am morgigen Tag erwarte ich meine Verurteilung zum Tode, doch setze ich all mein Vertrauen in den Allmächtigen, dass ich von der göttlichen Wahrheit nimmer lasse und die „Irrlehren", deren mich hier falsche Zeugen bezichtigen, niemals abschwöre."
Vincent: "Hinten kommen ganz viele Kinder und einfache Leute mit, vorne reiten Ritter und Soldaten und auch Mönche, die den Jan Hus zum Scheiterhaufen bringen. Außen rum stehen Menschen mit Fackeln, die den Scheiterhaufen anzünden wahrscheinlich. Hinter dem Scheiterhaufen steht sogar noch ein kleines Orchester mit Pauken und Trompeten. Es gab ganz wenige Arten von Unterhaltung: Es gab Kneipen, Turniere und eben auch Hinrichtungen. Da ist man halt hingekommen, weil es gab nicht so viel anderes zu tun."
Zitator von Hus: "Christus der Friedensfürst ist zweifellos gekommen, um die Verschwörung zu lösen, angezettelt unter weltlichen Menschen aus teuflischem Hochmut, welcher die allermächtigsten Menschen dieser Welt blind macht."
Nadia: "Jan Hus war gegen die Ablassbriefe zum Beispiel. Dort stand drauf, dass einem alle Sünden erlassen wurden. Je reicher man war, desto mehr Ablassbriefe konnte man kaufen. Man konnte immer gemein sein und musste dann einfach nur n Brief kaufen, und damit waren einem alle Sünden erlassen. Damit wurde die Kirche ganz reich, aber die armen Leute konnten sich das nicht kaufen. Die kamen dann in die Hölle, weil sie nicht so reich waren, und das fand Jan Hus nicht richtig. Da war er dagegen – und damit nicht noch mehr dagegen waren, haben die den einfach schnell verbrannt."
Predigten gegen den Ablasshandel
Zitator, Verurteilung durch das Konzil: "Daher gibt diese heilige Synode bekannt, dass Johannes Hus Häretiker gewesen ist. Sie verordnet, dass er gerichtet und verurteilt werden muss und verurteilt ihn hiermit als Häretiker. Seine besagte Berufung verwirft sie als schimpflich, Ärgernis erregend und als Ausdruck der Geringschätzung für die Jurisdiktion der Kirche. Sie gibt weiter bekannt, dass eben dieser Johannes Hus kein wahrhaftiger Prediger des Evangeliums Christi gewesen ist im Sinne der heiligen Lehrer, sondern vielmehr ein Verführer."
Vincent: "Zum Glück haben wir heute Meinungsfreiheit, jeder darf sagen was er will, zumindest in Deutschland. Jeder muss sagen können, was er denkt, und wenn jemand eine andere Meinung hat, darf man den ja nicht einfach verbrennen."
Autor: Der Scheiterhaufen also für einen Theologen, den manche als Wegbereiter der Reformation sehen. Jan Hus wird um 1370 in Böhmen geboren. Er studiert Theologie, empfängt die Priesterweihe, lehrt an der Universität Prag und setzt sich für kirchliche Reformen ein: Die Bibel müsse wieder zum Maßstab werden. Priester sollten in der jeweiligen Landessprache predigen. Alle Gemeindemitglieder sollten das Abendmahl in beiderlei Gestalt empfangen – Brot und Wein. Sein Denken wird beeinflusst durch die Lehre des englischen Theologen John Wyclif. Außerdem wendet sich Hus gegen weltliche Besitztümer der Kirche. Er kritisiert Bischöfe und Priester für lasterhafte Verfehlungen und Habsucht. Die Freiheit des Gewissens stünde über der kirchlichen Lehre, die der Papst vertritt.
