Konspiration und Kommunismus

DDR-Kommunisten waren besonders paranoid

YAROSLAVL, RUSSIA. FEBRUARY 24, 2015. A medal marking the 70th anniversary of the Victory in the Great Patriotic War (1941-1945) at the Russkiye Remesla Center in Yaroslavl. Sergei Savostyanov/TASS
Hammer und Sichel: Das Symbol des Kommunismus © picture alliance / dpa / Savostyanov Sergei
Von Thomas Klug · 09.03.2016
Seit 1789 ist das eine Krankheit der Linken, die sich bis zur Paranoia gesteigert hat: der Hang zu Konspiration und Bespitzelung. Entstanden aus der Situation der Gegenwehr gegen staatliche Macht - pervertiert als Herrschaftstechnik in kommunistischen Systemen.
Thälmann (1928 in Moskau): "In dem Sinne, dass die Aufgaben, die auf dem Plenum in der Frage der Orientierung der Gewerkschaftsarbeit der kapitalistischen Länder…"
…sagt Ernst Thälmann, der Vorsitzende der Kommunistischen Partei Deutschlands, 1928, in einer der wenigen Tonaufnahmen, die es von ihm gibt…
"…von so großer, eminent wichtiger Bedeutung sind, dass auch wir auf die Aufgaben..."
Fünf Jahre später, im März 1933, wurde Thälmann von der Gestapo verhaftet. Jemand hatte ihn denunziert. Thälmann war leichtsinnig geworden. Er hatte etwas missachtet, was in der kommunistischen Bewegung als wichtiges Prinzip galt: die Konspiration. Er hielt sich zu lang in derselben Wohnung auf, obwohl er ein prominenter Gegner der Nazis und seine Verhaftung absehbar war. Und: Er nutzte keine der illegalen Wohnungen seiner Partei.
Ulrich Mählert: "Lenin hat in der Illegalität im zaristischen Russland das Konzept der Partei neuen Typus entwickelt, die Idee einer Kaderorganisation, einer kleinen, schlagkräftigen Elite, die in der Illegalität als Vorhut des Proletariats den Sozialismus erkämpfen soll. Dieses Parteikonzept hatte Fortbestand, als die kommunistischen Parteien in Russland oder nach 1945 in Ost-Mitteleuropa Macht erringen konnten."
Ulrich Mählert von der Bundesstiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur.

Schon die Jakobiner waren konspirativ

Wer bestehende Verhältnisse umwälzen möchte, ist gut beraten, zunächst im Verborgenen zu arbeiten. Das Prinzip findet sich schon bei den Jakobinern zur Zeit der Französischen Revolution. Im zaristischen Russland gaben sich die Genossen Uljanow und Dschugaschwili Kampfnamen, unten denen sie in die Geschichte eingingen: Lenin und Stalin. Doch dann verkehrten sich die Verhältnisse: die konspirativ agierenden Revolutionäre beseitigten die alten Gewalten und mussten sich vor ihnen nicht mehr verbergen...
Mählert: "Aber auch, als dann die Bolschewisten politische Macht erringen konnten, waren sie sich natürlich im Klaren, dass sie als kleine politische Minderheit Macht über eine übergroße kritische Mehrheit, auch gegnerisch eingestellte Mehrheit errungen hatten. Kennzeichen war, dass man sich immer von Feinden umzingelt gesehen hat, Feinden von außen. Aber eben auch Feinde im Inneren, Feinde, die teilweise real waren, die dann aber mit zunehmender Zeit immer mehr in der Vorstellungswelt existierten.
Natürlich war auch in der Nachkriegszeit in so einer Blockkonfrontation der US-Geheimdienst oder die Briten die eigenen Reihen unterwandern könnten, in denen man ja genug Unzufriedene vermuten durfte. Das hatte alles eine gewisse Logik. Das konnte keine Begründung sein, es bis zu diesem Exzess zu betreiben, dass praktisch die eigene Handlungsfähigkeit davon berührt gewesen ist."
Ist der Hang zur Konspiration der Geburtsfehler des Kommunismus? Vielleicht nicht der, aber einer ganz gewiss. Je entwickelter eine Gesellschaft ist, umso hinderlicher wird die totale Konspiration: Jeder Bürger - ein potentieller Feind, jeder Kollege - ein potentieller Verräter. Selbst beim Blick im Spiegel kann man sich nicht sicher sein, wie vertrauenswürdig das Gesicht darin ist. Die üblichen Jubelmeldungen in den DDR-Medien wurden auch damit begründet, dass man dem Gegner mit kritischen Berichten kein Material liefern wolle. Sollte heißen: Wenn schon Kritik – dann nur im Geheimen. Von der Konspiration zur Paranoia - dieser Weg kann ein leichter sein. In einem der Schauprozesse der DDR in den 1950er Jahren wurde vom Staatsanwalt gepredigt:
Staatsanwalt (Prozess Burianek): "Man soll die Ohren spitz halten..., Augen auf für alle. Möge das schaffende Volk der Deutschen Demokratischen Republik seine Wachsamkeit verdoppeln und verdreifachen. Das soll aus diesem Prozess gelernt werden."

DDR-Kommunisten vom Nationalsozialismus geprägt

Das Prinzip der Konspiration wurde ausgeweitet: Konspiration bedeutete auch, Kontrolle von Information: Wer hatte Zugang zu welcher Lektüre, wem wurde der Zugang verweigert.
Mählert: "Die Vorstellung, dass dann Parteifeinde in den 70er oder 80er Jahren sich nächtens Zugang zu den Geheimarchiven der SED verschaffen, in die Büros verschaffen – das hatte ja nichts mehr mit einer realen Bedrohungssituation zu tun gehabt. Und all diese Politik von Reglement von Informationszugang, dieses abgestufte System, wer darf Westpresse lesen, das Giftschrankprinzip in Bibliotheken ist natürlich Teil einer solchen Konspiration und es bleibt natürlich Teil politischer Praxis in beispielsweise der DDR."
Die Art der Konspiration im Kommunismus hatte einen für die Machthaber auf den ersten Blick angenehmen Nebeneffekt:
"Die Leute zu einer stromlinienförmigen Masse von Mitmachern zu erziehen. Damit unterband man gleichzeitig innerparteiliche Diskurse und Debatten."
Und Mitglieder der Nomenklatura konnten sich durch die DDR-übliche Geheimniskrämerei auch als Eingeweihte fühlen. Ulrich Mählert von der Bundesstiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur:
"Als 1989 dann die Mauer fiel, als 1990 die Archive geöffnet wurden, als Normalbürger in Büros kamen, ist in Büros, die vorher nicht betreten werden durften von Westdeutschen, dann fiel auf, etwas, was man aus westdeutscher Perspektive nicht kannte: Die Zahl der Safes, die praktisch überall in den Büros von Abteilungsleitern waren, die Siegel, die an den Türen außen angebracht waren."
Für die Kommunisten in der DDR kam hinzu, dass sie von den Erfahrungen der Nazizeit geprägt waren. Das verstärkte ihren Hang, niemandem zu trauen und die Konspiration in paranoide Höhen zu treiben.
Der Kommunismus ist bekanntlich Geschichte, doch die NSA-Skandale lassen darauf schließen, dass Lenin auch beim Klassenfeind gelehrige Schüler gefunden hat. Wie sagte er doch? Vertrauen ist gut – Kontrolle ist besser…
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