Konservativ, schlicht und unbeholfen

Von Christian Rabhansl |
Im Frühjahr 1959 wird Heinrich Lübke zum Staatsoberhaupt gewählt. Der Unionspolitiker mit stramm konservativer Haltung engagiert sich in der Entwicklungshilfe, in Erinnerung aber bleibt er den Bundesbürgern vor allem wegen seiner rhetorischen Fehltritte.
Applaus für einen in der Not gekürten Lückenfüller. Frühjahr 1959. Eigentlich wollte Konrad Adenauer nach seiner Kanzler-Zeit auch noch Bundespräsident werden. Aber als ihm klar wird, wie wenig Macht dieses Amt bedeutet, will er nicht mehr. Also machen die Unionsparteien kurzerhand den bisherigen Landwirtschaftsminister zum Kandidaten.

"Ich danke für das mir erwiesene Vertrauen aufrichtig …"

Heinrich Lübke.

"… hoffe aber zuversichtlich, dass auch diejenigen, die glaubten mir heute ihre Stimme nicht geben zu können, auf die Dauer doch auch meiner Arbeit die Zustimmung nicht versagen werden."

Zögerlich dankt er der Bundesversammlung, die ihn gerade eben zum zweiten Präsidenten der Bundesrepublik gewählt hat.

64 Jahre vorher war Lübke im westfälischen Enkhausen auf die Welt gekommen. Sohn eines einfachen Schuhmachers. Er war Soldat im Ersten Weltkrieg, studierte Landwirtschaft und Volkswirtschaft. Im Dritten Reich sperrten die Nationalsozialisten ihn 20 Monate lang in Untersuchungshaft. In der jungen Bundesrepublik wurde er erst Landwirtschaftsminister in Nordrhein-Westfalen, dann im Bund.

Die eigene Bedeutung versetzte Lübke in Erstaunen.

"Ich komme vom kleinen Dorf im Sauerlande, von kleinen Leuten, und man hat mir an der Wiege nicht gesungen, dass ich Kandidat für den Posten des Bundespräsidenten sein sollte."

Und dann ist er Staatsoberhaupt. Lübke wird als schlicht, später gar als trottelig bezeichnet. Und gilt vielen als einseitig konservativ.

1967 besucht der Schah von Persien die Bundesrepublik, und Lübke geht mit dem autoritären Herrscher in die "Zauberflöte". Draußen vor der Oper heftige Proteste. Der Student Benno Ohnesorg wird erschossen.

Lübke sagt später in seiner Neujahrsansprache:

"Sollte unter dem Vorwand, obrigkeitliches Denken abschaffen zu wollen, der Anarchie Tor und Tür geöffnet werden, dann müsste es zum Kampf aller gegen aller kommen, und damit zwangsläufig zu einer neuen Tyrannei."

Gleichzeitig gilt Lübke als aufgeschlossener Bundespräsident, der sich für fremde Länder und Kulturen interessiert. Er reist viel, er hat die Deutsche Welthungerhilfe ins Leben gerufen und macht sich für die Entwicklungshilfe stark. Kritik daran nennt er "unmenschlich".

"Verstand und Gewissen sollten uns lehren, den materiellen und persönlichen Einsatz auf diesem Gebiet als lebensnotwendige Investitionen zu erkennen, an denen die moralische Haltung der wohlhabenden Nationen einmal gemessen werden."

Aber Lübkes Botschaften kommen kaum noch an. Stattdessen macht er sich immer öfter zum Gespött. Schuld daran sind seine rhetorische Unbeholfenheit und seine zunehmende Vergesslichkeit, vermutlich aufgrund einer Alzheimer-Erkrankung:

"Ich danke zunächst einmal herzlich für den großartigen Empfang, den mir hier diese Stadt, und hier der Marktplatz voller gedichter, dichter Leute, sehr dicht stehender Leute bereitet hat, in, äh."

Mal mehr, mal weniger stockend wirbt Lübke dafür, Tiefkühltruhen zu verwenden, und sich zu waschen. Witze und Parodien machen die Runde, und verwandeln sich allmählich in einen Vorwurf.

Der "Spiegel"-Herausgeber Rudolf Augstein schreibt 1967:

"Nicht, dass Heinrich Lübke einfachen Geistes ist, kann und soll ihm vorgeworfen werden. Aber die Fehleinschätzung seiner Geistesgaben, kombiniert mit seiner unerschütterlichen Selbstgerechtigkeit, entfalten sich allgemach zu einem Skandal."

Dazu kommt eine zweite Anschuldigung. Heinrich Lübke, der Bundespräsident, sei früher KZ-Baumeister gewesen. Er habe in einem Architekturbüro Lagerpläne entworfen.

"Da hatte man es schwarz auf weiß: Die Baupläne, Briefe und Niederschriften, die Lübke der Mitschuld am Tode Tausender Zwangsarbeiter überführen, alle hübsch säuberlich mit seinem Namenszug versehen."

Etwas zu hübsch allerdings. Was die DDR-Fernsehnachrichten hier präsentieren, stellt sich später als Fälschung heraus. Zwar sind Lübkes Schuld und Unschuld bis heute nicht vollends geklärt. Er selbst allerdings war damals unfähig, sich glaubwürdig zu entlasten.

Im Frühsommer 1969 tritt er zurück; ein halbes Jahr vor dem offiziellen Ende seiner Amtszeit. Knapp drei Jahre später stirbt Heinrich Lübke im Alter von 77 Jahren.