Müller: "Er war ein hoch-intelligenter Gelehrter, der ein großes Herz für die Bevölkerung hatte. Und der für die Missstände in seiner Kirche sensibel war. Das wurde zu seiner Bekehrung zu einer Kirche der Armut, zu einer Kirche des Wortes, mit der er versuchte, den Glauben wieder glaubhaft zu machen."
Pfarrer Holger Müller, Konzilsbeauftragter der Evangelischen Landeskirche in Baden.
Müller: "Wenn er den Ämterschacher in der böhmischen Kirche sich ansah, den angehäuften Reichtum, und dem gegenüber die Armut, die versäumte Seelsorge an der Bevölkerung, dann kann man nachvollziehen, warum Jan Hus zu dieser scharfen Kritik gekommen ist. Um des Evangeliums willen, um der Wahrheit der Botschaft willen, für die er einstehen wollte als treuer katholischer Priester seiner Kirche. Ähnlich wie Luther wollte er keine neue Kirche, sondern dass die Kirche wieder zu ihren eigentlichen Aufgaben zurückkehrt."
Der Druck auf Jan Hus wird immer größer
Hus predigt gegen den Ablasshandel, bringt Teile des Klerus und sogar die Kurie gegen sich auf. Im Herbst 1412 spricht Rom gegen ihn die Exkommunikation aus, die er allerdings nicht akzeptiert. Christus als "gerechter Richter" stünde über den irdischen Richtern, so Hus. Nur wenige Tage darauf wird der Druck auf ihn aber so groß, dass er Prag verlässt und die beiden kommenden Jahre in verschiedenen böhmischen Regionen im Exil lebt.
Müller: "Seine Vertreibung aus Prag 1412 hat dazu geführt, dass er im Land herumgereicht wurde und auch auf dem flachen Land überall gepredigt hat. Und insofern die Popularität landesweit ein so großes Ausmaß angenommen hat, dass die Bewegung kaum noch aufzuhalten war."
1414 reist Hus nach Konstanz, um sich vor der Konzilsversammlung zu verteidigen. Doch er schätzt seine Situation völlig verkehrt ein, er kommt in Haft. Nach Monaten der Ungewissheit schließlich wird Johannes Hus am 6. Juli 1415 als Ketzer verurteilt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Letztlich, meint Pfarrer Müller, sah das Konzil keinen anderen Weg.
Müller: "Jan Hus hatte 1412 einen fatalen Schritt getan, indem er sich auf die Autorität Jesu Christi als für ihn einzige relevante Autorität berufen hat. Das klingt zunächst sehr fromm, aber wenn man es sich anschaut, hat er die irdischen Instanzen damit als unzuständig erklärt."
Hus spricht also sowohl der Konzilsversammlung als auch dem Papst die Kompetenz ab. Am Ende bringt er sogar König Sigismund gegen sich auf, der immerhin mehrere öffentliche Verhöre möglich gemacht hatte.
Müller: "Man hat versucht, ihm goldene Brücken zu bauen, auf kirchenrechtlicher Ebene versucht, ihm Auswege zu bieten, wie er zumindest um das Todesurteil herumkommen kann. Aber für Hus standen seine Gewissensfreiheit und sein Glaube so sehr auf dem Prüfstand, dass er sich nicht mehr darauf einlassen konnte und wollte. Er fürchtete um seine Glaubwürdigkeit in seinem böhmischen Heimatland und hatte Angst, dass die Menschen am christlichen Glauben irre werden würden, wenn er all das, was er lehrte, widerruft – was man eigentlich von ihm verlangte. Noch tragischer ist, dass die eigentlichen Probleme, die Auslöser dieses Konfliktes waren, durch dieses Todesurteil in keiner Weise gelöst, sondern noch drastisch verschärft wurden und dann eben auch zu den Hussitenkriegen geführt haben."
In einer Linie mit Reformatoren wie Martin Luther
Vergeblich war der Kampf des Jan Hus für eine neue Kirche trotzdem nicht, meint der evangelische Konzilsbeauftragte. Inzwischen werde Hus in Deutschland nicht mehr so sehr als Vorreformator gesehen, sondern in einer Linie mit den Reformatoren um Martin Luther, die 100 Jahre später wirkten.
Müller: "Als Wegbereiter für die gesamteuropäische Reformation im 16. Jahrhundert kann man ihn überhaupt nicht aus dem Auge lassen. Genau wie die anderen Vorgänger John Wyclif, Petrus Waldus, Franziskus von Assisi. Es gab immer Neuaufbrüche in den Kirchen. Spannend ist die Frage: Gelang es der Kirche, diese Aufbrüche zu integrieren, wie das bei den Franziskanern gelungen ist, oder hat sie es versucht, durch Abgrenzung zu bewältigen, was sich immer als fatal erwiesen hat."
Mit dem Urteil gegen Jan Hus gibt das Konzil auch zu erkennen, was im Mittelpunkt der Versammlung steht: Das Anliegen, die Kirchenspaltung zu überwinden. Forderungen nach kirchlichen Reformen müssen dahinter zurücktreten. Und damit hat das Konstanzer Konzil auch eine ökumenische Dimension – in zweierlei Hinsicht, meint Kirchenhistoriker Hubert Wolf. Punkt eins: Die Rolle des Papstes.
Wolf: "Wenn die Ekklesiologie des Konstanzer Konzils sich stärker durchgesetzt hätte, wäre das natürlich für die Ökumene eine ganz andere Einschätzung der Rolle des Papstes. Für die Protestanten ist sicher eine Position, die die Rolle des Papstes stärker in eine kollegiale Struktur einbettet, einfacher, als ein monarchischer Papst. Denn dann gilt ja der Satz von Paul VI.: Wir wissen, dass der Papst das größte Hindernis der Ökumene ist. Jedenfalls in seiner Position, wie er sie nach dem Kirchenrecht hat."
Punkt zwei: Die Causa Jan Hus.
Wolf: "Wenn Sie Hus als Vorläufer Luthers interpretieren, dann ist das Konstanzer Konzil, also eine kollegiale Versammlung der Bischöfe, diejenige gewesen, die den Vorläufer Luthers verbrannt hat. Und damit ist dieses Konzil ein Ketzer-Verfolgungs-Konzil."
Stober: "Jan Hus, der berühmte Jan Hus, der einerseits das Konstanzer Konzil tief im kollektiven Gedächtnis verankert hat, zum anderen natürlich einen Schatten über die Erfolgsgeschichte des Konzils legt."
Im Museum liegt noch ein Stück des Mantels von Jan Hus
Karin Stober, Kuratorin der Landesausstellung zum Konstanzer Konzil, geöffnet noch bis zum 21. September.
Stober: "Wir zeigen mehrere Exponate zum Thema Jan Hus. Zum einen die einzige bisher bekannte Reliquie. Ein Stück von seinem Gewand, das er während des Konstanzer Konzils getragen haben soll. Hus wurde verbrannt, man hat die Asche und die nicht verbrannten Knochen im Rhein versenkt. Sprich, im Grunde hat man alles drangesetzt, um ja keine Reliquien in die Welt zu bringen. Nun ist im Unterlindenmuseum Colmar ein Textilfragment aufgetaucht, das angeblich vom Mantel des Jan Hus stammen soll."
Das schlichte, schwarze Stück Stoff kann man leicht übersehen. Denn viele andere der 350 Werke in der Landesausstellung sind deutlich prunkvoller: Altarbilder, Kelche, Skulpturen, wertvolle Handschriften. Die Leihgaben wurden aus Museen in ganz Europa nach Konstanz gebracht – aus dem Louvre, den Vatikanischen Museen, aus Budapest und Madrid.
Stober: "Der Auftritt, den die mittelalterliche Christianitas in Konstanz hingelegt hat, der muss schon sehr gewaltig gewesen sein. Dieses riesengroße Vortragekreuz kommt aus Morella in Spanien. Es ist eine großartige Arbeit der Goldschmiedekunst. Und das Ganze in einer Größe, dass man es sich nicht vorzustellen wagt, was hat eigentlich derjenige gelitten, der die Ehre hatte, während einer Prozession dieses Kreuz durch die Straßen zu führen."
Einige Schritte weiter hängt ein Porträt des Konzilsmachers: König Sigismund von Luxemburg – aus der Werkstatt von Albrecht Dürer. Daneben: Ein Prunkschwert des Königs.
Stober: "Vermutlich wurde es gefertigt anlässlich der Kaiserkrönung von Sigismund. Er hatte ja das große Ziel, die Kaiserkrone zu empfangen. Das war einer der Motoren dafür, dass er alles dransetzte, dass hier in Konstanz die katholische Kirche wieder unter einem Papst geeint würde, der ihn dann zum Kaiser krönen kann."
Die Ausstellung zeigt, wie sich weltliche und kirchliche Herrscher den Menschen im späten Mittelalter präsentierten. Auch zu sehen: Die Mitra des Abtes von Kreuzlingen.
Stober: "Diese Mitra wurde dem Abt von Papst Johannes XXIII. verliehen, unmittelbar bevor er zum Konzil von Konstanz Einzug hielt. Eine exquisite Arbeit mit Emaillebeschlägen, perlenbesetzt, Gold- und Silberstickerei. Die handwerkliche Kunst, die sich hinter einer solchen Mitra verbirgt, ist ganz exzeptionell, und die Mitra ist auch in einer sagenhaften Weise erhalten geblieben."
Der neue Papst Martin V.
Zur Chronologie der Landesausstellung gehört natürlich der erfolgreiche Abschluss des Konzils: Das Konklave, aus dem ein neuer Papst hervorgeht.
Papst Martin V., gewählt vom Konklave in Konstanz am 11. November 1417. Bürgerlicher Name: Oddo Colonna. Stammt aus einer angesehenen römischen Adelsfamilie. In jüngeren Jahren päpstlicher Referendar, apostolischer Protonotar und Kardinaldiakon. Führte nach seiner Wahl das Papsttum zurück nach Rom.
Vincent: "Der Oddo Colonna wurde im Konzil gewählt. Da haben sich die Kardinäle eingeschlossen und haben den neuen Papst gewählt. Und er wurde dann eben auf dem Münsterplatz gekrönt."
Nadia: "Der hat sich den Namen Martin gegeben, da er an Sankt Martin gekrönt wurde."
Nur drei Tage brauchen die 53 Wähler im Konklave, bis sie sich für Oddo Colonna entschieden haben. Was aber ist mit den bisherigen drei Päpsten? Johannes der Dreiundzwanzigste ist nach Flucht und Haft nicht länger Papst. Gregor der Zwölfte dankt 1415 ab, um eine Neuwahl möglich zu machen. Und Benedikt der Dreizehnte erkennt seine Absetzung durch das Konzil zwar nicht an, hat aber kaum noch Anhänger. Er lebt bis zu seinem Tod im Jahr 1423 auf einer Festung am Golf von Valencia.
Oddo Colonna, Martin der Fünfte, wird in einem besonderen Verfahren gewählt. Es soll die wieder erlangte Einheit der Kirche bekräftigen, erklärt Kirchenhistoriker Hubert Wolf. So benötigt der Neue eine doppelte Mehrheit: Einerseits die der Kardinäle, andererseits die der Vertreter der fünf Konzilsnationen. Dass damit nicht ausschließlich Kardinäle den Papst wählen, gilt in der Geschichte als einmalig.
Wolf: "Martin V. ist ein sehr guter Politiker, dem es gelingt, den Ausgleich zwischen den Mächten herzustellen. Und vor allem ist er auch militärisch erfahren. Er bringt es dazu, dass der Kirchenstaat, der durch marodierende Truppen und Räuberbanden im Chaos versunken ist, sich wieder stabilisiert, um aus dem Kirchenstaat selber die Einnahmen zu bekommen."
Colonna ist ein Mann Roms. Auch das hilft, die Kirchenspaltung zu überwinden.
Wolf: "Es ist natürlich klug, einen Römer zu wählen, weil man ja nicht will, dass der jetzt wieder nach Avignon geht oder in Pisa sich niederlässt. Sondern Rom soll, wie in der Tradition üblich, mit dem Petrusgrab der Sitz des Papsttums wieder werden."
Aufbruch nach Rom, Aufbruch in eine neue Zeit: Manche sehen das Konstanzer Konzil als Anfang vom Ende des Mittelalters, sagt der Münchner Historiker Jörg Schwarz.
Schwarz: "Das ist in dieser zugespitzten Form sicherlich kaum haltbar. Aber hier beginnt etwas, das die Verhältnisse doch sehr anders gestaltet, als es bisher gewesen ist."
Das Konzil als Weltereignis?
Das Konzil von Konstanz war also ein bedeutendes Treffen. Aber war es auch ein "Weltereignis", wie die Konstanzer sagen?
Schwarz: "Das sei den Konstanzern gegönnt. Wenn man Europa als Welt bezeichnet, ist es durchaus möglich, so zu reden. Es ist allerdings doch etwas hochtrabend. Sicherlich ist es ein Ereignis, das mehr als nur Deutschland betroffen hat, sondern in dem sich ganz viele Tendenzen der europäischen Politik gezeigt haben. Insofern sei es – mit einem Körnchen Salz – erlaubt, davon zu reden."
Was ist geblieben von diesem Ereignis? Mit der Wahl Martin des Fünften ist das Abendländische Schisma überwunden. Aber wegweisende Reformen gehen von Konstanz nicht aus. Die Einheit der Kirche währt nur kurz: 100 Jahre später beginnt mit den Thesen Martin Luthers in Wittenberg die Reformation.
Schwarz: "Es gibt einen schönen Satz der älteren Forschung: Der Papst hat die Reform verhindert und dafür die Reformation bekommen. Diese ganzen Diskussionen, die auf dem Konstanzer Konzil geführt worden sind – manchmal ist es fast etwas nervig, von ihnen zu reden, weil so wenig Greifbares dabei herausgekommen ist – sie waren in der Welt. Man redete und redete – und irgendwann war der Punkt da, wo aus dem Reden ein sehr konkretes Handeln geworden ist."
Der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf sieht ein bleibendes Vermächtnis des Konstanzer Konzils:
Wolf: "Konzil und Papst gehören in ein Gleichgewicht, und das verbindet man mit Konstanz. Diesem Konzil, einem konziliaren Konzil als oberster Instanz in der Kirche – nicht den Päpsten, nicht Politikern – ist es gelungen, die Einheit der Kirche wieder herzustellen."
Konstanz sei also ein wichtiges Gut in der kirchlichen Tradition. Auch mit Blick auf Reformpläne der katholischen Kirche heute – im Jahr 2014.
Wolf: "Mal darüber neu nachzudenken: Wer repräsentiert eigentlich Christus? Ist es nur der Papst allein, oder ist nicht Konzil und Papst miteinander ein Modell, das sich gegenseitig befruchtet. Das kann man doch aus der Geschichte der Kirche lernen. In einer Diskussion, wo man über eine Reform der Kurie im Moment nachdenkt – wir haben ja gesehen, dass eine nicht kontrollierte Kurie zu großen Problemen geführt hat, Vatileaks ist ja nur ein Stichwort – dass es da Möglichkeiten gibt, die unter anderem in Konstanz in positiver Weise für die Einheit der Kirche und eine Reform der Kirche eingesetzt worden sind."
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